Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohrs, die durch plötzliche Anfälle von Schwindel, Tinnitus und fortschreitenden Hörverlust gekennzeichnet ist. Diese Anfälle dauern oft mehrere Stunden an und können von Übelkeit und Erbrechen begleitet sein. Im Verlauf der Krankheit kann eine zunehmende Hörminderung auftreten, die bis hin zur Taubheit führen kann. Nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch die Unvorhersehbarkeit der Anfälle und die damit verbundene Angst im Alltag machen die Erkrankung sehr belastend für Betroffene.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Der Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohres, die durch die drei Hauptsymptome Schwindel, Hörverlust und Ohrgeräusche (Tinnitus) charakterisiert ist. Der Symptomenkomplex wurde erstmalig im 19. Jahrhundert von dem französischen Arzt Prosper Menière beschrieben. Beschreibungen dieser Erkrankung existieren jedoch schon wesentlich früher, beispielsweise in den Aufzeichnungen Martin Luthers, den v.a. das „greuliche Brausen und Sausen“ lebenslang quälte.
Die Erkrankung verläuft in wiederholt auftretenden, unvorhersehbaren Anfällen, die zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden anhalten. Zwischen den Anfällen liegen manchmal Jahre, oft aber auch nur Tage, Wochen oder Monate. Stärke und Dauer der Anfälle nehmen oft über die Zeit ab und können - meist nach Jahren - sogar vollständig verschwinden. Meist ist ein Ohr betroffen, seltener beide Ohren. Für die Betroffenen steht der bedrohlich wirkende Schwindel während eines Anfalls meist im Vordergrund. Dieser wird als Karussellschwindel (Drehschwindel) beschrieben und führt gewöhnlich zu starker Übelkeit, oft auch zu Erbrechen.
Während des Anfalls tritt außerdem eine Hörverschlechterung auf, die sich am Anfang gewöhnlich im tieffrequenten Hörbereich nachweisen lässt. Während sich das Hören nach den ersten Anfällen oft wieder normalisiert, kommt es im Laufe der Erkrankung zu einem fortschreitenden Hörverlust, der nach Jahren bis zur Ertaubung führen kann. Begleitet wird der Hörverlust von Ohrgeräuschen auf dem betroffenen Ohr, die in geringerer Intensität in der Regel auch außerhalb der Anfälle für den Erkrankten hörbar bleiben. Viele Betroffene beschreiben zudem ein unangenehmes Druckgefühl auf dem erkrankten Ohr.
Die Erkrankung verläuft in wiederholt auftretenden, unvorhersehbaren Anfällen, die zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden anhalten.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Typisch für den Morbus Menière ist der anfallsartig auftretende Charakter, was ihn von vielen chronischen Schwindelformen unterscheidet. Das als drehend empfundene Schwindelgefühl ist generell Zeichen einer vestibulären (das Gleichgewichtsorgan bzw. Innenohr betreffenden) Störungen. Im Vergleich zu anderen vestibulären Erkrankungen tritt der Morbus Menière völlig unverhofft auf und kann nicht, wie beispielsweise der gutartige Lagerungsschwindel, durch bestimmte Bewegungen provoziert also ausgelöst werden.
Während die Attacken des Lagerungsschwindels nur wenige Minuten anhalten, dauern diese beim Morbus Menière definitionsgemäß mindestens 20 min. - meist sogar mehrere Stunden. Demgegenüber haben Menschen bei einem akuten Ausfall des Gleichgewichtssystems, der sogenannten Neuropathia vestibularis, meist über mehrere Tage akute Drehschwindelbeschwerden, die nicht mit anderen Ohrsymptomen einhergehen. Besonders schwer fällt oft die Abgrenzung des Morbus Menière zur vestibulären Migräne.
Üblicherweise treten bei Migränepatienten Attacken halbseitiger Kopfschmerzen mit einer Dauer von bis zu zwei Tagen auf, die häufig von Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen begleitet werden. Einige Patienten geben auch Schwindel als Begleitsymptom an. Dabei kann der Schwindel auch ohne Kopfschmerzen auftreten. Selten wird bei der vestibulären Migräne auch über Ohrsymptome wie Hörverlust und Tinnitus berichtet, ein fortschreitender Hörverlust kommt im Gegensatz zum Morbus Menière bei vestibulärer Migräne jedoch nicht vor.
