Die axiale Spondyloarthritis (Morbus Bechterew) ist eine entzündlich-rheumatische Erkrankung, die vor allem die Kreuzdarmbeingelenke und die Wirbelsäule befällt und zu Verknöcherungen führen kann. Bei der Entstehung spielt das Gen HLA-B27 eine wichtige Rolle. Typische Symptome sind entzündliche Rückenschmerzen, die in Ruhe auftreten, sowie mögliche Begleiterkrankungen wie Schuppenflechte oder chronische Darmerkrankungen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung mit NSAR und modernen Biologika ist entscheidend, um Langzeitschäden und Versteifungen zu vermeiden.
Dr. Haibel: Die axiale Spondyloarthritis (auch als Morbus Bechterew bekannt) ist eine der häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, die insbesondere die Kreuz-Darmbeingelenke und die Wirbelsäule befällt, zu Entzündungen von Sehnenansätzen und Gelenken dort führt sowie im weiteren Verlauf Verknöcherungen hervorrufen kann. Es handelt sich um eine immunvermittelte Erkrankung, bei der die Ursache noch immer nicht vollständig bekannt ist. Es besteht jedoch ein genetischer Zusammenhang. Bei der Mehrheit der Patienten lässt sich der genetische Marker HLA-B27 (Humanes Leukozyten Antigen B27) nachweisen. Eine Substanz, die bei der Regulierung von Immunreaktionen eine wichtige Rolle spielt. Nicht alle, aber die meisten Menschen, die Träger dieses Gens sind, entwickeln jedoch die Erkrankung. Sogenannte Autoantikörper, wie sie häufig bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gefunden werden, finden sich bei der axialen Spondyloarthritis nicht.
Dr. Haibel: Die Erkrankung beginnt meist im jungen Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, meist mit allmählich auffallenden tiefsitzenden Rücken- oder auch Gesäßschmerzen von sogenanntem entzündlichem Charakter. Das heißt, die Schmerzen treten eher in Ruhe auf, auch nachts in den frühen Morgenstunden, führen zu einer signifikanten Morgensteifigkeit der Region von mindestens 30 Minuten und Bewegung lindert dann die Beschwerden. Sie kann vergesellschaftet sein mit einer Augenentzündung namens Iritis/Regenbogenhautentzündung, einer Psoriasis (Schuppenflechte) oder auch einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn/Colitis ulcerosa).
Wegen der genetischen Komponente können auch Verwandte diese Erkrankung haben. Im Verlauf kann die Erkrankung auch Entzündungen in der Wirbelsäule hervorrufen, dort auch an Rippengelenken, am Brustbein und gelegentlich an großen Gelenken - hauptsächlich der unteren Extremität. Es können Sehnenansätze betroffen sein, oft hierbei der Ansatz der Achillessehne. Bei etwa 20% der Patienten kommt es zu Verknöcherungen der Wirbelsäule. Hierfür wurden einige Risikofaktoren identifiziert, Verknöcherungen entstehen bei Männern häufiger als bei Frauen, beim Vorliegen des Gens HLA-B27, bei Rauchern und erhöhten Entzündungsparametern aber auch bei bereits vorhandenen Verknöcherungen, kann es eher zu (weiteren) Verknöcherungen kommen. Das Risiko steigt bei einer Kombination der genannten Risikofaktoren an.
Im Verlauf kann die Erkrankung auch Entzündungen in der Wirbelsäule hervorrufen, dort auch an Rippengelenken, am Brustbein und gelegentlich an großen Gelenken - hauptsächlich der unteren Extremität.
Dr. Haibel: Früher, als es nur die Röntgenaufnahmen und klinische Untersuchungen zur Diagnosestellung gab, nahm man an, dass es sich um eine Erkrankung von Männern handelt. Inzwischen weiß man, dass Frauen ebenso häufig betroffen sind, sie haben aber ein geringeres Risiko für Verknöcherungen. Durch verbesserte Untersuchungsmöglichkeiten, z.B. mittels Magnetresonanztomographie (MRT), bei der Entzündungen dargestellt werden können, konnte man die Erkrankung auch bei Frauen besser entdecken.
Dr. Haibel: Wie bereits zuvor erwähnt, liegt eine genetische Veranlagung vor. Bei den meisten Patienten ist das Gen HLA-B27 vorhanden. Es gibt auch eine Vergesellschaftung, wie bereits erwähnt, mit Regenbogenhautentzündung, Psoriasis und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn/Colitis ulcerosa). Eine Theorie besagt, dass die Darmbarriere für Bakterien wahrscheinlich bei vielen Patienten gestört ist, dass Bakterienmaterial über den Darm dem Immunsystem zugänglich wird und durch die genetische Veranlagung das Immunsystem überreagiert.
