Prof. Herbort: Ein vorderer Kreuzbandriss ereignet sich meist im Rahmen eines Verdrehtraumas des Kniegelenkes, bei dem von manchen Patienten auch ein direktes „Schnalz-Gefühl“ im Gelenk verspürt wird. Anschließend kann zumeist eine akute Schwellung des Kniegelenkes festgestellt werden, welche zum Teil jedoch auch erst mit einem Tag Verspätung auftreten kann. In selteneren Fällen kann aber auch eine merkliche Schwellung des Gelenkes ausbleiben. Das wichtigste Leitsymptom für eine vordere Kreuzbandruptur ist eine subjektive Instabilität. Das bedeutet, dass der Patient ein Unsicherheitsgefühl im Knie verspürt, wie er es vorher noch nicht gekannt hat. Schmerzen entstehen indes nur durch Begleitverletzungen der Menisken, Seitenbänder oder durch die Schwellung und den meist vorhandenen Bluterguss. Ein vorderer Kreuzbandriss ist 10-mal häufiger als ein hinterer Kreuzbandriss.
Prof. Herbort: Ein Kreuzbandriss ereignet sich in aller Regel durch ein Verdrehtrauma des Kniegelenkes. Am häufigsten kommt es zu einem X-Beintrauma, bei dem das Kniegelenk nach innen wegknickt. Alternativ kann auch ein Überstrecktrauma oder das Abfangen einer schnellen Kniebeugung (Landemanöver in einer Senke beim Skifahren) ein auslösendes Trauma für eine vordere Kreuzbandruptur sein. Die risikoreichsten Sportarten sind unter anderen Handball, Fußball und Skifahren (alpin).
Ein Kreuzbandriss ereignet sich in aller Regel durch ein Verdrehtrauma des Kniegelenkes.
Prof. Herbort: Wichtigste Voraussetzung für die Möglichkeit einer konservativen Therapie ist der Ausschluss von schwerwiegenden Begleitverletzungen anderer Strukturen des Kniegelenkes, welche eine dringliche Operationsindikation darstellen wie spezielle Meniskusrisse, Seitenbandverletzungen oder Knorpel und Knochenverletzungen. Nach Ausschluss dieser wichtigen Begleitverletzungen kann überprüft werden, ob eine konservative Therapie für den Patienten erfolgreich sein kann.
Geeignete Patienten für eine konservative Therapie sind sogenannte „Coper“. Das bedeutet aus dem Englischen: „Kompensierer“. Die Patienten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die vordere Kreuzbandruptur kompensieren können.
Hierzu gibt es unterschiedliche Gründe:
Je jünger und aktiver der Patient ist, so unwahrscheinlicher ist es jedoch, dass er risikoarm ohne Kreuzband-OP auf gleichem Niveau aktiv sein kann.
Prof. Herbort: Die Bewertung, ob eine konservative Therapie sicher möglich ist, ist wirklich nicht pauschal zu beurteilen. Es kommt auf viele Faktoren wie, Alter, Aktivität, Rupturform, Begleitverletzungen, knöcherne Faktoren (Ausprägung der tibialen Knochenneigung), etc. an. Somit sollte man sich in jedem Fall von einem spezialisierten Arzt beraten lassen, der große Erfahrung im Bereich der Kreuzbandchirurgie aufweisen kann. Wenn man die Literatur jedoch sehr genau studiert, so ist die Quote der „Kompensierer“ („Coper“) deutlich kleiner als sie in manchen Einzelpublikationen angegeben wird.
Prof. Herbort: Wichtigstes Kriterium für eine Kreuzband-OP ist die subjektive Instabilität des Kniegelenkes. Je höher das Aktivitätsniveau und geringer das Alter des Patienten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Folgeverletzungen (Menisken, Knorpel, etc.) nach konservativer Therapie der vorderen Kreuzbandruptur. Einer der wichtigsten Gründe für eine Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes ist der Schutz vor schwerwiegenden Folgeverletzungen (z.B. der Menisken oder des Knorpels), welche unweigerlich zu einem beschleunigten Verschleiß (Arthrosebildung) des Gelenkes führen. Schwere Begleitverletzungen in Kombination mit der vorderen Kreuzbandruptur wie z.B. Korbhenkelrisse oder große traumatische Knorpelschäden stellen ebenfalls eine klare Indikation zur gleichzeitigen operativen Versorgung des vorderen Kreuzbandes dar.
Wichtigstes Kriterium für eine Kreuzband-OP ist die subjektive Instabilität des Kniegelenkes.
Prof. Herbort: Der Goldstandard der vorderen Kreuzband-Operation ist die Ersatzplastik bzw. Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes mit Hilfe einer autologen (körpereigenen) Sehne. In dieser rein arthroskopischen Operation werden an der Stelle des ursprünglichen Kreuzbandes sowohl am Ober- als auch am Unterschenkelknochen eine Bohrung gesetzt. Die vorher entnommene Sehne wird dann in diesen Knochentunneln sowohl am Oberschenkel- als auch um Unterschenkelknochen fixiert. Die Sehne wird hierbei am Knochen mithilfe von Kippankern oder zum Beispiel selbst auflösenden Schrauben fixiert. Im weiteren Verlauf wächst das Transplantat in den Knochen ein und übernimmt die stabilisierende Aufgabe des originären vorderen Kreuzbandes. In einigen speziellen Fällen kann auch eine Naht des vorderen Kreuzbandes durchgeführt werden.