Patienten mit Kreislaufproblemen beschreiben, anders als bei vestibulären Störungen, typischerweise ein „Schwarzwerden vor Augen“ beim Bücken oder schnellen Aufstehen, morgendlichen Schwankschwindel mit Benommenheit und Ohnmachtsgefühl, Müdigkeit und Pulsrasen. Das Fehlen einer Hörverschlechterung und des typischen drehenden Schwindelcharakters mit Übelkeit und Erbrechen lassen kreislaufbedingte Schwindelbeschwerden somit gut vom Morbus Menière abgrenzen. Selten können wiederholt über Minuten auftretende Drehschwindelattacken auf kurzzeitige Durchblutungsstörungen im Hirnstamm oder Kleinhirn hinweisen. Sie können von Hörstörungen und anderen neurologischen Symptomen begleitetet sein.
Aus diesen Symptomen kann sich innerhalb kurzer Zeit ein Hirninfarkt (Schlaganfall) entwickeln, der dann zu einem dauerhaften Drehschwindel führen kann. Dieses Krankheitsbild wird häufig von anderen neurologischen Symptomen begleitet und muss aufgrund des lebensbedrohlichen Charakters sofort behandelt werden. Bluthochdruck, bestimmte Herzerkrankungen und Gefäßverkalkung stellen typische Risikofaktoren für einen Hirninfarkt dar. Ein Hirninfarkt kann bei jahrelang andauernden Schwindelattacken und fehlender begleitender neurologischer Symptomatik ausgeschlossen werden.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Ein Arzt sollte immer dann aufgesucht werden, wenn die Symptomatik zum ersten Mal auftritt, um einen (seltenen) Schlaganfall (Hirninfarkt) nicht zu übersehen. Dies gilt insbesondere bei älteren Menschen mit den bereits genannten Risikofaktoren. Aufgrund des bedrohlichen Charakters des Schwindels werden viele Betroffene, die ihren ersten Anfall erleben, den Notarzt konsultieren und zur weiteren Abklärung in eine neurologische Notaufnahme gebracht. Dort wird üblicherweise ein Schlaganfall mit einem CT (Computertomogramm) oder MRT (Magnetresonanztomografie) ausgeschlossen.
Typische klinische Anzeichen eines Menière-Anfalls sind bestimmte, nicht kontrollierbare Augenbewegungen, die der Arzt unter einer speziellen Brille, teils aber auch mit bloßem Auge erkennen kann. Beim HNO-Arzt kann der Hörverlust beim Anfall mit einem Hörtest (Audiogramm) nachgewiesen werden. Im Verlauf der Erkrankung kann auf dem betroffenen Ohr eine reduzierte Gleichgewichtsfunktion durch eine sogenannte kalorische Vestibularisprüfung (Ohrspülung mit warmem und kaltem Wasser) gemessen werden. Die Gleichgewichtsfunktion kann mit Fortschreiten der Erkrankung sogar ganz ausfallen. Der einseitige Verlust wird durch das Gehirn in der Regel ausgeglichen, sodass keine dauerhaften Schwindelbeschwerden zurückbleiben.
Für die definitive Diagnosestellung wurden allgemeingültige Kriterien festgelegt, die sich auf die klinische Beschwerdesymptomatik beziehen. Danach liegt ein Morbus Menière dann vor, wenn mindestens zwei spontane Drehschwindelepisoden von 20 Minuten bis 12 Stunden Dauer aufgetreten sind, ein Hörverlust im tiefen bis mittleren Hörbereich in einem Hörtest mindestens einmal nachgewiesen wurde, wiederkehrende Ohrsymptome wie Hörverschlechterung, Ohrgeräusche und Ohrdruck vorliegen und die Symptomatik durch keine andere Erkrankung plausibel erklärbar ist. Die Diagnose „Morbus Menière“ wird demnach zum großen Teil anhand der typischen geschilderten Beschwerdesymptomatik gestellt. Zum Ausschluss anderer Ursachen sollte einmalig eine Magnetresonanztomographie erfolgen.
