Präeklampsie ist eine Schwangerschaftserkrankung, die durch eine kranke Plazenta verursacht wird und ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel auftreten kann. Sie führt zu erhöhtem Blutdruck und möglichen Organschäden bei der Mutter. Zu den Symptomen gehören Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen und Sehstörungen; in schweren Fällen können lebensbedrohliche Komplikationen wie Krampfanfälle oder Organschäden auftreten.
Dr. Lorenz-Meyer: Präeklampsie ist eine Erkrankung, die ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel auftreten kann und durch einen kranken Mutterkuchen ausgelöst wird. Aus verschiedenen Gründen bilden sich Stoffe, die bei der werdenden Mutter einen erhöhten Blutdruck und andere, meist vorübergehende, Organschäden auslösen. Manche Frauen entwickeln dann schnell zunehmende Wassereinlagerungen, andere scheiden mehr Eiweiß im Urin aus, was einen Nierenschaden zeigt. Auch schwerwiegendere Symptome wie starke Kopfschmerzen bis hin zum Krampfanfall, Blutungen in der Leber oder im Gehirn können auftreten.
Dr. Lorenz-Meyer: Vor dem zweiten Schwangerschaftsdrittel tritt eine Präeklampsie nicht auf. In ca. 1/3 der Fälle tritt die Präeklampsie vor der 34. Schwangerschaftswoche auf, was dann bei einer nötigen Entbindung auch Folgen für das zu früh geborene Kind hat. Ca. 2/3 der Präeklampsien treten nach der 34. SSW auf, sodass vor allem die Überwachung der Mutter und die Verhinderung der Komplikationen im Vordergrund steht. Als Symptome berichten Frauen häufiger von Kopfschmerzen, zunehmenden Wassereinlagerungen, Sehstörungen oder auch rechtsseitigen Oberbauchschmerzen. Die typischen Symptome Bluthochdruck oder eine erhöhte Eiweißausscheidung bemerken Schwangere nicht unbedingt selbst, deswegen ist es wichtig, beim Frauenarzt eine Kontrolle zur veranlassen.
Vor dem zweiten Schwangerschaftsdrittel tritt eine Präeklampsie nicht auf.
Dr. Lorenz-Meyer: Risikofaktoren, die das Risiko einer Präeklampsie steigern sind:
Dr. Lorenz-Meyer: Ein erhöhtes Alter der Mutter und ein vorbestehender Bluthochdruck sind tatsächlich Risikofaktoren für die Entwicklung einer Präeklampsie. In der Medizin kann man ein erhöhtes Risiko mit dem relativen Risiko (RR) im Vergleich zu Nicht-Betroffenen angeben, sodass man die Relevanz eines Risikofaktors besser einschätzen kann.
Dr. Lorenz-Meyer: Ziel der Früherkennung ist die Verhinderung von Komplikationen bei Mutter und Kind, da es bisher noch keine ursächliche Behandlung gibt. Das heißt, man sollte vor allem einen zu hohen Blutdruck rechtzeitig behandeln und auch wissen, ob eine Frühgeburt droht und eine Behandlung nicht in jedem Krankenhaus (zum Beispiel ohne Kinderstation) möglich ist. Selten treten bei Präeklampsie auch eine vorzeitige Plazentaablösung auf, was einen Notfall mit sofortiger Handlung erfordert. Daher ist es, auch wenn die schweren Komplikationen nicht häufig sind, wichtig, das Risiko der Patientin zu kennen.
Dr. Lorenz-Meyer: Wenn die Symptome nicht kontrollierbar sind, bleibt nur noch die rechtzeitige Entbindung. Dies bedeutet nicht unbedingt zwangsläufig einen Kaiserschnitt. Wenn eine Frau mit Präeklampsie sich gut fühlt, sie mit Medikamenten gut eingestellt ist und keine starken Kopfschmerzen, übermäßige Reflexe oder Sehstörungen sowie Laborauffälligkeiten bestehen, kann man auch vorzeitig die Geburt einleiten.
Generell gilt aber: Je früher in der Schwangerschaft Symptome der Präeklampsie auftreten, desto häufiger ist doch ein Kaiserschnitt nötig.
