Mit 25 bis 30 Prozent der Fälle ist bei einem Unterkieferbruch der am häufigsten betroffene Anteil der Gelenkfortsatz. Beim Gelenkfortsatz (Processus condylaris) handelt es sich um den Teil des Unterkieferknochens, der an das Kiefergelenk grenzt. Das Gelenkköpfchen, der oberste Teil des Gelenkfortsatzes, ist an diesem Gelenk beteiligt und bildet dieses zusammen mit einer Vertiefung im Schläfenbein. Den Gelenkfortsatz bezeichnen Ärzte als Schwachstelle, weil der dortige Knochen verhältnismäßig empfindlich ist und etwas leichter als an anderen Stellen des Unterkiefers bricht. Ein Unterkieferbruch ist allgemein sehr schmerzhaft und schränkt die Beweglichkeit und die Belastbarkeit erheblich ein.
Diese Art von Unterkieferbruch ist fast immer Folge von Gewalteinwirkung. Ursache können Stürze sein, die Folge eines Schlags oder eines Unfalls. Die Fraktur des Gelenkfortsatzes kommt besonders häufig nach einem Schlag gegen den Unterkiefer vor.
Daneben gibt es deutlich seltener auch Fälle von Brüchen am Unterkiefer-Gelenkfortsatz, bei denen nur geringe Krafteinwirkung vorgelegen hat. Dann ist die Rede von einer pathologischen Fraktur, zu der es kommen kann, wenn der Knochen bereits vorgeschädigt ist. Der Grund kann eine Erkrankung des Knochens oder eine Ermüdung (ständige Überlastung des Knochens) sein. Ermüdungsbrüche sind in der Kieferheilkunde statistisch allerdings selten.
Die Gelenkfortsatzfraktur lässt sich weiter unterteilen nach dem genauen Ort und der Ausrichtung, in der der Bruch liegt:
Wenn zusätzlich der Gelenkkopf des Unterkiefers aus der Gelenkpfanne springt, spricht man jeweils auch von einer Luxationsfraktur. Nach der Art des Bruches richtet sich auch die Therapie.
Die Diagnose gehört in die Hand eines Arztes. Das kann die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses sein, aber auch eine kieferchirurgische Praxis ist als Ansprechpartner geeignet. Wird der Patient mit dem Rettungswagen abtransportiert, klären Sanitäter beziehungsweise Notarzt, welche Praxis oder Klinik angefahren wird.
Folgende Hinweise deuten auf eine Fraktur am Gelenkfortsatz:
Schmerzen treten besonders bei Druck auf die Stelle in der Nähe des Kiefergelenks oder auch auf den seitlichen Unterkiefer oder das Kinn auf. Meist zeigt sich an den vorderen Zähnen ein offener Biss und der Unterkiefer ist zur Seite des Knochenbruchs hin verschoben. An dieser Seite ist er meist auch nach hinten verschoben. Dabei gibt es aber Ausnahmen, manchmal steht der Unterkiefer an der Seite nach vorne. Sollte beim Betroffenen an beiden Seiten ein Bruch des Gelenkfortsatzes bestehen, dann ist der Unterkiefer allgemein nach hinten versetzt.
Es wird zwischen unsicheren und sicheren Frakturzeichen unterschieden. Unsichere Zeichen sind Schmerzen bei Berührung, Blutungen und eine eingeschränkte Beweglichkeit. Diese Zeichen treten auch bei schweren Prellungen auf. Um die Fraktur von einer Prellung zu unterscheiden, werden genaue Untersuchungen vorgenommen.
Der Arzt betrachtet den Kiefer, untersucht ihn mit der gebotenen Vorsicht und berücksichtigt dabei auch eine mögliche Veränderung beim Schließen des Kiefers. Eine abnorme Beweglichkeit des Kiefers und Reibegeräusche (Krepitation) liefern sichere Hinweise auf einen vollständigen Bruch. Auch Abweichungen der Zahnstellungen sind wichtige Hinweise. Mit einer Röntgenaufnahme und gegebenenfalls einer Computertomografie (CT) schließt das Diagnoseverfahren ab.
Wenn mehrere Verletzungen vorliegen, nimmt der Betroffene vor allem die Körperregionen verstärkt war, die besonders schwer verletzt sind. Das lenkt von weiteren Verletzungen ab, die aber ihrerseits ebenfalls behandlungsbedürftig sein können. Aus diesem Grund untersucht der Arzt grundsätzlich den gesamten Körper nach möglichen Schäden.
Ist der Knochen nicht aufgrund einer größeren Gewalteinwirkung gebrochen, liegt also eine pathologische Fraktur vor, sorgt der Arzt auch für weitere Untersuchungen des Knochengewebes. Hier ist eine allgemeine Schädigung des Knochengewebes oder eine Grunderkrankung auszuschließen. In solchen Fällen muss die Ursache gefunden und behandelt werden.
Für eine gute Bruchheilung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Berühren sich die Knochenenden nicht, kann zwar eine bindegewebige Struktur eine gewisse Haltbarkeit wiederherstellen. Sie ist aber mit Knochengewebe nicht zu vergleichen. Wird der Bereich nur schlecht durchblutet, dauert die Heilung sehr lange. Bewegung in dem Bereich sorgt außerdem dafür, dass sich keine feste neue Verbindung bilden kann. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Falschgelenk (Pseudarthrose) bildet und der Unterkiefer übermäßig beweglich wird. Bei der Ausheilung kann es außerdem zu Komplikationen wie Entzündungen kommen.
Bis zur kompletten Wiederherstellung können Monate vergehen. Je nach Ausmaß und Lokalisation des Bruches können außerdem Einschränkungen zurückbleiben.
Die Entscheidung über die sinnvolle Behandlung ist abhängig von der Schwere der Verletzung und der Lage des Bruchs. Auch das Alter und die Prognose spielt dabei eine Rolle. Die Therapie muss später wieder ein normales Kauen und Sprechen ermöglichen und eine möglichst gerade Gebissstellung bewirken.
Bei Brüchen unterhalb etwa des mittleren Bereiches des Gelenkfortsatzes (beziehungsweise des Collums) mit erheblicher Verschiebung wird der Kiefer operativ gerichtet. Das geschieht unter lokaler Betäubung oder unter Vollnarkose. Anschließend der Bruch geschlossen, wofür verschiedene Methoden zur Verfügung stehen (Osteosynthese mit Platten/Schrauben). Je nach Bruch werden die Platten und Schrauben später wieder entfernt oder verbleiben ein Leben lang im Kiefer.
Bei wenig verschobenen Brüchen wird eine Behandlung ohne OP (konservative Therapie) durchgeführt. Dazu müssen Oberkiefer und Unterkiefer für einige Wochen mit Drähten beziehungsweise Gummibändern im Mundraum miteinander verbunden werden (mandibulo-maxilläre Fixation). Um im Notfall (beispielsweise Erbrechen) ein Öffnen des Mundes zu ermöglichen, müssen Patienten immer eine Schere dabei haben.
Zu den weiteren Behandlungsmöglichkeiten bei bestimmten Gelenkfortsatzfrakturen gehört die Therapie mit einem sogenannten Aktivator, einem Gerät zur Bissführung. Der Aktivator eignet sich beispielsweise zur Behandlung bei hohen Brüchen am Collum oder am Condylus.
https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-15582/Dissertation_pdfa1b.pdf
aktualisiert am 16.11.2023