Das Mikrobiom zeigt bestimmte Signaturen, die mit Krebsrisiken, dem Vorhandensein bestimmter Tumorarten und sogar dem Ansprechen auf Therapien zusammenhängen. In der klinischen Routinediagnostik spielen diese jedoch noch keine Rolle. Es ist bekannt, dass einzelne Keime, wie beispielsweise toxische E.-coli-Stämme, Fusobacterium nucleatum oder Helicobacter pylori, das Krebsrisiko erhöhen können. Umgekehrt scheinen bestimmte Bakterien das Ansprechen auf Chemo- oder Immuntherapien zu verbessern. Der Lebensstil bleibt der größte Hebel: Eine ballaststoffreiche und wenig verarbeitete Ernährung, wenig Alkohol und Tabak und regelmäßige Bewegung beeinflussen das Mikrobiom positiv und könnten laut epidemiologischen Daten bis zu 50% der Krebserkrankungen verhindern.
Dr. Mager: Dies wird im klinischen Alltag derzeit noch nicht maßgeblich angewendet. Es gibt jedoch bereits zahlreiche klinische und präklinische Studien, in denen das Thema intensiv untersucht wurde und weiterhin untersucht wird. Dabei zeigen sich tatsächlich bestimmte Signaturen im Mikrobiom. Es ist allerdings nicht so, dass ein einzelnes Bakterium eindeutig "Krebs: ja oder nein" signalisiert. Vielmehr handelt es sich um Muster, die auf Erkrankungen hindeuten können.
Dies wir auch als Dysbiose bezeichnet. Solche Signaturen können zwar Hinweise liefern, jedoch sind sie noch nicht so belastbar, dass eine Stuhlprobe eine Darmspiegelung oder anderer wichtige Vorsorgeuntersuchungen ersetzen könnten. Vielleicht ändert sich das in einigen Jahren, aktuell ist es aber nicht möglich. Privatpersonen würde ich eine Mikrobiom-Analyse nicht empfehlen. Eine Mikrobiom-Diagnostik kann derzeit vor allem in spezialisierten Zentren und im Rahmen klinischer Studien sinnvoll sein, um unterstützende Informationen für eine Therapieempfehlung zu erhalten.
Dr. Mager: Es gibt spezialisierte Einrichtungen wie Zentren für personalisierte Medizin, an die vor allem fortgeschritten erkrankte Patienten überwiesen werden. Dort erfolgen zusätzliche Untersuchungen: Das Immunsystem, die genetischen Merkmale und das Mikrobiom können dort genauer analysiert werden. Dabei wird untersucht, welche Bakterien bei den Patienten vorkommen und ob bestimmte Keime mit Erkrankungen assoziiert sind, beispielsweise mit Darmkrebs. Dies kann zur weiteren Therapieempfehlung hilfreich sein. Eine weitere offene Frage für die Zukunft ist auch, ob man bei entsprechendem Nachweis bestimmter Bakterien präventiv eingreifen sollte – etwa mit einer Antibiotikabehandlung oder anderen Maßnahmen – bevor Krebs entsteht. Solche Ansätze sind aktuell noch experimentell oder Gegenstand klinischer Studien und gehören nicht zum klinischen Alltag.
Dr. Mager: Dank sogenannter "Sequenzierung" weiß man sehr genau, welche Bakterien vorhanden sind – dazu gibt es eine Fülle an Daten. Schwieriger ist es jedoch, die tatsächliche Wirkung der einzelnen Bakterien zu bestimmen. Für einige - z. B. Toxin-produzierende Escherichia coli Stämme oder Fusobacterium nucleatum - ist die Lage relativ klar. Bei vielen anderen hängt die Bedeutung jedoch stark vom jeweiligen Menschen ab. So kann ein bestimmtes Bakterium bei einem Krebspatienten eine wesentliche Rolle spielen, bei einem anderen Krebspatienten jedoch keine. Der Lebensstil, die Ernährung und genetische Faktoren – welche bei jedem Individuum unterschiedlich sind – haben einen großen Einfluss auf die Relevanz eines Bakteriums. Um herauszufinden, welche Bakterien in jedem Individuum relevant sind, benötigt es noch viel Forschungsarbeit.
Dank sogenannter "Sequenzierung" weiß man sehr genau, welche Bakterien vorhanden sind...