Dr. Lorenz-Meyer: Die genauen Abläufe (Pathomechanismen) bei der Entwicklung der Präeklampsie sind immer noch nicht genau geklärt. In jedem Falle spielen immunologische Faktoren aber eine Rolle. So kann man erklären, warum Frauen nach Eizellspende, also mit einer genetisch fremden Plazenta, häufiger eine Präeklampsie entwickeln. Bei Frauen mit künstlicher Befruchtung allein sind die Mechanismen bisher nicht ganz geklärt, ein Faktor können natürlich aber auch andere Vorerkrankungen oder Gegebenheiten sein, die auch damit assoziiert sind, dass die Frau nicht von allein schwanger geworden ist.
Dr. Lorenz-Meyer: Ja, die gibt es! Wenn im Ersttrimester-Screening auch ein erhöhtes Präeklampsierisiko von über 1:100 gefunden wird, empfehlen Ärzte den schnellstmöglichen Beginn mit einer Medikation mit 150mg Aspirin täglich. Dies führt bei Betroffenen zu einem späteren Auftreten einer Präeklampsie und zu weniger Komplikationen. Eine Empfehlung zur ASS-Gabe für alle Frauen gibt es jedoch nicht. In Ländern, in denen durch die Ernährung zu wenig Calcium aufgenommen wird, wird auch die Einnahme von Calcium empfohlen. Andere Maßnahmen wie z.B. die Einnahme von Fischöl, Vitamin D oder salzarme Kost haben sich in größeren Studien aber nicht als Präventionsstrategie bewährt.
Dr. Lorenz-Meyer: Die Diagnose einer Präeklampsie wird gestellt, wenn eine Frau einen Blutdruck von größer gleich 140/90 mmHg mit einer weiteren Organbeteiligung, z.B. einer relevanten Eiweißausscheidung, Kopfschmerzen, Laborveränderungen, neurologischen Auffälligkeiten, Nierenschaden, Leberauffälligkeiten oder auch eine mangelndes Wachstum des Fetus aufweist. Als spezifischen Labortest kann man auch noch den sFlt-1/PlGF-Quotienten messen.
Spezifisch heißt, dass dieser Test nur auffällig ist, wenn die Patientin auch wirklich Symptome hat, die mit dem ursächlich erkrankten Mutterkuchen in Verbindung stehen. Frauen, die z.B. aus einem anderen Grund einen erhöhten Blutdruck haben, weisen keinen erhöhten sFlt-1/PlGF Quotienten auf, wenn der Mutterkuchen gesund ist.
Als spezifischen Labortest kann man auch noch den sFlt-1/PlGF-Quotienten messen.
Dr. Lorenz-Meyer: Gemeint ist der sFlt-1/PlGF Quotient. Der Test besteht aus der Messung zweier Eiweißmoleküle, die unterschiedliche Effekte haben. sFlt-1 ist ein Faktor, der Wirkstoffe, die eigentlich für eine Gefäßstabilität sorgen, bindet und damit inaktiviert. Dieser Stoff wird in einem kranken Mutterkuchen vermehrt produziert. PlGF stellt als Plazentarer Wachstumsfaktor einen „Gefäßstabilisator“ dar und wird auch von sFlt-1 gebunden. Bei einer Präeklampsie kann man damit sFlt-1 in vermehrtem Maße im Blut betroffener Frauen messen, PlGF ist durch die Bindung weniger vorhanden.
Der Quotient beider Faktoren ist damit bei erkrankten Frauen und auch Frauen, die in den nächsten Wochen erkranken werden, erhöht. Wenn Frauen in der Schwangerschaft also unklare Symptome aufweisen (z.B. für Kopfschmerzen oder Wassereinlagerungen gibt es viele Gründe, auch ungefährliche oder Gründe, die anderweitig abgeklärt werden müssen), dann kann man im Blut diesen Quotienten messen und weiß dann Bescheid, inwieweit ein Risiko für die Patientin oder das Baby besteht, präeklampsie-assoziierte Komplikationen zu entwickeln.
Dr. Lorenz-Meyer: Das hängt von der Schwangerschaftswoche ab. Frauen, die nach 37+0 SSW eine Präeklampsie entwickeln, sollten zeitnah entbinden. Das heißt, man würde, soweit sich die Frau gut fühlt, eine Geburtseinleitung stationär durchführen und die Symptome überwachen, bzw. den Blutdruck mit Medikamenten einstellen. Wenn Symptome nicht kontrollierbar sind, wird ein Kaiserschnitt durchgeführt. In früheren Schwangerschaftswochen, vor allem vor 34+0 SSW, würde man im Sinne des Ungeborenen versuchen, die Schwangerschaft unter stationären Bedingungen zu verlängern.