Die Gleichgewichtsfunktion kann mit Fortschreiten der Erkrankung sogar ganz ausfallen.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Menschen, die einen typischen Menière-Anfall erleiden, sind plötzlich handlungsunfähig. Der aus völliger Gesundheit akut auftretende Anfall löst heftigen Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen aus und ist oft mit großer Angst verbunden. Nur wenige Betroffene haben vor einem Anfall eine Art Aura (Vorahnung, Vorzeichen, Prodromi) und können sich auf den bevorstehenden Anfall einstellen. Es ist nicht schwer vorzustellen, dass die fehlende Vorhersagbarkeit der Anfälle bei Betroffenen eine stetige Angst vor dem nächsten Anfall hervorruft und der Alltag in allen Bereichen - sei es im Privaten und im Beruflichen - maßgeblich beeinflusst wird.
Es besteht dadurch die Gefahr, dass Betroffene im Laufe der Erkrankung vermeiden, das Haus zu verlassen und sich zunehmend von ihrem sozialen Umfeld isolieren. Ängste und Depressionen sind keine Seltenheit. Das Zerbrechen von Beziehungen und der Verlust des Arbeitsplatzes sind schwerwiegende Auswirkungen, die drohen können. Hinzu kommt, dass Menière-Patienten mit regelmäßigen Anfällen (ohne Vorzeichen) nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, wodurch sie zusätzlich an Selbstständigkeit verlieren. Die Ausprägung der Folgen hängt nicht nur vom individuellen klinischen Erscheinungsbild des Betroffenen ab, sondern maßgeblich davon, welche Strategien zur Krankheitsverarbeitung zur Verfügung stehen, wie also individuell mit dem Krankheitsgeschehen umgegangen wird. Hierbei spielt auch das Verständnis des sozialen Umfelds für die Erkrankung eine relevante Rolle.
Zwischen den Anfällen beeinträchtigt Betroffene oft außerdem das schwankende (fluktuierende) Gehör, d.h. sie hören und verstehen manchmal schlechter, manchmal besser. Häufig wird auch über ein verzerrtes Hören berichtet. Wird eine Hörgeräteversorgung nötig, so ist diese aufgrund des schwankenden Hörens oft eine Herausforderung und nicht immer suffizient möglich. Bei einseitiger Erkrankung leiden Menière-Patienten mit einseitigem Hörverlust besonders unter schlechterem Sprachverstehen in lauter Umgebung und in Gesprächen mit mehreren Personen. Außerdem ist die Lokalisation von Geräuschquellen stark eingeschränkt.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Im akuten Anfall hilft es, sich in einen ruhigen Raum zu legen. Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen, die am besten in Form von Zäpfchen verabreicht werden, sollten im Notfall griffbereit sein. Das Mitführen eines Mobiltelefons ist ratsam, um bei einem Anfall Hilfe rufen zu können.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Ursache und Auslöser der Erkrankung sind bis heute nicht sicher geklärt. Charakteristischerweise findet man bei Menière-Patienten eine Erweiterung der flüssigkeitsgefüllten Innenohrräume (endolymphatischer Hydrops), die vermutlich durch eine Abflussstörung ausgelöst wird. Unter bestimmten, bisher noch immer ungeklärten Umständen, kommt es zu einem Einreißen der Trennmembran zwischen den beiden flüssigkeitsgefüllten Räumen im Innenohr. Die Vermischung dieser Flüssigkeiten löst die typische Innenohrsymptomatik mit Schwindel, Hörminderung, Tinnitus und Ohrdruck aus. Als begünstigende Faktoren werden eine genetische Veranlagung, Infektionen, Durchblutungsstörungen, autoimmune, stoffwechsel- oder ernährungsbedingte Ursachen diskutiert.
Charakteristischerweise findet man bei Menière-Patienten eine Erweiterung der flüssigkeitsgefüllten Innenohrräume..., die vermutlich durch eine Abflussstörung ausgelöst wird.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Die Behandlung des Morbus Menière erfolgt in mehreren Stufen und beinhaltet nicht-medikamentöse, medikamentöse und operative Maßnahmen. Sie zielt grundsätzlich auf eine Reduktion der Anfallsrate und Verringerung des Schwindels ab. Der fortschreitende Hörverlust kann durch die folgend aufgeführten Behandlungsmethoden jedoch nicht aufgehalten werden.