Dr. Mager: Kurz gesagt: Ja. Die längere Antwort ist, dass "Dysbiose" ein sehr vager Begriff ist. Dysbiose erfasst den Unterschied des Mikrobioms zwischen einer größeren Gruppe von gesunden und kranken Menschen. Was ein gesundes Mikrobiom-Profil eines Individuums ist – mit unterschiedlichem Lebensstil, Ernährung und genetische Faktoren – ist weniger klar. Was daher ein gesundes oder dysbiotisches Mikrobiom eines einzelnen Individuums darstellt und welche Therapie/Lebensstilempfehlung sich daraus ableiten, sind nicht definiert.
Klar definiert sind bestimmte Bakterien als Krankheitserreger. Ein offensichtliches Beispiel sind Salmonellen. Innerhalb der Vielzahl "normaler" Darmbakterien können dieselben Stämme aber für die eine Person förderlich und für die andere nachteilig sein. Diese individuellen Unterschiede sind groß und es muss noch viel geforscht werden, um zu verstehen, was Dysbiose für die einzelne Person bedeutet.
Dr. Mager: Viele Menschen denken in simplen Einteilungen: in "gute" und "böse" Bakterien. Die "bösen" sollen beseitigt werden, während die "guten" – oft in Form von Tabletten oder probiotischem Joghurt – zugeführt werden. Die Studienlage dazu ist jedoch gemischt. Es gibt zwar wiederkehrende sogenannte Signaturen, die mit einem "guten" bzw. "schlechten" Mikrobiom in Verbindung gebracht werden. Ob diese Muster für jede einzelne Person oder vielleicht für 90% der Population gelten, ist noch offen und Gegenstand aktueller Forschung.
Dr. Mager: Die wichtigste und zugleich gute Nachricht ist: Mit dem Lebensstil kann man enorm viel erreichen. Epidemiologische Daten legen nahe, dass etwa 50% aller Tumore auf den Lebensstil zurückzuführen sind. In unserer Gesellschaft kommen die bekannten Grundlagen oft zu kurz: Wir bewegen uns zu wenig und essen zu viel, insbesondere zu viel Fleisch, Fett und Zucker. Zusätzlich konsumieren wir Alkohol und Tabak. Natürlich ist der Lebensstil eine persönliche Entscheidung und soll frei gewählt werden, dennoch bleibt festzuhalten, dass man mit dem Lebensstil enorm viel bewirken kann.
Besonders wichtig ist eine ballaststoffreiche Ernährung. Ballaststoffe diene als Nährstoff für die vielen "guten" Darmbakterien, die daraufhin mehr gesundheitsfördernde Botenstoffe wie z. B.: kurzkettige Fettsäuren produzieren.
Die optimale Wahl von Prä- und Probiotika kann sehr hilfreich sein. Präbiotika sind interessant, da sie den vorhandenen "guten" Bakterien Nahrung liefern und Probiotika enthalten diese "guten" Bakterien im Idealfall. Natürlich muss dafür erst wissen welche Bakterien für die jeweilige Person gesundheitsfördernd sind. Genau hier ist jedoch, wie angesprochen, noch viel Forschungsarbeit notwendig.
Die Gabe von Probiotika nach einer Antibiotikatherapie ist umstritten. Einige Studien zeigen, dass sich Probiotika dann leichter ansiedeln, weil Platz entstanden ist. Zugleich kann die Gesamtdiversität des Mikrobioms dann nur langsamer zurückkehren, da die verabreichten Stämme einen Startvorteil haben. Einige Experten halten Probiotika direkt nach einer Antibiotikatherapie daher sogar für potenziell nachteilig. Auch hier ist weitere Forschung wichtig.
Die zentrale Botschaft bleibt: Bis zu 50% aller Krebserkrankungen und viele andere chronische Krankheiten lassen sich durch den Lebensstil beeinflussen und oft verhindern. Dabei greifen Ernährung, Bewegung und das Mikrobiom ineinander: Wer sich ausgewogen ernährt und Sport treibt, verändert sein Mikrobiom – mit spürbar positiven Effekten auf die Gesundheit.
Dr. Mager: Wie erwähnt, sind wir insgesamt überernährt und konsumieren zu viel Zucker, Fett und stark verarbeitete Lebensmittel. Ernährungsformen mit höherem Gemüse- und Ballaststoffanteil wären sinnvoll. Eine ausgewogene und moderate Ernährung ist wahrscheinlich am besten. Wie Paracelsus schon sagte: "Die Dosis macht das Gift." Verschiedene Formen des Fastens wirken sich ebenfalls positiv auf die Gesundheit aus. Hier gibt es verschiedene Optionen, z. B.: die Reduktion der Kalorienanzahl insgesamt, Nahrungsaufnahme beschränkt auf 8 Stunden des Tages oder 1-2 Fastentage pro Woche. Welche Form am Besten zu einer Person passt, sollte man selbst ausprobieren. Wichtig ist, dass man es vorsichtig, langsam und Schritt für Schritt in den Lebensstil einführt, um dem Körper Zeit zu geben, sich daran zu gewöhnen.