Dr. Haibel: Rückenschmerzen sind sehr häufig und man kann dem Patienten meist nicht von außen ansehen, ob sie/er eine axiale Spondyloarthritis entwickelt hat, anders als bei z.B. geschwollenen Fingergelenken, die sofort ins Auge springen. Die Diagnose basiert also auf einer Kombination klinischer Angaben, wie dem schon erwähnten entzündlichen Rückenschmerz und weiteren typischen Faktoren, wie dem Vorliegen der Erkrankung in der Familie, dem gleichzeitigen Vorliegen von chronischen Darmerkrankungen, Regenbogenhautentzündung, Psoriasis oder dem Befall typischer Gelenke oder Sehnenansätze.
Man kann das Gen HLA-B27 bestimmen, allerdings ist es auch in der nicht erkrankten Bevölkerung nicht selten vorhanden. Entzündungsparameter sind etwa bei der Hälfte der Erkrankten erhöht und einen besonderen Stellenwert hat die Bildgebung, insbesondere das MRT, bei dem mit speziellen Sequenzen (STIR oder TIRM) Entzündung der Kreuz-Darmbeingelenke und/oder der Wirbelsäule nachgewiesen werden kann. Die Entzündung muss typische Charakteristika erfüllen. Denn Reizungen in den genannten Regionen, etwa durch mechanische Belastung oder eine Schwangerschaft, sind nicht selten. Aus Therapiestudien ist bekannt, dass ein früher Therapiebeginn mit den richtigen Medikamenten zu einem besseren Ansprechen und einem Vermeiden von Langzeitschäden, wie der Versteifung, führt. Die Patienten sind meist jung und im arbeitsfähigen Alter. Ziel ist es, diesen Patienten ein möglichst normales Leben zu gewährleisten.
Aus Therapiestudien ist bekannt, dass ein früher Therapiebeginn mit den richtigen Medikamenten zu einem besseren Ansprechen und einem Vermeiden von Langzeitschäden, wie der Versteifung, führt.
Dr. Haibel: Die Abkürzung HLA-B27 steht für das Humane Leukozyten Antigen B27. Es handelt sich um ein Protein, das sich auf fast allen Körperzellen des Menschen befindet und für das Immunsystem und Abwehrreaktionen wichtig ist. Es gibt unterschiedliche Arten von HLA-Proteinen und in Mitteleuropa sind etwa 8% der Bevölkerung Träger des HLA-B27. Bis heute ist nicht ganz klar, wie der Zusammenhang mit der Erkrankung ist, es gibt Theorien, die besagen, dass wenn es zu Kontakt mit bestimmten Erregern oder deren Bestandteilen, zum Beispiel über eine gestörte Darmbarriere kommt, dann eine Art Überreaktion und Fehlregulation entsteht, die die Entzündungen an den genannten Strukturen auslösen, die nicht einfach von selbst wieder aufhören.
Dr. Haibel: Im Gegensatz zu anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, wo geringe Dosierungen von Glucocortikoiden eine gute Wirksamkeit haben, ist dies bei der axialen Spondyloarthritis nicht der Fall und die Gabe von Steroiden wird bei der Erkrankung nicht empfohlen, lediglich als lokale Injektion bei entzündeten Gelenken kann es erwogen werden. Im Gegensatz dazu sind bei vielen Patienten nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), wie z.B. Diclofenac oder Naproxen, sehr wirksam. Sogenannte konventionelle krankheitsmodifizierende Medkiamente (csDMARDs) wie Methotrexat sind ebenfalls bei der Erkrankung überwiegend unwirksam.
Als sehr gut wirksam haben sich jedoch bestimmte sogenannte Biologica (bDMARDs), hochkomplexe Proteintherapeutika, die bestimmte Entzündungsbotenstoffe blockieren, erwiesen. Bei der axialen Spondyloarthritis sind das vor allem die Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha) Hemmer und Hemmer von IL17A und auch IL17 A und F. Auch sogenannte Januskinaseinhibitoren (tsDMARDs, Upadacitinib, Tofacitinib und Filgotinib) sind sehr gut wirksam. Die Leitlinien besagen, dass zunächst 2 verschiedene NSAR in maximaler antientzündlicher Dosis versucht worden sein müssen und bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit und hoher Krankhkeitsaktivität können dann bDMARDs oder tsDMARDs verwendet werden.
Als sehr gut wirksam haben sich jedoch bestimmte sogenannte Biologica (bDMARDs), hochkomplexe Proteintherapeutika, die bestimmte Entzündungsbotenstoffe blockieren, erwiesen.
