Angststörungen fassen eine Gruppe von Störungen zusammen, die durch eine übersteigerte Angstreaktion bei gleichzeitiger Abwesenheit äußerer Gefahren oder Bedrohungen gekennzeichnet sind. Sie gehören zu den häufigsten, psychischen Erkrankungen.
Anhand der Symptome, der auslösenden Situationen, des Verlaufs und der Dauer der Angstreaktion werden die Angststörungen eingeteilt.
Man unterscheidet:
Bis heute ist keine einheitliche Ursache der Angsterkrankungen bekannt. Vermutlich liegt ein Zusammenspiel erblicher, neurobiologischer und psychologischer Faktoren zugrunde. So scheinen zum Beispiel genetische Faktoren für die Entstehen verschiedener Angststörungen bedeutsam, wenngleich bislang noch kein einzelnes verantwortliches Gen identifiziert werden konnte. Verwandte von Patienten leiden aber häufiger als andere ebenfalls an Angststörungen. Auch bei eineiigen Zwillingen treten Angststörungen häufiger gleichzeitig auf, als bei zweieiigen. Eine große Bedeutung bei der Entstehung von Angstattacken spielen neurobiologische und chemische Vorgänge im Gehirn.
Bei Angststörungen ist vermutlich das Gleichgewicht von Botenstoffen (Neurotransmittern) wie etwa Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Noradrenalin und Serotonin im Gehirn gestört. Bei Angst-Patienten wurden zudem Besonderheiten in bestimmten Gehirnbereichen, im sog. „limbischen System“ beobachtet.
Auch psychische Faktoren sind bei der Entstehung von Angsterkrankungen beteiligt. Dabei spielen frühere seelische Belastungen wie traumatische Kindheitserlebnisse eine Rolle, aber auch aktuelle Stressoren wie anhaltende berufliche oder partnerschaftliche Belastungen etc. eine Rolle. Den psychoanalytischen Theorien liegt der Gedanke zu Grunde, dass bestimmte psychische Strukturen infolge biographischer belastender oder traumatischer Erfahrungen, schlechten Entwicklungsbedingungen oder aus sonstigen Gründen mangelhaft ausgebildet wurden. Daraus resultiert, dass schon kleinere innere oder äußere Bedrohungen nicht mehr bewältigt werden können und so die Angst unmittelbar und scheinbar grundlos durchbricht.
Aus verhaltenstheoretischer Sicht sind Angsterkrankungen wesentlich durch Lernerfahrung erworbene Störungen. Am Beginn steht häufig eine zufällige schlechte Erfahrung in einer eigentlich neutralen oder sogar positiven Situation (etwa ein Unfall während einer Autofahrt). Die aufgetretenen Angstgefühle führen dazu, dass die ehemals neutrale Situation (in diesem Beispiel das Autofahren) vermieden wird. zufällig Angstauslösender Stimulus, der zu einer Panikreaktion führt. Durch das Vermeidungsverhalten wird die Angst aber aufrechterhalten. Die in der Angstsituation wahrgenommenen körperlichen Symptome (Herzrasen, Schwindel etc.) werden vom Betroffenen in Zukunft als drohende Gefahr fehl interpretiert und dieser Teufelskreis führt zu einer immer weiteren Zunahme der Angst.
Bei der Agoraphobie besteht eine ausgeprägte Angst in einer Reihe von öffentlichen Situationen außerhalb des eigenen Hauses. Die häufigsten Situationen sind Menschenmengen, Kaufhäuser, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Autofahrten. Die Ängste der Patienten richten sich dabei vor allem darauf, einen akuten und körperlich bedrohlichen Zustand wie z.B. einen Herzinfarkt oder einen Ohnmachtsanfall zu erleiden und/oder die Kontrolle über sich zu verlieren („verrückt“ zu werden oder etwa in peinlicher Weise das Aufsehen anderer Menschen zu erregen). Ein weiteres Merkmal der Agoraphobie ist die sog. Erwartungsangst, d.h. ein intensives Angsterleben, das bereits im Vorfeld der entsprechenden Situation auftritt und in der Regel zu einem Vermeidungsverhalten führt. Dies kann bedeuten, dass die Patienten ihren Lebensradius um der Vermeidung der angstauslösenden Situation willen erheblich einschränken und im Extremfall nicht mehr in der Lage sind, die Wohnung zu verlassen. Die Agoraphobie kann von einer Panikstörung begleitet sein.