Ernährungsformen mit höherem Gemüse- und Ballaststoffanteil wären sinnvoll.
Dr. Mager: Da sind wir wieder beim Thema hochverarbeitete Lebensmittel. Grundsätzlich gilt: Je weniger Verarbeitung, desto besser. Aus historischen und logistischen Gründen sind Konservierungsmethoden natürlich sinnvoll. Daher sind gewisse Lebensmittelzusatzstoffe wichtig. Es gibt jedoch auch klare Beispiele, bei denen Zusatzstoffe Probleme verursachen.
Emulgatoren wie Polysorbate, können das Mikrobiom schädigen und dadurch Entzündung im Darm begünstigen. Als weiteres Beispiel sind Süßstoffe zu erwähnen, die ebenfalls das Mikrobiom angreifen können und mit Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verwindung gebracht wurden. Insgesamt gibt es Handlungsbedarf bei Lebensmittelzusatzstoffen und man sollte - soweit möglich - sich auf das Mindestmaß an Zusatzstoffen in Lebensmittel beschränken. Natürlich gilt auch hier wieder: "Die Dosis macht das Gift." Die maximale Menge an Zusatzstoffen sollte reduziert werden und die Dosis ähnlicher Stoffe der gleichen Klasse (z. B. verschiedene Emulgatoren) sollten für die maximal zulässige Dosis zusammengerechnet werden, anstatt separat behandelt zu werden.
Die Effekte von Zusatzstoffen verlässlich mit Erkrankungen in Verbindung zu bringen ist schwierig. Mögliche chronische Effekte eines Zusatzstoffes über viele Jahre sind schwer belegbar, weil in einem langen Zeitraum viele Einflussfaktoren zusammenkommen. Zu zeigen, dass ausgerechnet ein bestimmter Zusatzstoff eine spätere Erkrankung verursacht hat, ist enorm anspruchsvoll. Deshalb sollte man meines Erachtens Vorsicht walten lassen und die Menge und Dosis von Zusatzstoffen auf das absolut notwendige reduzieren.
Dr. Mager: Wir sehen bestimmte Signaturen im Mikrobiom, die sich bei Krebspatienten von denen gesunder Menschen oder von denen anderer Erkrankter unterscheiden. Aber auch wenn eine solche Signatur vorliegt, bedeutet das nicht automatisch, dass man Krebs hat. Ich habe bereits einige Beispiele genannt, etwa toxinproduzierende E.-coli-Stämme oder Fusobacterium nucleatum.
Das eindeutigste Beispiel für ein spezifisches Bakterium mit klinischer Konsequenz ist Helicobacter pylori beim Magenkrebs. Seit vielen Jahren ist bekannt: Wer H. pylori hat und eine chronische Magenschleimhautentzündung, trägt ein erhöhtes Risiko, dass sich daraus ein Magenkarzinom entwickeln kann. In solchen Fällen wird eine gezielte Antibiotikatherapie durchgeführt. Gleichzeitig gilt: Die Durchseuchung mit diesem Bakterium liegt bei etwa 30 bis 40% in Deutschland, aber natürlich bekommen nicht 40% der Bevölkerung Magenkrebs. H. pylori ist also ein Risikofaktor, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb wäre es nicht verantwortungsvoll, allen infizierten Erwachsenen pauschal Antibiotika zu verordnen.
Ähnlich ist es bei anderen Erkrankungen und oft kommt der Effekt am Ende nicht von einem Bakterium, sondern von vielen Bakterien gemeinsam. Die Zusammensetzung des Mikrobioms verschiebt sich, sodass einige Bakterienarten häufiger und andere seltener werden. Natürlich achtet man auch auf einzelne aber entscheidend ist meist das Gesamtmuster.
Wir sehen bestimmte Signaturen im Mikrobiom, die sich bei Krebspatienten von denen gesunder Menschen oder von denen anderer Erkrankter unterscheiden.
Dr. Mager: Es gibt dazu bereits zahlreiche Forschungsergebnisse. Zwar ist es in der Klinik noch nicht Standard, aber aus klinischen und präklinischen Studien weiß man: Das Mikrobiom spielt bei vielen Krebsarten eine große Rolle, beispielsweise bei Darm-, Haut- oder Lungenkrebs. Patienten, die auf Therapien ansprechen, sei es auf klassische Chemotherapie oder neuere Immuntherapien, haben ein anderes Mikrobiom als jene, die nicht ansprechen.
