Die Tic-Störung ist eine Erkrankung, bei der unwillkürliche, schnell ablaufende, plötzlich beginnende Bewegungen oder Laute auftreten. Die Tics treten wiederholt, aber unregelmäßig auf und bestehen in Muskelzuckungen, besonders im Gesicht, an den Schultern und Armen, oder Lautäußerungen. Die Betroffenen nehmen häufig vor dem Einsetzen der Tics eine Art Aura als Vorbote wahr, die sich meist in einer zunehmenden Anspannung äußert. Tics können in einem gewissen Rahmen unterdrückt, selten aber verhindert werden. Sie verstärken sich häufig bei emotionalem Stress und sind im Schlaf abgeschwächt oder gar nicht vorhanden.
Die stärkste Ausprägungsform einer Tic-Störung, die sich in einer komplexen Kombination aus motorischen und vokalen Tics äußert, ist das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (kurz Tourette-Syndrom). Tic-Störungen treten besonders häufig im Kindesalter, etwa ab dem 7. Lebensjahr auf und sind im Erwachsenenalter nur noch selten zu beobachten. Etwa 5 bis 15 Prozent aller Kinder entwickeln bis zum 18. Lebensjahr eine Form des Tics, wobei diese bei Jungen häufiger als bei Mädchen auftreten. Eine Tic-Störung kann sich im Laufe der Zeit verändern, verstärken und auch ganz verschwinden.
Eine genaue Ursache der Tic-Störung ist bislang noch nicht bekannt. Man nimmt an, dass sie durch das Zusammenwirken verschiedener Einflüsse entsteht. Da Tic-Störungen innerhalb einer Familie gehäuft auftreten, geht man von einer genetischen Grundlage für die Tics aus. Ob psychische Faktoren wie eine strenge Erziehung oder Einschränkungen in der Kindheit eine Tic-Störung verursachen, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt. Neurologische und psychiatrische Forschungen ergeben, dass bei Tic-Störungen eine Veränderung in der Kommunikation der Gehirnzellen besteht. Es lassen sich Störungen in der Regulation von Hemmung und Enthemmung von Gehirnzellen durch die Botenstoffe des Gehirns, die so genannten Neurotransmitter, feststellen.
Andere Erkrankungen, die nicht zu den Tic-Störungen zählen, aber ähnliche Symptome zeigen können, sind verschiedene psychische Erkrankungen wie Zwangsstörungen, neurotische Störungen oder Epilepsien. Auch Bewegungsstörungen (Dyskinesien) die durch eine Erkrankung des Gehirns, der Nerven oder der Muskeln verursacht sind, können Tic-ähnliche Symptome zeigen. Manche Medikamente wie Neuroleptika können als Nebenwirkung Tics verursachen.
Grundsätzlich werden die Tic-Störungen in motorische (Bewegungen) und vokale (Lautäußerungen) Tics unterteilt. Motorische Tics sind häufig auf das Gesicht beschränkt und äußern sich in beispielsweise in Zuckungen der Mundwinkel oder Zwinkern. Komplexere motorische Tics können als „Zwangsbewegungen" auftreten, wie etwa unkontrolliertes Hüpfen oder das Berühren von Gegenständen. Vokale Tics sind unwillkürliche Lautäußerungen, die rein aus Lauten oder Silben bestehen können, sich jedoch auch in komplexerer Form als ganze Worte oder Sätze äußern können. Die Tics können einzeln oder auch in Kombination mehrerer Formen sowie mehr oder wenig häufig und stark ausgeprägt auftreten. Von einem Tourette-Syndrom spricht man, wenn mehrere motorische und mindestens ein vokaler Tic auftreten und diese über mehr als zwölf Monate bestehen bleiben.
Von einer vorübergehenden Tic-Störung spricht man, wenn die Tics nicht länger als zwölf Monate bestehen bleiben. Darüber hinaus wird sie als chronische Tic-Störung bezeichnet. Die meisten Betroffenen sind sich ihrer Tic-Störung nicht bewusst, insbesondere wenn es sich um einen einfachen, rein motorischen oder vokalen Tick wie Zwinkern oder Räuspern handelt. Allerdings können die Tics auch zu sehr schwerwiegenden Beeinträchtigungen des sozialen Lebens führen, was häufig bei komplexen vokalen Tics beobachtet wird. Zusätzlich treten häufig bei Tic-Störungen begleitend weitere psychische Auffälligkeiten wie das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) Depressionen, Zwangshandlungen oder Impulsivität auf.
