Tinnitus, auch Tinnitus aurium oder Tinnitus aureus genannt, bezeichnet Ohrgeräusche wie beispielsweise ein Rauschen oder Pfeifen im Ohr. Die Störung ist auch unter dem Namen Ohrensausen bekannt. Es handelt sich um eine anhaltende oder wiederholte Hörwahrnehmung, die unabhängig von Außengeräuschen ist und die nur der Betroffene selbst vernimmt. Der Tinnitus kann das Befinden des Betroffenen ganz erheblich beeinträchtigen.
An sich ist Tinnitus keine Erkrankung im eigentlichen Sinne, sondern ein Symptom als Anzeichen einer grundlegenden Störung. Der Tinnitus kann auch als Syndrom angesehen werden, weil die Ursachen mannigfaltig sind und die Beschwerden sich ganz unterschiedlich äußern können. An andauernden Ohrgeräuschen leiden vermutlich 10 bis 20 Prozent der Menschen in den Industriestaaten, bei älteren Personen ist die Störung bei circa einem Drittel vorhanden. Häufig beginnt ein Tinnitus zwischen 40 und 50 Jahren, er kann aber in jedem Alter vorkommen. Fast 40 Prozent der Menschen hatten in ihrer Vergangenheit einen Tinnitus. Frauen und Männer haben eine etwa gleich hohe Rate an Tinnitus-Betroffenen. Die Anzahl der Betroffenen hat anscheinend in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.
Eine Vielzahl von Faktoren kann zur Entwicklung eines Tinnitus beitragen. Hier muss zunächst zwischen subjektivem und objektivem Tinnitus unterschieden werden. Der objektive Tinnitus ist durch Geräusche vermittelt, die Außenstehende ebenfalls hören (können), der subjektive Tinnitus kann nur vom Patienten selbst wahrgenommen werden. Der subjektive Tinnitus ist weitaus häufiger als der objektive Tinnitus.
Objektiver Tinnitus ist so enorm selten, weil er durch tatsächliche Vibrationen innerhalb des menschlichen Kopfes verursacht wird. Die Ursachen können Strömungsgeräusche von Blutgefäßen sein, insbesondere bei Fehlbildungen oder bei Bluthochdruck. Ein krankhaftes, durch Störungen im Gehirn verursachtes Hin- und Herflattern des Gaumens (Gaumensegelnystagmus) kann ebenfalls Grund für einen objektiven Tinnitus sein. Eine weitere Möglichkeit der Entstehung ist ein Krampf eines kleinen Muskels im Mittelohr, dem Musculus tensor tympani, so dass die Zuckungen zu knackenden Geräuschen führen. Eine Störung der Verbindungsröhre zwischen Mittelohr und Rachen, der Tuba auditiva (Eustachische Röhre) führt aufgrund der strömenden Luft zu Geräuschen.
Dagegen sind die allermeisten Tinnitus-Fälle nur subjektiv vom Patienten zu bemerken. Hier sind die Ursachen äußerst verschiedenartig. Nicht immer lässt sich einem Tinnitus auch eine Ursache zuordnen.
Lärm kann einen Tinnitus zur Folge haben, und zwar durch eine große Lautstärke oder durch eine dauerhafte Einwirkung. Der Lärm kann beispielsweise im Beruf, in der Diskothek oder durch Knallkörper auf den Patienten einwirken. Lärm kann, ebenso wie die Einwirkung von Gift auf das Innenohr (etwa bestimmte Arzneimittel), zu Abweichungen von den normalen Impulsen im Hörnerv führen. Im Normalfall kommt es im Nerv zu spontaner elektrischer Aktivität. Sobald Schall vom Innenohr aufgenommen wurde, ändern sich die Impulse und das Gehirn registriert eine Hörwahrnehmung. Bei krankhaften Veränderungen können diese spontanen Impulse im Hörnerv reduziert oder verändert sein. Im Gehirn entsteht ein akustischer Eindruck, der eigentlich nicht vorhanden ist. Dies heißt auch zentraler Tinnitus. Ein zentraler Tinnitus ist eine Fehlverarbeitung der Informationen im Gehirn.
Auch im Rahmen einer Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) kann ein Tinnitus auftreten. Ebenso kann die Innenohr-Krankheit Morbus Menière neben Drehschwindel und Schwerhörigkeit einen Tinnitus beinhalten.
Als wahrscheinliche mögliche Ursache von Tinnitus gilt eine Minderdurchblutung des Ohrs. Werden kleine Blutgefäße nicht mehr richtig durchblutet, dann kommt es zum Sauerstoffmangel im jeweiligen Gebiet, in diesem Fall im Innenohr. Die Haarzellen, die den Hörreiz im Innenohr aufnehmen, werden geschädigt. Der Tinnitus tritt oft im Rahmen eines Hörsturzes ein, bei dem ebenfalls eine Durchblutungsstörung im Ohr als mögliche Ursache gilt.
