Die diabetische sensomotorische Polyneuropathie (DSPN) ist eine durch dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte verursachte Nervenschädigung, die Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen wie Schmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Muskelschwäche auslöst. Sie tritt bei etwa 30% der Menschen mit Diabetes auf. Sie beginnt meist an den Füßen oder Händen und schreitet in Richtung Körpermitte fort. Ein asymptomatischer Verlauf ist ebenfalls möglich. Während Risikofaktoren wie Blutdruck, Gewicht, Cholesterinwerte oder genetische Veranlagung die Entstehung beeinflussen, wirken eine gute Blutzuckereinstellung, ein gesunder Lebensstil und eine gezielte Reduktion der Risikofaktoren vorbeugend. Die Behandlung umfasst medikamentöse Schmerztherapien, die Substitution von Vitaminen, die Gabe von Alpha-Liponsäure, physikalische Verfahren wie die Hochtontherapie und in speziellen Fällen die Rückenmarkstimulation.
Dr. Stirban: Die DSPN beruht auf einer Nervenschädigung aufgrund chronisch erhöhter Blutzuckerwerte im Rahmen des Diabetes mellitus. DSPN ist gekennzeichnet durch Veränderungen der Wahrnehmung oder Veränderungen der Beweglichkeit. Veränderungen der Beweglichkeit reichen von einer Abnahme der Muskelkraft bis hin zu Lähmungen oder Kontrakturen (krampfhaftes Zusammenziehen) einiger Muskeln, was zu Fehlstellungen und Fehlbelastung führt. Fehlstellungen wie z. B. Krallenzehen und die Entstehung von Druckstellen können zu einem diabetischen Fußsyndrom (DFS) führen.
Zu den Veränderungen der Wahrnehmung im Rahmen der DSPN gehören:
Dr. Stirban: Etwa 30% der Patienten mit Diabetes mellitus weisen eine DSPN auf. In bis zu 50% der Fälle kann die DSPN asymptomatisch verlaufen (die Betroffenen merken nichts). Die klinische Manifestation beginnt in der Regel distal an Füßen und/oder Händen und schreitet über die Jahre Richtung Körpermitte voran. Frühzeitig sieht man aber mit speziellen Untersuchungsmethoden (z. B. Kernspintomographie), dass auch das Zentrale Nervensystem (Rückenmark und Gehirn) betroffen sind. Bei der DSPN handelt es sich also keinesfalls um eine ausschließlich peripher beginnende Erkrankung.
Etwa 30% der Patienten mit Diabetes mellitus weisen eine DSPN auf.
Dr. Stirban: Genetische Faktoren spielen bei der Entstehung der DSPN eine bedeutende Rolle, diese können sowohl schützend als auch fördernd wirken.
Dr. Stirban: Faktoren wie Geschlecht, Alter, Blutdruck, Gewicht, Cholesterinwerte etc. spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Entstehung der diabetischen Neuropathie. Die Reduzierung der beeinflussbaren Risikofaktoren kann insbesondere bei Typ-2-Diabetes vor der Entstehung einer DSPN schützen.
Dr. Stirban: Die Diagnose einer DSPN ist eine Ausschlussdiagnose. Die Unterscheidung von den weiteren genannten Neuropathien ist klinisch schwierig, wichtig ist eine ausführliche Anamnese z. B. hinsichtlich eines Alkoholkonsums, einer beruflichen Exposition an toxische Substanzen, erfolgte Chemotherapie, etc.
Durch Blutbestimmungen können ebenfalls andere Ursachen ausgeschlossen werden wie beispielsweise endokrine Erkrankungen (z. B. eine Unterfunktion der Schilddrüse), Vitamin-Unterversorgung (z. B. vom Vitamin B12 - häufig bei Patienten unter Metformin-Therapie oder bei magensäurereduzierender Therapien), etc.
Die Diagnose einer DSPN ist eine Ausschlussdiagnose.
Dr. Stirban: Beim Typ-2-Diabetes kommt eine DSPN frühzeitiger vor als beim Typ-1-Diabetes, auch weil Typ-1-Diabetiker in der Regel jünger sind und weil sich bei Typ-2-Diabetes die Risikofaktoren, die zur Entstehung einer Neuropathie führen, komplexer darstellen.