Bei Verdacht auf eine Tic-Störung sollte ein Psychiater zu Rate gezogen werden. Bei Kindern sind spezialisierte Kinder- und Jungendpsychiater für die Diagnostik und Therapie von Tic-Störungen zuständig. Da die Betroffenen selbst ihre Tic-Störung selten wahrnehmen, ist es für den Arzt sehr wichtig, eine genau Beschreibung der Tics zu erhalten, am besten von mehreren Personen, die engeren Kontakt zu dem Betroffenen haben. Dabei ist der Beginn, die Art, Häufigkeit, Stärke und der Verlauf der Tic-Störung von großer Bedeutung. Sind die Kinder alt genug, können sie berichten, ob sie eine Art Vorboten des Tics empfinden und ob der Tic unterdrückt werden kann. In einigen Fällen kommt es vor, dass sich während der Untersuchungs- und Beratungszeit beim Arzt die Tics nicht zeigen, sodass dieser sie nicht selbst beurteilen kann. In einem solchen Fall können Video-Aufzeichnungen oder ein detailliertes Tagebuch hilfreich sein.
Wichtig sind außerdem die familiäre Situation und die persönliche Belastung des Betroffenen sowie das Auftreten weiterer Symptome oder Krankheiten. Im Rahmen der Diagnosesicherung einer Tic-Störung müssen auch Hinweise auf weitere Erkrankungen wie das ADHS und psychische Störungen untersucht und abgeklärt werden. Dazu eignen sich häufig spezielle Fragebögen, Interviews oder Konzentrationstests. Eine ausführliche körperliche Untersuchung durch einen Internisten und Neurologen ist unumgänglich. Körperliche Erkrankungen, die als Ursache für Tics in Frage kommen, müssen erst sicher ausgeschlossen sein, bevor die Diagnose Tic-Störung gestellt werden kann.
Weitere, insbesondere apparative Untersuchungen sind in der Regel nicht notwendig. Eine Ableitung der Gehirnströme (Elektroenzephalogramm, EEG) ist meist nur bei Verdacht auf eine Epilepsie notwendig. Auch die Untersuchung des Schädels mithilfe der Computer- oder Magnetresonanztomographie (CT bzw. MRT) und alle damit möglichen funktionellen Untersuchungen sollten nur in besonderen Fällen durchgeführt werden, da sie bei Tic-Störung keine Veränderungen zeigen und nicht zur Sicherung der Diagnose beitragen.
Die Behandlung einer Tic-Störung kann meist ambulant erfolgen, das heißt, dass kein Krankenhausaufenthalt notwendig ist. Nur wenn die Tic-Störung extrem ausgeprägt ist, schwierige zusätzliche Erkrankungen bestehen, eine ambulante Therapie keinen Erfolg gezeigt hat oder es der soziale Hintergrund nicht zulässt, sollte eine stationäre Betreuung vorgezogen werden. Die Basis jeder Therapie bei Tic-Störungen bildet die Aufklärung des Betroffenen, seiner Familie und näherem Umfeld über die Krankheit und ihre Folgen. Stimmen Eltern und Kinder zu, können auch Lehrer und weitere Kontaktpersonen informiert und aufgeklärt werden. Dabei ist es wichtig, dass allen Beteiligten vermittelt wird, dass eine Tic-Störung kein Zeichen einer körperlichen oder seelischen Behinderung ist und schon gar nicht als Intelligenzminderung zu werten ist.
Die Äußerungen oder Gesten des Betroffenen sind ungewollt und dürfen nicht als Beleidigung oder Ähnliches fehl interpretiert werden. Zusätzlich sollten die Betroffenen gut im Umgang mit ihren Tics geschult werden. Sie sollen lernen, in welchen Situationen die Tics gehäuft auftreten und bekommen Anweisungen, wie sie in solchen Fällen zu reagieren haben. Eine Verhaltenstherapie zeigt in vielen Fällen einen guten Behandlungserfolg.
Spezielle Medikamente können die Symptomatik vieler Patienten deutlich verbessern. Zum Einsatz kommen vor allem Tiaprid, Risperidol und Pimozid. Da jeder Mensch unterschiedlich auf diese Medikamente reagiert, muss gelegentlich besonders zu Beginn der Therapie zwischen dem Nutzen und den Nebenwirkungen der Präparate abgewogen werden. Weitere Medikamente können notwendig werden, wenn zusätzlich psychische Erkrankungen bestehen, die mit den entsprechenden Mitteln behandelt werden können.
Um einen guten Erfolg durch eine solche kombinierte Therapie erzielen zu können, müssen folgende Punkte beachtet werden:
Die Prognose einer Tic-Störung ist insgesamt sehr gut. Häufig legen sich die Tics im Laufe des Lebens von selbst oder konzentrieren sich auf einen „kleinen Tic", der im Alltag als wenig beeinträchtigend empfunden wird. Das Tourette-Syndrom ist dagegen eine chronische Störung, die jedoch mit einer guten Therapie mit einer guten Lebensqualität zu vereinbaren ist.
Letzte Aktualisierung am 15.12.2020.