Als generelle Therapieoptionen werden häufig diätetische Maßnahmen empfohlen, für die es jedoch bis heute keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz gibt. Hierzu zählen eine salzarme Diät zur Verringerung des Überdrucks im Innenohr sowie die Einschränkung des Koffein- und Alkoholkonsums. Das am häufigsten eingesetzte Medikament ist Betahistin. Es verbessert die Durchblutung im Innenohr und verringert die Aktivität in neuronalen Strukturen des Gleichgewichtssystems. Es wird als Dauerprophylaxe täglich oder direkt vor bzw. zu Beginn eines Anfalls eingenommen.
Treten trotz der medikamentösen Therapie Anfälle auf, wird empfohlen, Kortison durch das Trommelfell ins Mittelohr zu spritzen (intratympanale Injektion = IT). Die Behandlung wird in der Regel einmal wöchentlich für bis zu fünf Wochen durchgeführt. Liegt bereits eine hochgradige Schwerhörigkeit vor und haben bisherige Therapien nicht zu einer Besserung geführt, kann das Gleichgewichtssystem im Innenohr durch eine IT mit einem Antibiotikum (Gentamicin) oder operativ (Zerstörung des Gleichgewichtsorgans) ausgeschaltet werden. Eine weitere operative Möglichkeit stellt in schweren Fällen die sogenannte „Saccotomie“ dar, wodurch der Abfluss im Innenohr verbessert werden soll. Bei dauerhaftem Ohrdruck kann die Einlage eines Paukenröhrchens in das Trommelfell Abhilfe schaffen.
Bei fortschreitender Hörminderung sollte eine Hörgeräteversorgung über den HNO-Arzt erfolgen. Reichen Hörgeräte nicht mehr aus, kann mit implantierbaren Hörgeräten (Cochlea-Implantate, Innenohrimplantate) das Hörvermögen wiederhergestellt werden. Liegen in den anfallsfreien Intervallen eine chronische Gangunsicherheit, Schwankschwindel oder Gleichgewichtsstörungen vor, kann Physiotherapie verordnet werden. Stress und psychische Belastung können durch das Erlernen von Entspannungsverfahren reduziert werden. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, können psychologisch-psychosomatische Therapien und Psychotherapie Hilfestellung leisten.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Die Erkrankung kann in den meisten Fällen trotz der vielfältigen Maßnahmen nicht geheilt werden. Krankheitsverlauf und Ansprechrate auf die unterschiedlichen Therapien sind sehr individuell. In den meisten Fällen werden die Anfälle im Laufe des Lebens kürzer und seltener. Sie können sogar ganz verschwinden. Man spricht dann von einem „Ausbrennen“ der Erkrankung. Ein wesentlicher Punkt für die Prognose der Patienten ist das Erreichen einer Krankheitsakzeptanz und die Reduktion von zusätzlichen stressauslösenden Faktoren. Ein stabiles Umfeld und die Unterstützung durch Familie und Freundeskreis begünstigen die Krankheitsbewältigung positiv.
Die Erkrankung kann in den meisten Fällen trotz der vielfältigen Maßnahmen nicht geheilt werden.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Wie gut ein Patient mit der Erkrankung umgehen kann und wie sehr ihn die Symptome im Alltag beeinträchtigen, hängt neben den individuellen Verarbeitungsmöglichkeit auch relevant vom Wissen um die Erkrankung und der Stabilität des sozialen Umfelds ab. In Selbsthilfegruppen erhalten Betroffene besonders wertvolle Informationen und Hilfestellung aus erster Hand (z.B. www.kimm-ev.de). Um das Gleichgewicht zu stabilisieren und vorhandene Defizite auszugleichen ist das regelmäßige Training der noch vorhandenen Gleichgewichtsfunktion essenziell. Dies kann durch generelle sportliche Betätigung, regelmäßige Spaziergänge oder physiotherapeutische Maßnahmen erfolgen.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Schwindelattacken lösen neben Übelkeit häufig Unsicherheit, Angst und Panik aus. Treten diese Attacken regelmäßig und ohne vorherige Ankündigung auf, so nimmt auch die Angst vor dem Eintreten eines Anfalls immer mehr zu. Diese Angst kann selbst als Unsicherheit und Schwindelgefühl wahrgenommen werden. Es entwickelt sich zusätzlich ein seelischer oder auch psychogener Schwindel. Betroffene mit einer vorbestehenden oder begleitenden psychischen Erkrankung wie einer Angststörung oder einer Depression zeigen ein höheres Risiko für die Entwicklung einer solchen psychogenen Schwindelkomponente. Alleinleben, weibliches Geschlecht, mittleres Alter und niedriger Bildungsstand sind weitere Risikofaktoren.