In einigen Fällen ist die Ursache von Tinnitus weiter außerhalb im Ohr zu suchen. Entzündungen und Infektionen im Ohr wie eine Mittelohrentzündung (Otitis media) oder Gehörgangsentzündung (Otitis externa) können den Tinnitus hervorrufen. Bereits Ohrenschmalz oder Fremdkörper im Gehörgang provozieren die Geräusche. Auch Erkrankungen des Mittelohrs wie die Otosklerose (Verknöcherungen am Innenohr mit Schwerhörigkeit) können dahinterstecken.
Orthopädische Erkrankungen können über Durchblutungsstörungen zu einem Tinnitus führen. Halswirbelsäulenerkrankungen wie Blockaden oder Fehlstellungen sowie auch Fehlstellungen am Kiefergelenk können deshalb hinter den Ohrgeräuschen stecken. Muskuläre Störungen am Kiefer oder im Gesicht sind weitere Faktoren, die mit Tinnitus im Zusammenhang stehen. Weitere Entstehungsmöglichkeiten umfassen
Verletzungen wie ein Schädel-Hirn-Trauma ziehen manchmal Ohrensausen nach sich. Auch Tumore, wie das Akustikusneurinom, welches am Hörnerv auftritt, können einen Tinnitus bedingen.
Ein Tinnitus ist ebenfalls oft psychisch vermittelt. Dies ist unter Umständen durch den folgenden Zusammenhang vermittelt: Stress und seelische Belastung können zu einer Ausschüttung von Adrenalin und als Folge davon zu Gefäßverkrampfungen im Ohr führen. Das Innenohr kann davon zu wenig Sauerstoff bekommen und ein Ohrensausen entwickelt sich.
Ohrgeräusche im Sinne eines Tinnitus können höchst unterschiedlich ausfallen. Betroffene hören häufig ein Piepen im Ohr, ein Klingeln, Rauschen oder Brummen. Manche Patienten beschreiben auch ein Sägen, Zischen, Knacken oder Klopfen im Ohr. Die Geräusche können auf einem oder auf beiden Ohren vernommen werden. Sie können ständig vorhanden sein oder nur zeitweise bestehen. Manchmal werden sie lauter und leiser oder die Tonhöhe ändert sich. Zusätzlich zum Tinnitus liegt sehr oft ein verschlechtertes Hörvermögen vor. In einigen Fällen kann ein Drehschwindel vorhanden sein.
Der Tinnitus kann sich nach einiger Zeit wieder legen (akuter Tinnitus) oder über eine lange Zeit bestehen (chronischer Tinnitus). Während der akute Tinnitus gute Heilungsaussichten aufweist, sind sie bei einem chronischen Verlauf eher schlecht.
Ein kompensierter Tinnitus besteht, wenn das Ohrensausen den Patienten nicht oder kaum beeinträchtigt. Ein dekompensierter Tinnitus liegt dagegen vor, wenn der Patient durch die Ohrgeräusche sehr stark gestört wird und die Lebensqualität deutlich darunter leidet. Der Tinnitus kann zu Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten führen. Er kann sich auf den Alltag und auf das Berufsleben auswirken, so dass manche Betroffene durchaus arbeitsunfähig werden können. Darüber hinaus kann der Tinnitus bei einigen Patienten eine Depression, Ängste oder weitere psychische Probleme verursachen.
Wenn sich ein Patient mit einem Tinnitus zum Arzt begibt, wird dieser herauszufinden versuchen, aufgrund welcher Ursache die Störung besteht. In einem Untersuchungsgespräch (Anamnese) erfragt der Arzt Informationen wie die Art (Rauschen, Pfeifen, Knacken, Brummen) und Stärke der wahrgenommenen Geräusche, ihr Auftreten sowie die subjektiv empfundene Belastung des Patienten durch das Ohrensausen und die Beeinträchtigung im Alltagsleben. Der Untersucher fragt nach möglichen Ursachen wie Erkrankungen, Verletzungen, Lärm oder Medikamenten.
Die HNO-ärztliche Grunduntersuchung schließt sich an, bei der unter anderem in den Gehörgang geblickt wird (Otoskopie, Ohrenmikroskopie). Gleichgewichtstests werden ebenso durchgeführt wie eine Reihe von Hörtests. Der Tinnitus wird beurteilt, indem die Lautstärke verglichen wird und die Lautstärke des Geräuschpegels ermittelt wird, um ihn zu überdecken (Maskierung). Dazu bekommt der Patient per Kopfhörer unterschiedliche Töne angeboten.
Ein besonderer Hörtest, der eine objektive Beurteilung erlaubt, ist die Hirnstammaudiometrie (BERA). Aufschlussreich ist auch eine Tympanographie (Tympanogramm), eine Funktionsuntersuchung an Trommelfell und Gehörknöchelchen. Weitere Hinweise, ob beispielsweise das Innenohr geschädigt ist, können sich durch einen Test auf otoakustische Emissionen ergeben. Dabei werden leistungsstarke Mikrofone verwendet, um sehr leise Geräusche aufzunehmen, die das gesunde Ohr auf Geräusche von außen hin wieder zurückwirft.
Ebenfalls wird eine Blutuntersuchung sowie eine Untersuchung von Kiefer und Gebiss oder auch der Wirbelsäule vorgenommen.
