Prof. Schwarz: Vorstufen und frühe Formen des Vulvakarzinoms machen sich häufig nur durch eine umschriebene Rötung, kleine Hautdefekte oder aber auch nur durch Missempfindungen wie brennende Schmerzen oder Juckreiz bemerkbar. Das Vulvakarzinom imponiert entweder als Geschwür (Ulkus) oder auch als erhabener Tumor. Die häufigste Lokalisation ist gerade bei jungen Frauen zwischen Klitoris und Harnröhrenausgang.
Ein Vulvakarzinom kann aber an jeder Stelle der Vulva auftreten, wobei in der Regel die behaarte Haut nicht erkrankt. Jede auffällige Stelle im Bereich der Vulva, die nicht nach spätestens 8 Wochen vollkommen abgeheilt ist, sollte durch einen Frauenarzt untersucht werden. Im Zweifelsfall sollte immer eine kleine Gewebeprobe erfolgen, um eine sichere Diagnose stellen zu können.
Prof. Schwarz: Es gibt zwei wesentliche Risikofaktoren. Zum einen kann eine bleibende Infektion mit bestimmten HPV-Typen (Humanes Papilom Virus), sogenannte high risk Typen, ein Vulvakarzinom verursachen. Warum aber bei den meisten Frauen eine HPV-Infektion auch mit high risk Typen ohne Folgen bleibt und es nur bei sehr wenigen zu einer Krebserkrankung kommt, wissen wir nicht. Es gibt zwar bestimmte Risikofaktoren wie Zigarettenrauchen oder eine Schwächung der Immunantwort (z.B. HIV), aber die allermeisten Patientinnen, die an einem HPV-bedingten Vulvakarzinom erkranken, haben keine Risikofaktoren.
Der zweite wichtige Risikofaktor für ein Vulvakarzinom sind chronisch juckende Hauterkrankungen, vor allem der Lichen sclerosus. Hier scheint das ständige Kratzen zu Hautdefekten und ständig notwendiger Wundheilung zu führen, die dann eine Entartung der Zellen verursachen kann. Deshalb ist bei dieser Erkrankung eine effektive Therapie, die vor allem den Juckreiz beseitigt, auch zur Vermeidung des Vulvakarzinoms sehr wichtig.
Auch wenn sehr junge Frauen an einem Vulvakarzinom erkranken können, so steigt die Häufigkeit vor allem mit dem Alter. Die meisten Erkrankungen finden sich bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind.
Es gibt zwei wesentliche Risikofaktoren.
Prof. Schwarz: Zur Jahrtausendwende zeigte sich ein Anstieg der Häufigkeit von Vulvakarzinomen vor allem bei jungen Frauen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren nicht fortgesetzt, sodass die Häufigkeit bei ca. 3300 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland relativ konstant ist. Die ersten HPV-Impfungen wurden 2006 und 2007 in Deutschland eingeführt. Da eine HPV-Infektion frühestens nach 5-10 Jahren zu einer Tumorerkrankung führt, erkennt man die Wirkung der HPV-Impfung erst relativ spät. Leider liegt in Deutschland der Anteil von gegen HPV geimpften Mädchen/ Frauen bei nur ca. 50%, sodass wir auch weiterhin mit HPV verursachten Krebserkrankungen (z.B. Vulvakarzinom, Gebärmutterhalskrebs) rechnen müssen. Im Vergleich zum Gebärmutterhalskrebs, gibt es keine effektive Vorsorge für das Vulvakarzinom.
Prof. Schwarz: Es gibt zwei Haupttypen des Vulvakarzinoms, die sich in ihrem Aussehen aber nicht unterscheiden. Der Ursprung ist bei beiden die oberfächliche Hautschicht, das sogenannte Plattenepithel, sodass sie als Plattenepithelkarzinome bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich vor allem durch ihren Entstehungsmechanismus. Wir unterscheiden HPV-bedingte und nicht-HPV-bedingte Vulvakarzinome.