Das zeigt sich auch in Mausmodellen: Überträgt man das Mikrobiom von Patienten, die auf eine Therapie angesprochen haben, per Stuhltransplantation auf Mäuse und vergleicht dies mit Mäusen, die das Mikrobiom von Nicht-Respondern (Patienten, die nicht auf die Therapie ansprechen) erhalten, dann unterscheiden sich die Therapieergebnisse deutlich, obwohl die Mäuse sonst gleich sind (gleiche Diät, gleiche Genetik). Die Mäuse mit dem "Responder-Mikrobiom" sprechen auf die Therapie an, die anderen nicht. Das Mikrobiom steuert den Therapieerfolg also mit.
Dabei ist sowohl die Gesamtheit der Zusammensetzung als auch einzelne Bakterien wichtig. Sind bestimmte Bakterien vermehrt vorhanden, produzieren sie Stoffe, die für uns vorteilhaft sind und die Wirkung der Therapie beeinflussen können. Die Forschung ist in diesem Bereich weitergegangen und hat spezifische Bakterien isoliert welche nun in klinischen Studien untersucht werden.
Wie gut das am Ende in Patienten funktioniert, werden wir voraussichtlich in fünf bis zehn Jahren wissen. Das Ziel ist klar: Lässt sich ein besserer Therapieerfolg durch die Gabe von Bakterien bestätigen, könnten Patienten mit einer "ungünstigen" Mikrobiom-Zusammensetzung eine Kapsel mit einigen gezielt ausgewählten Bakterien erhalten – und die Therapie würde dann hoffentlich besser anschlagen. Kurz gesagt soll das Mikrobiom gezielt in eine positive Richtung verändert werden, entweder als Gesamtkomposition oder über einzelne Bakterien, die hilfreiche Botenstoffe liefern und so dem Immunsystem dabei helfen, Krebs wirksamer zu bekämpfen.
Dr. Mager: Stuhltransplantationen (FMT) kommen im klinischen Alltag derzeit vor allem bei infektiösen Erkrankungen zum Einsatz. Konkret ist mir als zugelassene Indikation die Clostridium difficile-Infektion bekannt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche klinische Studien zu nahezu allen denkbaren Krankheitsbildern, da das Mikrobiom mit sehr vielen Erkrankungen zusammenhängt: von neurologischen bzw. neuropsychologischen Störungen wie Autismus über chronische Entzündungen in Gelenken, Haut und Darm bis hin zu verschiedenen Krebserkrankungen.
Auch in der Onkologie gibt es herzu Studien: Patienten die nicht auf eine Immuntherapie ansprechen, können eine Stuhltransplantation von einem anderen Patienten, der darauf angesprochen hat, erhalten. In manchen Fällen wird der Nicht-Responder dadurch zum Responder. Solche Ansätze werden im Moment jedoch nur in Studien und nicht im klinischen Alltag durchgeführt.
Kurz gesagt: FMT wird in Studien aktiv erforscht, zeigt Erfolge, ist aber – abgesehen von der Anwendung bei Clostridium difficile-Infektionen – noch kein fester Bestandteil der Routineversorgung.
Dr. Mager: Meine große Hoffnung ist, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren tatsächlich marktreife Produkte sehen werden. Es gibt bereits mehrere große Unternehmen, die klinische Studien durchführen. Das nährt die Zuversicht.
Dr. Mager: Ich empfehle eine ausgewogene und ballaststoffreiche Ernährung und rate dazu, hochverarbeitete Lebensmittel möglichst zu vermeiden. Das gemeinsame Kochen und Essen wirkt sich neben dem direkten Gesundheitsaspekt zusätzlich auch positiv auf unser soziales Leben aus. Sport und Bewegung haben weitere zahlreiche positive Effekte – körperlich wie psychisch.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich die Prägung des Immunsystems in den ersten 1.000 Tagen, also ca. den ersten drei Jahren unseres Lebens. In dieser Phase "erzieht" das Mikrobiom das Immunsystem. Wenn möglich sollte in dieser Zeit das Mikrobiom so wenig wie möglich geschädigt werden und den Kindern der Zugang zu "neuen" Bakterien ermöglich werden. Dies ist auch wunderbar zusammengefasst in der Dokumentation sowie dem Buch "Let them eat dirt" von zwei anerkannten Mikrobiomforschern.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 29.10.2025.