Merkmal dieser Störung ist eine übermäßige Angst in zwischenmenschlichen Situationen, in denen sich der Betreffende im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Bewertung durch andere Personen erlebt. Die Furcht richtet sich darauf, sich zu blamieren, negativ bewertet zu werden oder peinlich aufzufallen. Viele befürchten, dass genau diese Angst von anderen bemerkt wird und sie somit als unsicher, schwach oder minderwertig eingeschätzt werden. Körperliche Symptome wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Erröten, Harn- oder Stuhldrang sind die häufigsten Angstanzeichen. Auch bei dieser Form der Angsterkrankung tritt Vermeidungsverhalten auf und führt nicht selten dazu, dass die Patienten sozial isoliert leben oder berufliche Chancen nicht nutzen können.
Diese Form der Angsterkrankung zeichnet sich durch eine anhaltende Angst vor einer umgrenzten Situation oder einem umschriebenem Objekt aus. Am häufigsten sind phobische Ängste vor Tieren (Schlangen, Hunde, Spinnen usw.) oder vor bestimmten Situationen der natürlichen Umwelt (z.B. Höhen, Gewitter). Im Gegensatz zu der Agoraphobie zeigt sich bei den isolierten Phobien eine klare Begrenztheit auf einzelne Situationen. Typisch ist ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, das nicht unbedingt zu einer merklichen Beeinträchtigung der Lebensführung steht, so dass häufig auch kein ausgeprägter Leidensdruck bei den Betroffenen besteht.
Typisches Merkmal dieser Form der Angsterkrankung sind wiederholt auftretende Panikattacken, die nicht durch bestimmte Situationen ausgelöst werden und für den Patienten nicht vorherzusehen bzw. nicht durch Vermeidungsverhalten kontrollierbar. Panikattacken treten plötzlich auf und erreichen innerhalb weniger Minuten ihr Maximum mit ausgeprägten körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schweißausbruch, Atembeschwerden, Schwindel oder Übelkeit. Häufig werden stehen für den Betroffenen die körperlichen Symptome in Mittelpunkt und die panische Angst wird als Folge dieser Symptome interpretiert. Aus diesem Grund wenden sich die Patienten in der Regel zunächst an Notfallambulanzen und sind sich der psychischen Ursache ihrer Beschwerden nicht bewusst. Hinweise auf unauffällige körperliche Befunde zeigen allenfalls kurz eine beruhigende Wirkung und häufig besteht der Wunsch nach immer aufwendigeren medizinischen Untersuchungen zur Identifizierung der vermeintlich körperlichen Ursachen.
Die generalisierte Angststörung (GAS) ist gekennzeichnet durch anhaltende und nicht an bestimmte Situationen gebundene Ängste und Sorgen, sie tritt im Gegensatz zur Panikstörung nicht anfallsartig auf. Für einen Patienten mit einer generalisierten Angststörung ist alles risikoreich und potentiell bedrohlich. Der Fokus der Ängste kann inhaltlich ständig wechseln und der Inhalt der Sorgen muss sich nicht von dem gesunder Menschen unterscheiden. Die Grenze zum Krankhaften ergibt sich aus der Intensität sowie aus der Unkontrollierbarkeit der Ängste. Die ständige innere Anspannung führt besonders bei längerem Verlauf unweigerlich zu körperlichen Symptomen wie Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen etc.
Obgleich Verdachtsmomente für das Vorliegen einer Angsterkrankung bereits für den medizinischen Laien erkennbar sein dürften, sollte die Diagnosestellung durch einen Facharzt für Psychiatrie und/oder Psychotherapie erfolgen. Die Diagnose erfolgt anhand der spezifischen Symptome, wobei geprüft wird, ob international festgelegte Diagnosekriterien für die jeweilige Störung erfüllt sind. Wichtig ist die Beurteilung, ob die beschriebenen Symptome krankheitswertig sind oder ob es sich um Varianten normalen psychischen Erlebens handelt. Dabei muss die individuelle Lebensgeschichte des Patienten ebenso berücksichtigt werden wie etwa aktuelle belastende Umstände oder anhaltender Stress durch Beruf, Partnerschaftskonflikte o.ä..
Bei den Angsterkrankungen liegen in der Regel zwischen dem Auftreten erster Symptome und der Diagnosestellung mehrere Jahre, in den der Patient den Hausarzt, Internisten oder die medizinischen Notaufnahmen aufsuchte, wo immer wieder körperliche Ursachen als Auslöser der Symptome ausgeschlossen wurden. Der Ausschluss körperlicher Erkrankungen, die verantwortlich für die Symptome sein könnten ist eine zentrale Voraussetzung für die Diagnosestellung einer Angststörung. Aus diesem Grund sollte eine von einem Psychologen gestellte Verdachtsdiagnose in jedem Fall von einem Arzt bestätigt bzw. überprüft werden.