Beide Typen entstehen aus Vorstufen, den sogenannten Zellveränderungen oder Dysplasien. Es gibt zum einen die HPV-bedingten warzenähnlichen Dysplasien und die sogenannten einfachen Dysplasien, die HPV-unabhängig sind und zumeist mit einem Lichen sclerosus einhergehen. Das Risiko einer Krebsentstehung ist bei den einfachen Dysplasien deutlich höher (70-80%) als bei den HPV-bedingten (ca. 10-20%). Weiterhin gibt es sehr seltene Formen, die aus Drüsenzellen (sogenannte Adenokarzinome) und aus Pigmentzellen der Haut (Melanome) entstehen.
Es gibt zwei Haupttypen des Vulvakarzinoms, die sich in ihrem Aussehen aber nicht unterscheiden.
Prof. Schwarz: Im Gegensatz zu vielen anderen Krebserkrankungen finden sich Tumorabsiedlungen (Metastasen) zunächst nur in den Lymphknoten der Leisten und nicht in anderen Organen. Von hier aus werden dann Lymphknoten im kleinen Becken befallen. Metastasen in anderen Organen wie Leber oder Lunge sind selbst in sehr fortgeschrittenen Tumorstadien selten. Die Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen in den Leisten steigt mit zunehmender Tumorgröße und weiteren Risikofaktoren, vor allem den Einbruch in Lymphspalten. Das kann nur der Pathologe unter dem Mikroskop erkennen.
Prof. Schwarz: Die Therapie des Vulvakarzinoms ist abhängig von der Ausdehnung der Erkrankung. In den meisten Fällen besteht die Therapie zunächst aus einer Operation. Kann der Tumor im Gesunden entfernt werden und finden sich keine Absiedlungen in den Leistenlymphknoten, ist die Therapie mit der Operation beendet. Kann der Tumor nicht im Gesunden entfernt werden und/oder finden sich Absiedlungen in den Leistenlymphknoten, muss zusätzlich eine Strahlentherapie durchgeführt werden. In sehr fortgeschrittenen Fällen, insbesondere mit Befall der Harnröhre, der Scheide oder des Enddarms, erfolgt eine primäre Strahlentherapie und die Gabe eines Chemotherapeutikums.
In den meisten Fällen besteht die Therapie zunächst aus einer Operation.
Prof. Schwarz: Vorstufen des Vulvakarzinoms können mithilfe eines CO2-Lasers schonend entfernt werden. Ziel der Operation des Vulvakarzinoms ist die komplette Entfernung des Tumors möglichst unter Erhalt wichtiger Strukturen wie Klitoris und Harnröhre. Die radikale Entfernung eines Großteils der Vulva (Vulvektomie) kann häufig vermieden werden, indem der Tumor mit einem geringen Sicherheitsabstand exzidiert wird. Vorrausetzung hierfür ist das Betrachten der Vulva mit einem Mikroskop (Kolposkopie) vor der Operation, um die Ausdehnung der Erkrankung inklusive möglicher Vorstufen exakt festzulegen.
Zur Vermeidung von Einengungen des Scheideneingangs oder funktionell und ästhetisch unbefriedigenden Ergebnissen sind häufig auch kleine plastische Operationen erforderlich. So transplantieren wir z.B. etwas Vaginalschleimhaut in den Defekt, nachdem ein Tumor zwischen Klitoris und Harnröhre (häufigste Lokalisation) entfernt wurde. Mit dem kleinen plastischen Eingriff erhalten wir das Erscheinungsbild der Vulva und vermeiden eine Einengung im vorderen Bereich. Fortgeschrittene Tumorerkrankungen können häufig nur unter Verwendung plastisch rekonstruktiver Operation komplett entfern werden.
Ab einer Eindringtiefe des Vulvakarzinoms von mehr als 1 mm (Stadium 1b) müssen zusätzlich die Lymphknoten in einer oder beiden Leisten entfernt werden, um mit Sicherheit Absiedlungen des Vulvakarzinoms ausschließen oder aber auch nachweisen zu können. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dabei die Wächterlymphknotenmethode (Sentinel), bei der nur gezielt einzelne Lymphknoten entfernt werden, durchgeführt werden. Sind Lymphknoten befallen, so müssen immer auf derjenigen Seite alle Lymphknoten im Bereich der Leiste und ggf. auch im Bereich des Beckens entfernt werden.