Abhängig von den Beschwerden und den Befunden können vielerlei weiterführende Untersuchungen angezeigt sein. Zu den möglichen Methoden gehören Tests auf Stoffwechselstörungen, Blutdruckmessung und EKG, Gefäßuntersuchungen (Doppler-Ultraschall), Untersuchungen des Nervensystems (unter anderem neurologische Untersuchung, EEG = Hirnströme, elektrophysiologische Untersuchung) oder auch eine psychologische Beurteilung. Unter Umständen kann ein Röntgen oder ein MRT (Magnetresonanztomographie, Kernspintomographie) sinnvoll sein.
Zur Differenzialdiagnose eines Tinnitus müssen die vielen möglichen Ursachen in Betracht gezogen werden. Sie müssen voneinander abgegrenzt werden. Doch manchmal sind mehrere Faktoren für die Geräusche im Ohr verantwortlich oder es kann nicht herausgefunden werden, was sie ausgelöst hat.
Die Therapie geschieht möglichst anhand der festgestellten Ursache. Sie sollte, wenn möglich, frühzeitig erfolgen, da die Prognose dann günstiger ist als bei einem langandauernden Tinnitus. Wenn sich die Ohrgeräusche nicht innerhalb von zwei Wochen deutlich bessert, kann eine Behandlung in einer Spezialklinik anzuraten sein.
Als Infusion werden dem Patienten Medikamente verabreicht. Diese Mittel fördern den Blutfluss und somit die Sauerstoffversorgung des Innenohrs. Vielen Patienten mit Tinnitus wird Cortison gegeben, ebenfalls über eine Infusion. Cortison ist besonders dann nützlich, wenn die Ursache der Ohrgeräusche eine Entzündung ist.
Ebenfalls sinnvoll ist eine Sauerstofftherapie (hyperbare Oxygenierung, HBO), vor allem wenn andere Therapien nicht anschlagen. Der Patient erhält reinen Sauerstoff als Überdruck-Beatmung.
Besteht der Tinnitus über längere Zeit und ist damit subakut (dauert mehr als drei Monate) oder chronisch (mehr als zwölf Monate), dann erfolgen weitere Maßnahmen. Der Betroffene bekommt nicht nur Infusionen und eine hyperbare Sauerstofftherapie, sondern eine weitere Unterstützung auf mehreren Ebenen.
Weil Geräusche den Tinnitus überdecken können, können Patienten ein Gerät anwenden, das kontinuierlich ein Rauschen erzeugt (Rauschgenerator, Tinnitus-Masker). Das zuvor quälende Ohrgeräusch geht im Rauschen des Geräts unter und wird nicht mehr als so störend empfunden. In der Regel ähnelt ein solches Gerät äußerlich einem Hörgerät.
Beim langandauernden Tinnitus müssen Betroffene lernen, mit ihren Ohrgeräuschen umzugehen. Dazu werden sie eingehend und über einen längeren Zeitraum von Tinnitus-Spezialisten betreut und beraten. Betroffene können eine Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT nach Jastreboff) bekommen, die oft mit der Anwendung des Rauschgerätes kombiniert wird. Dabei geht es um die Desensibilisierung gegenüber den Ohrgeräuschen. Der Betroffene trainiert, die Geräusche nicht mehr wahrzunehmen.
Zusätzlich ist bei der Therapie von Tinnitus alles sinnvoll, was der Stressreduktion dient. Unter anderem können Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder Yoga ausgeübt werden, damit der Umgang mit den Ohrgeräuschen einfacher wird und der Patient wegzuhören lernt. In Selbsthilfegruppen können Patienten sich mit anderen Betroffenen austauschen, sich gegenseitig unterstützen und Ratschläge erhalten, wie sie gegen den Tinnitus angehen können. Lärm sollte außerdem von Betroffenen mit Tinnitus gemieden werden.
Eine Datenbank an Kliniken, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Betroffene finden Sie unter folgendem Link: https://tinnitus-selbsthilfe.org/
Bestehen andere Störungen als Grund für den Tinnitus, dann werden sie gezielt therapiert. Sollte beispielsweise eine Störung in der Halswirbelsäule für die Ohrgeräusche verantwortlich sein, dann helfen oft Krankengymnastik und weitere physikalische Therapieverfahren.
Im Prinzip kann jeder Tinnitus auch wieder weggehen. Ein Tinnitus, der noch nicht lange besteht (akuter Tinnitus), kann zu schätzungsweise 60 bis 80 Prozent der Fälle zum Verschwinden gebracht werden. Beim chronisch gewordenen Pfeifen oder Rauschen im Ohr ist die Prognose bedeutend schlechter. Dennoch kommt es sehr häufig über lange Sicht zu einer allmählichen Abnahme der Geräusche. Nur in einem geringen Teil der Fälle nehmen die Geräusche später noch zu. Auch kann Im Allgemeinen sind die Erfolgsaussichten einer Tinnitustherapie umso besser, je eher damit angefangen wird.
Letzte Aktualisierung am 16.11.2021.