Zunächst muss unterschieden werden, ob es sich bei der vom Patienten geschilderten Symptomatik um eine “normale”, d.h. der jeweiligen Situation in Intensität und Form angemessene oder eine krankhafte Angst handelt. Eine wichtige Differentialdiagnose bei einer pathologischen Angst sind jene Formen der Angst, die primär auf eine organische Ursache etwa eine Schilddrüsenüberfunktion oder eine Intoxikation zurückzuführen sind. Handelt es sich um eine pathologische und primär psychische Angst, stellt sich die Frage, ob eine Angststörung im engeren Sinne vorliegt, oder ob die Angst im Rahmen einer anderen psychiatrischen Erkrankung wie z.B. einer Depression oder einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis besteht.
Es gibt medikamentöse und nicht-medikamentöse Ansätze bei der Therapie der Angsterkrankungen. Zu den nicht-medikamentösen Verfahren zählen das Erlernen von Entspannungstechniken (z.B. die sog. Progressive Muskelentspannung) und die Psychotherapie. Die psychoanalytische und die tiefenpsychologische Psychotherapie zielen darauf ab, zugrundeliegende unbewusste Konflikte oder biographische Traumata zu bearbeiten, so dass der Patient wieder mehr Stabilität und inneren Freiraum gewinnt und sich die Angstsymptome in der Folge auflösen. Diese Therapieverfahren haben recht gute Erfolge bei der generalisierten Angststörung, sind aber bei der Panikstörung und der Agoraphobie in der Regel den verhaltenstherapeutischen Verfahren unterlegen. In der Verhaltenstherapie werden verschiedene Techniken angewendet.
In der kognitiven Therapie soll der Patient verstehen, welche Denkabläufe seiner Angst zugrunde liegen bzw. diese verstärken. Vermeidende Verhaltensweisen können dann bewusst korrigiert werden. Bei der systematischen Desensibilisierung wird der Patient schrittweise mit der angstauslösenden Situation konfrontiert, während er bei der sog. Reizüberflutung –in Begleitung des Therapeuten- sofort mit der maximal angstauslösenden Situation konfrontiert wird. Bei diesen Techniken geht es im wesentlichen darum, das symptomverstärkende Vermeidungsverhalten abzustellen, die Angst „auszuhalten“ und so die Erfahrung zu machen, dass sie wieder abklingt ohne dass der Patient dabei Schaden erleidet.Zur medikamentösen Behandlung einer Angststörung werden heute Antidepressiva verwendet. Zum Einsatz kommen beispielsweise selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder trizyklische Antidepressiva. Die bei Angststörungen zwar gut wirksamen Benzodiazepine (z.B. Valium®) haben ein hohes Abhängigkeitsrisiko und sollten allenfalls vorübergehend bei sehr ausgeprägter Symptomatik und unter fachärztlicher Kontrolle angewendet werden.
Erfolgt keine Behandlung gilt der Verlauf von Angsterkrankungen als ausgesprochen ungünstig, die Rate spontaner Rückbildungen wird auf nur 20 Prozent geschätzt. Unter den oben beschriebene Therapiemaßnahmen ist die Prognose weitaus günstiger. So ist beispielsweise die Wirksamkeit von Antidepressiva für 70 bis 90 Prozent der Patienten mit Panikstörung wissenschaftlich belegt und auch die Verhaltenstherapie zeigt bei entsprechender Motivation des Patienten sehr gute Erfolge.
Viele Patienten mit Angststörungen kommen erst nach jahrelang bestehender und verheimlichter Erkrankung zum Arzt. Durch den langen Zeitraum, in dem die Betroffenen unnötig leiden nehmen die eigentlich guten Behandlungsaussichten ab und es kann zu einer Chronifizierung der Krankheit kommen. Lassen Sie daher erste Anzeichen einer Angststörung von einem Facharzt, einem Psychiater, abklären. Versuchen Sie auch nicht, Ihre Angst ohne ärztliche Anleitung mit Beruhigungsmitteln oder anderen Medikamenten bzw. Alkohol in den Griff zu bekommen.
Autorin: Dr. med. Sabine Krämer
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Letzte Aktualisierung am 11.12.2023.