Dr. Haibel: Physiotherapie und Bewegung spielen eine sehr große Rolle bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und zeigen eine gute Wirksamkeit für die Beweglichkeit und Schmerzreduktion. Zur Ernährung ist allerdings wenig bekannt. Möglicherweise ist jedoch eine gesunde, ausgewogene und speziell eine mediterrane Ernährung gesundheitsfördernd.
Dr. Haibel: Wie zuvor bereits erwähnt, gibt es nach der Gabe von NSAR sogenannte bDMARDs, eine Reihe von TNF Blockern, Anti IL17 A und Anti IL17 A und F sowie eine Reihe Januskinaseinhibitoren, die sich als wirksam erwiesen haben. Es kann bei Unwirksamkeit, Unverträglichkeit oder Wirkverlust innerhalb der Medikamentenklasse oder zwischen den Medikamentenklassen gewechselt werden. Wichtig ist aber immer, sich nochmals der Diagnose und des Grundes der Beschwerden zu versichern, es gibt oft Fehldiagnosen und manchmal kann auch ein anderer Grund zusätzlich Beschwerden in der Wirbelsäule verursachen, wie z.B. Bandscheibenschäden, Überlastung oder (Osteoporose-) Frakturen.
Dr. Haibel: Ziel ist es, dass die Patienten möglichst keine oder nur geringe Einschränkungen im Leben haben. Eine korrekte und frühzeitige Diagnosestellung und Einleitung der richtigen Therapie mit NSAR, ggf. bDMARDs oder tsDMARDs und Physiotherapie bzw. Sport und Bewegung sind dafür gute Möglichkeiten. Nicht alle Patienten leiden. Manche Patienten haben nur gelegentlich Schübe, manche haben anhaltende Beschwerden und es gibt Patienten, die Probleme mit der Verträglichkeit oder Wirksamkeit der Therapien haben können. Insbesondere unbehandelt können die Patienten Schmerzen, Steifigkeit und Bewegungseinschränkungen in den betroffenen Regionen haben.
Bei ca. 20% der Patienten kommt es zur Versteifung der Wirbelsäule mit entsprechender Einschränkung der Mobilität. Mehr Lebensqualität können insbesondere die Patienten haben, die die korrekte Diagnose erhalten haben, sich bewegen und eine angemessene Therapie erhalten. Schwere körperliche Arbeit und ausschließliches Sitzen wird häufig als schwierig empfunden, deshalb wird auch empfohlen, Arbeit und den Arbeitsplatz entsprechend einzurichten.
Mehr Lebensqualität können insbesondere die Patienten haben, die die korrekte Diagnose erhalten haben, sich bewegen und eine angemessene Therapie erhalten.
Dr. Haibel: Eine Revolution hinsichtlich der Therapie der Erkrankung stellte sich Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch die Entdeckung ein, dass TNF-alpha Blocker sehr wirksam sind. Durch die nunmehr deutlich verbesserten therapeutischen Optionen wurden neue, verbesserte Klassifikationskriterien und Outcomeparameter definiert sowie eine Vielzahl von Medikamenten auf deren Wirksamkeit untersucht, sodass wir inzwischen gut wissen, welche krankheitsmodifizierenden Medikamente wirken. Die Diagnostik per Bildgebung hat sich deutlich verbessert und geschärft. Dies führte auch dazu, dass Patienten nicht erst erkannt werden, wenn sie bereits im Röntgenbild Verknöcherungen aufweisen, sondern bereits wenn nur eine Entzündung in der Bildgebung erkannt wird. Es führte dazu, dass die Diagnose viel früher gestellt werden kann und dass Frauen mit axialer Spondyloarthritis nicht mehr verkannt werden. Weitere Medikamente für die Erkrankung werden getestet. Es hat sich herausgestellt, dass Patienten durch die Therapien auch weniger kardiovaskuläre Erkrankungen erleiden und weniger Operationen benötigen.
Dr. Haibel: Die Forschung auf dem Gebiet der axialen Spondyloarthritis ist vielfältig. Es wird weiter an besseren Klassifikationskriterien geforscht, an Outcomeparametern, an Charakteristika für eine rasche Progression oder für Therapieansprechen. Es wird geforscht, wie die Bildgebung verbessert werden kann und wie Patienten besser identifiziert und früher erkannt werden können. Das Mikrobiom wird erforscht und es wird untersucht, ob ein gestörtes Mikrobiom Einfluss auf die Erkrankung hat. Weitere Therapiestudien zu neuen Medikamenten werden durchgeführt. Eine Herausforderung ist nach wie vor, dass wir keine Biomarker haben, die vorhersagen können, welche Therapie bzw. welches Medikament für welchen Patienten am besten geeignet ist und auch in welcher Reihenfolge man Therapien bei Therapieversagen anwenden sollte.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 17.10.2024.