Wie gut ein Mensch mit den Krankheitssymptomen umgehen kann und wie sehr sich die Erkrankung auf das psychische Erleben auswirkt hängt einerseits von der Ausprägung und Häufigkeit der Symptome ab, maßgeblich jedoch auch davon, welche Strategien zur Krankheitsbewältigung zur Verfügung stehen sowie von der Unterstützung des sozialen Umfeldes und dem Verständnis des Betroffenen gegenüber der Erkrankung. Die Aufklärung und Information Betroffener und deren Angehöriger über die Erkrankung ist daher äußerst wichtig. Bei Symptomen eines psychogenen Schwindels können psychologisch-psychosomatische Therapien wie Entspannungsverfahren, ärztliche Gespräche und Psychotherapie helfen.
Treten diese Attacken regelmäßig und ohne vorherige Ankündigung auf, so nimmt auch die Angst vor dem Eintreten eines Anfalls immer mehr zu.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Um den Körper im Gleichgewicht zu halten erhält unser Gehirn Informationen aus unterschiedlichen Organen. Hierzu zählen die Gleichgewichtsorgane im Innenohr, die Augen sowie die Sensoren an Muskulatur und Haut. Mit zunehmendem Alter kann es zu Beeinträchtigung der Funktion in verschiedenen dieser Organe kommen. Ältere Menschen sind daher generell mehr gefährdet, eine Gleichgewichtsstörung zu entwickeln.
Leidet ein älterer Mensch an einem Morbus Menière und besteht bereits eine Funktionseinschränkung in einem oder sogar beiden Gleichgewichtsorganen, so kann z.B. eine zunehmende Sehbeeinträchtigung oder eine Verschlechterung der Funktion der peripheren Nerven an den Füßen (periphere Polyneuropathie) durch eine Blutzuckerkrankheit oder einen Bluthochdruck die Gleichgewichtsstörung verschlimmern. Stürze und Immobilität können die Folge sein. Auch eine im Rahmen eines Morbus Menière fortgeschrittene Hörstörung, die nicht ausreichend behandelt wird, kann gerade für ältere Menschen mit reduzierten sozialen Kontakten schwerwiegende Folgen wie eine Demenzentwicklung und soziale Isolation hervorrufen. Daher ist die Therapie der Schwerhörigkeit auch bzw. gerade in höherem Alter eine ganz wichtige Maßnahme.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Eine wesentliche Erkenntnis war der Nachweis des endolymphatischen Hydrops im Innenohr in der Magnetresonanztomographie (MRT). Hierzu haben Forschergruppen aus Deutschland einen relevanten Beitrag geleistet. Vor der Untersuchung wird ein Kontrastmittel in das Mittelohr gespritzt, dass sich von dort aus im Innenohr anreichern kann. Die Untersuchung kann zum Nachweis eines Morbus Menière herangezogen werden. Sie ist jedoch noch nicht der Goldstandard in der Diagnostik.
Dr. Goldberg-Bockhorn: Die Forschung der letzten Jahre beschäftigt sich insbesondere mit der Diagnostik des Morbus Menière und beispielsweise der Abgrenzung zur vestibulären Migräne, einer Sonderform der typischen Migräne, die neben Kopfschmerzen mit Schwindelattacken einhergeht. Auch wird in Studien weiterhin versucht, die Entstehung des Morbus Menière besser zu verstehen, Risikofaktoren und genetische Ursachen zu eruieren und die Behandlungsstrategien zu verbessern.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 07.10.2024.