Prof. Schwarz: Da es sich um eine Operation an der Haut bzw. Körperoberfläche handelt, haben die Patientinnen nach der Operation selten Schmerzen. Viele Patientinnen berichten, dass sich durch die Entfernung des Tumors die Beschwerden im Bereich der Vulva bereits direkt nach der Operation deutlich gebessert hätten. Die Wundheilung ist aufgrund von Feuchtigkeit, Bakterien im Genitalbereich, die immer vorhanden sind und der Unmöglichkeit, die Wunden komplett ruhig zu stellen, häufig schwierig. Hier bedarf es spezieller Pflegekonzepte.
Im Bereich der Leisten kann sich immer wieder Wundwasser bilden, das manchmal abpunktiert werden muss. Bei der Wächterlymphknotenmethode bildet sich aber sehr viel weniger Wundwasser als bei der radikalen OP. Hier verwenden wir interne Drainagen, die bei der Operation von der Leiste in den Bauch gelegt werden. Sie vermeiden die Notwendigkeit von äußeren Drainagen, die häufig sehr lange belassen werden müssen und dann häufig zu Infektionen führen. Die internen Drainagen werden dann nach ca. 6 Monaten mithilfe einer kleinen OP wieder aus der Leiste entfernt.
Prof. Schwarz: Eine primäre Strahlentherapie ohne Operation wird vor allem bei sehr fortgeschrittenen Tumoren häufig in Kombination mit der Gabe eines Chemotherapeutikums durchgeführt. Die alleinige Therapie mit Medikamenten (Chemotherapie, Immuntherapie) bleibt den wenigen Fällen vorbehalten, die zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Absiedlungen (Metastasen) in andere Organe z.B. Leber oder Lunge aufweisen. Eine Strahlentherapie nach einer Operation ist vor allem bei tumorbefallenen Lymphknoten in den Leisten indiziert oder wenn das Vulvakarzinom nicht im Gesunden entfernt werden konnte.
Prof. Schwarz: Da das Vulvakarzinom sichtbar an der Hautoberfläche entsteht, wird die Erkrankung häufig in einem frühen Stadium erkannt. Wie bei allen Krebserkrankungen hängt auch die Prognose des Vulvakarzinoms ganz wesentlich vom Tumorstadium ab. Wenn das Vulvakarzinom im Gesunden operativ entfernt wurde und keine Lymphknoten in den Leisten befallen sind, liegen die Heilungsraten über 90%. Bei tumorbefallenen Leistenlymphknoten verschlechtert sich die Prognose mit zunehmender Anzahl befallener Lymphknoten. Durch die zusätzliche Strahlentherapie wird ein großer Teil der Patientinnen aber auch geheilt.
Wie bei allen Krebserkrankungen hängt auch die Prognose des Vulvakarzinoms ganz wesentlich vom Tumorstadium ab.
Prof. Schwarz: Eine sehr wichtige Erkenntnis betrifft die Radikalität der operativen Therapie. Galt lange Zeit ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 cm um den Tumor als zwingend, so wissen wir heute, dass ein deutlich geringerer Sicherheitsabstand genau so gute Ergebnisse liefert. Dies führt zu deutlich weniger radikalen Operationen. In vielen Fällen kann somit das Erscheinungsbild der Vulva und insbesondere auch die Klitoris erhalten werden.
Das Einführen der Wächterlymphknotenmethode hat dazu geführt, dass bei einem Großteil der Patientinnen mit frühem Vulvakarzinom auf die radikale Lymphknotenentfernung in den Leisten verzichtet werden kann und somit gefürchtete Komplikationen wie z.B. ein Lymphödem vermieden werden können. Insgesamt haben die Entwicklungen in den letzten Jahren zu deutlich weniger radikalen Operationen mit deutlich weniger Komplikationen und negativen Folgen für die Patientinnen bei gleichen Heilungsraten geführt.
Prof. Schwarz: Die aktuelle Forschung untersucht vor allem die Wirksamkeit von neuen Medikamenten, gerade aus dem Bereich der Immuntherapie. Dies betrifft aber vor allem Patientinnen mit sehr fortgeschrittenen Tumorerkrankungen und mit Nachweis von Metastasen in anderen Organen.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 09.02.2024.