Dr. Stirban: Das Screening auf DSPN sollte einmal jährlich in der Hausarztpraxis oder beim Diabetologen erfolgen, durch Ärzte, speziell ausgebildete medizinische Fachangestellte, Wundmanager oder Diabetesberater. Zum Screening gehören:
Dr. Stirban: Das wichtigste ist die Prophylaxe der DSPN mittels Reduzierung von Risikofaktoren. Dazu gehören eine optimale Stoffwechseleinstellung und bei Typ-2-Diabetes eine gesunde Lebensweise mit ausreichender Bewegung. Die medikamentöse Therapie erfolgt bei symptomatischer DSPN mittels schmerzlindernder Substanzen, die entweder über den Mundweg eingenommen werden oder lokal (z. B. hochdosiertes Capsaicinpflaster) appliziert werden. Bei Bedarf besteht auch die Möglichkeit, die DSPN mit einer Vitaminsubstitution (Vitamin B1 oder Vitamin B12) oder dem Antioxidans Alpha-Liponsäure zu therapieren.
Nicht-medikamentöse Therapie sind z. B. die Hochtontherapie (elektrische Muskelstimulation) oder bei schwierigen Fällen die Rückenmarkstimulation mit einem schrittmacherähnlichen Gerät. Die Therapie der DSPN ist also sehr komplex und sollte immer von einem erfahrenen Arzt gesteuert werden.
Das wichtigste ist die Prophylaxe der DSPN mittels Reduzierung von Risikofaktoren.
Dr. Stirban: Die Rückenmarkstimulation ist zwar keine neue Methode, wird aber immer noch sehr selten eingesetzt. Mittlerweile wissen wir, dass die wissenschaftliche Evidenz für diese Methode sehr gut ist. Der limitierende Faktor ist, dass nur ausgewiesene Zentren in der Lage sind, die Stimulatoren zu implantieren.
Dr. Stirban: Eigentlich sollte man individuell darauf eingehen, leider sieht die Realität bei der Therapiewahl anders aus. Schmerzmittel wie z. B. Pregabalin, Gabapentin oder Opioide sind nur bei schmerzhafter Neuropathie wirksam. Da aber auch Patienten mit anderen Missempfindungen damit fälschlicherweise therapiert werden, haben wir eine hohe Rate an Nebenwirkungen und eine geringere Rate an therapeutischen Erfolgen. Nicht schmerzhafte Missempfindungen und insbesondere negative Symptome können am besten mit Alphaliponsäure oder Vitaminsubstitution therapiert werden.
Dr. Stirban: Die Blutzuckerkontrolle spielt eine zentrale Rolle sowohl bei der Vorbeugung einer DSPN, als auch bei der Therapie. Die Grenzen werden individuell gestellt je nach Alter des Patienten und Typ der Diabetestherapie, Vorhandensein anderer Erkrankungen, etc.
Dr. Stirban: Sie sollten eine optimale Diabeteseinstellung anstreben sowie einen gesunden Lebensstil mit ausreichend viel Bewegung. Wenn eine DSPN allerdings schon vorhanden ist, muss darauf geachtet werden, dass passendes Schuhwerk (bequeme Schuhe oder sogar spezielle Schuhe für Diabetiker, bei Patienten mit hohem Risiko für die Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms) getragen wird.
Sie sollten eine optimale Diabeteseinstellung anstreben sowie einen gesunden Lebensstil mit ausreichend viel Bewegung.
Dr. Stirban: Wir empfehlen unseren Patienten, insbesondere wenn eine DSPN vorhanden ist, sich ihre Füße täglich anzuschauen - entweder in einem Spiegel oder mithilfe eines Familienangehörigen. Trockene Haut ist täglich einzucremen. Bei Vorhandensein von Rötungen, Druckstellen und insbesondere Blut- und Eiteraustritt sollte sofort ein Arzt konsultiert werden.
Dr. Stirban: Eine wichtige Botschaft ist, dass eine DSPN sich zumindest teilweise zurückbilden kann und das sogar in fortgeschrittenen Stadien. Dabei sind die zuvor erwähnten Maßnahmen rund um Blutzuckerstabilität sowie Lebensstil erforderlich.
Dr. Stirban: Obwohl einfach zu diagnostizieren, wird die Diagnose DSPN viel zu selten gestellt. In einer Studie mit älteren Personen konnte gezeigt werden, dass auch in Deutschland etwa 70% der Menschen mit DSPN keine entsprechende Diagnostik oder Therapie erhalten haben. Jedes Tool, das zum Screening und einer früheren Diagnostik der DSPN führen kann, ist deshalb willkommen. Entsprechende Entwicklungen sind auf dem Weg.
Dr. Stirban: Es wird weiterhin intensiv nach Behandlungen gesucht, die sowohl die Symptome der DSPN als auch die Grunderkrankung, also die Nervenschädigung, ansprechen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 11.08.2025.