Prof. Herbort: Im Grundsatz hat sich die Operation nicht dramatisch verändert. Festhalten kann man jedoch, dass eine Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes möglichst Anatomie gerecht durchgeführt werden sollte. Das bedeutet, dass die Tunnel genau dort angebracht werden, wo das originale Kreuzband einst mit dem Knochen verbunden war. Diese Anatomie wurde bei alten OP-Techniken in den letzten Jahrzehnten leider oft missachtet. Neben der Semitendinosussehne hat sich die Quadricepssehne in den letzten Jahren als sehr gutes und zuverlässiges Transplantat herausgestellt. Wir konnten somit z.B. in einer eigenen Studie eine geringere Gefahr der erneuten Ruptur der Quadricepssehne im Vergleich zur Semitendinosussehne feststellen.
Prof. Herbort: Eine Kreuzbandoperation wird insbesondere seit 2024 aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen vor allem ambulant in Deutschland ausgeführt. Bei größeren Begleitverletzungen kann die Operation auch stationär durchgeführt werden. Weniger körperlich anspruchsvolle Arbeiten können in der Regel nach etwa vier Wochen bereits ohne große Einschränkungen verrichtet werden. Körperlich anstrengende Arbeiten sollten für etwa zwei Monate ausgesetzt werden.
Eine Rückführung in die sportlichen Aktivitäten sollte nicht allein anhand von zeitlichen Faktoren abhängig gemacht werden. Mittlerweile gibt es bereits sehr gute Testverfahren, mit denen die sichere Rückführung in die sportlichen Aktivitäten gelenkt und geleitet werden kann. Nach etwa drei Monaten kann jedoch bereits leichtes Joggen durchgeführt werden. Eine Rückkehr zu risikoreichen Sportarten wie Handball, Fußball und Skifahren sollte jedoch in der Regel nicht vor dem neunten Monat und nicht ohne erfolgreich abgeschlossenen Test erfolgen.
Bei größeren Begleitverletzungen kann die Operation auch stationär durchgeführt werden.
Prof. Herbort: Nach einer isolierten vorderen Kreuzbandoperation muss der Patient lediglich mit etwa zwei Wochen Teilbelastung (20kg Belastung des betroffenen Beines) rechnen. Zu diesem Zeitpunkt muss er zwei Gehstützen verwenden. Sollten im Rahmen der Operation Begleitverletzung zusätzlich behandelt worden sein (z.B. Meniskusnähte), kann sich die Zeit der Teilbelastung und Verwendung von Unterarmgehstützen jedoch auf bis zu sechs Wochen verlängern.
Prof. Herbort: Eine volle Gewichtsbelastung ohne die Verwendung von Unterarmgehstützen sollte bei einer isolierten vorderen Kreuzbandruptur nach etwa 2-3 Wochen möglich sein. Anschließend sollte die Belastung langsam gesteigert werden. Wichtigste Parameter für die individuelle Anpassung der Belastungssteigerung sind der Schmerz und die Schwellung des Kniegelenkes, welche sich nicht durch die Belastungssteigerung verstärken sollten.
Nach etwa 3 Monaten sollte leichtes Joggen möglich sein. Eine uneingeschränkte Belastung sollte erst nach erfolgreichem Abschluss eines „Back to Sports/Competition“ Testes durchgeführt werden. Eine alleinige Freigabe nach einem bestimmten Zeitraum (z.B. 9 Monate) wird länger nicht mehr empfohlen. Eine Rückkehr zu Risiko- /Kontaktsportarten (Fußball, Handball, Ski Alpin) ist in der Regel aber nicht vor 7-9 Monaten empfehlenswert.
Prof. Herbort: Wir sind leider derzeit noch sehr weit davon entfernt, einen Kreuzbandersatz im Labor anzuzüchten. Ich gehe persönlich davon aus, dass wir sicherlich noch mindestens 15 Jahre darauf angewiesen sind, körpereigene Sehnen zu verwenden. Dieses Verfahren ist aber in den letzten Jahren so gut weiterentwickelt worden, dass es wirklich sehr erfolgreich durchgeführt werden kann.
Prof. Herbort: Neben dem vorderen Kreuzband selbst sind in den letzten Jahren vor allem die Begleitverletzungen und deren Bedeutung in den Fokus der Forschung geraten. Während man früher zumeist von einer isolierten Verletzung des vorderen Kreuzbandes ausgegangen ist, so weiß man heute, dass vor allem die Begleitverletzungen wie Innenbandrupturen, Verletzungen der anterolateralen Kapselbandregion oder spezielle Meniskusverletzungen einen sehr großen Einfluss auf die Genesung des Kniegelenkes haben und somit unbedingt in die Therapie eingebunden und zum Teil operativ adressiert werden müssen.
Vor allem die Gründe für ein erhöhtes Risiko für eine Wiederverletzung des vorderen Kreuzbandes (Reruptur) sind in den letzten Jahren viel besser verstanden worden. Im Falle einer Reruptur sollte der Patient somit unbedingt einen Spezialisten aufsuchen, da in diesem Fall neben der vorderen Kreuzband-OP andere Maßnahmen indiziert sein können.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 02.01.2024.