Befürchtet man eine Frühgeburt vor 34+0 SSW, wird der Patientin für die Reifung der kindlichen Lunge ein Kortisonpräparat verordnet. In jedem Falle gilt: Eine Patientin mit einer Präeklampsie sollte nicht ambulant überwacht werden und sobald Symptome nicht stabil sind, muss die Entbindung erfolgen.
Frauen, die nach 37+0 SSW eine Präeklampsie entwickeln, sollten zeitnah entbinden.
Dr. Lorenz-Meyer: Die Präeklampsie kann bis heute ursächlich leider nur durch die Entbindung behandelt werden, da der seit Schwangerschaftsbeginn kranke Mutterkuchen nicht geheilt werden kann. Symptomatisch werden verschiedene Blutdruckmittel eingesetzt, auch eine Magnesiuminfusion gegen Krämpfe ist manchmal nötig. In Forschungsarbeiten wurden bereits verschiedene Mittel getestet, die die Präeklampsie behandeln oder verbessern sollen, einen bahnbrechenden Durchbruch gab es bisher allerdings nicht.
Dr. Lorenz-Meyer: Frauen, die einmal eine Präeklampsie hatten, haben ein 2-3 mal höheres Risiko, später einmal einen Schlaganfall oder Herz-Kreislauferkrankungen zu entwickeln. Insofern kann man die Erkrankung auch als „Warnschuss“ begreifen, möglichst alle Faktoren, die man selbst optimieren kann, auch anzupassen. Hierzu gehört z.B. eine gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion, Sport und das Aufhören mit dem Rauchen. Weiterhin sollten betroffene Frauen regelmäßig zu einem Internisten gehen, der den Blutdruck, die Herzfunktion und relevante Blutparameter überwacht.
Eine angeborene Veranlagung zur Erkrankung kann man ggf. selbst nur wenig beeinflussen, dafür kann eventuell eine ursächliche Erkrankung (z.B. Autoimmunerkrankung, Fettstoffwechselstörung, Gerinnungsstörung) ggf. durch passende Medikamente behandelt werden.
Frauen, die einmal eine Präeklampsie hatten, haben ein 2-3 mal höheres Risiko, später einmal einen Schlaganfall oder Herz-Kreislauferkrankungen zu entwickeln.
Dr. Lorenz-Meyer: Ja. Das Risiko für eine erneute Präeklampsie hängt von der Schwangerschaftswoche und der Schwere der Erkrankung der Erstmanifestation ab und liegt zwischen ca. 15 und 55%. Man hat also auch eine gute Chance, dass die Erkrankung nicht erneut auftritt oder zumindest weniger schwer, vor allem, wenn in der erneuten Schwangerschaft rechtzeitig Aspirin eingenommen wurde.
Dr. Lorenz-Meyer: In den letzten 20 Jahren wurde vor allem der Pathomechanismus der Präeklampsie, der mit der Bildung anti-angiogener Faktoren (vor allem sFlt-1 und PlGF) zusammenhängt, besser verstanden. Dank dieser Faktoren, die man als Bluttest nutzen kann, fällt es Ärztinnen und Ärzten leichter, das Risiko für Komplikationen von Patientinnen besser einzuschätzen.
Bahnbrechend waren weiterhin die Erkenntnisse zur Aspirin-Prophylaxe. Leider gibt es aber immer noch keine kausale Therapie für die Erkrankung, was daran liegt, dass die Ursache der Erkrankung am Anfang der Schwangerschaft in einer gestörten Plazentaentwicklung liegt und die Folgen aber erst spät auftreten.
Dr. Lorenz-Meyer: Neben einer besseren Verbreitung von Wissen über die Früherkennung von Risikopatientinnen und die adäquate Behandlung mit Acetylsalicylsäure wünschen wir uns natürlich modernere Medikamente, die die Erkrankung auch ursächlich behandeln. Hier gibt es auch immer wieder Arzneimittelstudien mit kleineren Erfolgen. Aktuell gibt es vor allem ein Umdenken im Umgang mit der passenden Blutdruckmedikation. Jahrzehntelang wurden Blutdruckmittel verwendet, die zwar gut in Hinblick auf die Verträglichkeit beim Fetus getestet waren, aber nicht unbedingt den modernen Standards in der nachhaltigen Behandlung von Bluthochdruck entsprachen. Hier ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie der Kinderheilkunde und auch Internisten nötig.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 03.09.2024.