Ein Leaky Gut bezeichnet eine erhöhte Darmdurchlässigkeit und wird oft als "durchlässiger" oder "löchriger" Darm bezeichnet. Fremdstoffe, wie beispielsweise bakterielle Toxine, können die Zellen passieren. Häufige Auslöser sind eine unausgewogene Ernährung mit zuwenigen Ballaststoffen,zu viel Zucker und Weißmehlprodukte, Alkohol und Nikotin, Medikamente (vor allem Antibiotika und Schmerzmittel), Infektionen und Nährstoffmängel. Zudem steht ein Leaky Gut im Zusammenhang mit stillen Entzündungen, Unverträglichkeiten und teils Autoimmunerkrankungen.
Marker wie Zonulin, IFABP und Alpha-1-Antitrypsin liefern nur Hinweise. Die Diagnose ist also nicht ganz einfach. Die Therapie besteht zuerst darin, die Darmbarriere zu stärken. Eine spürbare Besserung zeigt sich meist nach zwei bis drei Monaten.
Dr. Mekras: Um zu verstehen, was ein Leaky Gut ist, ist die Darmwand entscheidend. Die Darmwand hat eine besondere Doppelrolle: Einerseits lässt sie Nährstoffe in den Körper hinein, die wir zum Leben brauchen, andererseits schützt sie uns, indem sie Krankheitserreger und Schadstoffe am Eindringen hindert. Entsprechend ist sie speziell aufgebaut:
Wir verfügen über drei Schutzschichten:
Wenn wir über Leaky Gut sprechen, ist auch wichtig, wo es lokalisiert ist. Wir unterscheiden Dünn- und Dickdarm. Die Nährstoffaufnahme erfolgt fast ausschließlich im Dünndarm, der mit 3 bis 6 Metern der längste Abschnitt ist – und genau dort kann es ebenfalls zu einem Leaky Gut kommen.
Dr. Mekras: Beim Leaky-Gut-Syndrom ist die Darmpermeabilität erhöht. Die Darmschleimhaut besteht aus einer einzelligen Epithelschicht. Die Zellen dieser Schicht sind über sogenannte Tight Junctions eng miteinander verbunden. Diese Verbindungen sind normalerweise so dicht, dass zwischen den Zellen kaum etwas hindurch tritt – wenn überhaupt, dann Wasser und Salze. Viele Nährstoffe werden daher durch die Zellen selbst in den Körper transportiert. Werden die Tight Junctions jedoch gelockert, gelangt zu viel zwischen den Zellen hindurch. Dann können Giftstoffe aus Bakterien (Toxine), Schadstoffe oder andere Fremdstoffe in den Körper eindringen, obwohl sie dort nicht hingehören. Dieser Zustand wird als Leaky-Gut-Syndrom bezeichnet.
Beim Leaky-Gut-Syndrom ist die Darmpermeabilität erhöht.
Dr. Mekras: Es gibt viele Faktoren, die ein Leaky-Gut-Syndrom hervorrufen können. Einer der wichtigsten ist die Ernährung: In westlichen Industrieländern ernähren wir uns oft unausgewogen, nehmen zu wenige Ballaststoffe zu uns und konsumieren zu viel Zucker sowie Produkte aus Weißmehl. Auch Toxine wie Alkohol und Nikotin können ein Leaky Gut verursachen. Zudem können Medikamente eine Rolle spielen, insbesondere Antibiotika, die viele Bakterien zerstören, aber auch Schmerzmittel wie z.B. Diclofenac etc.
Auch Erkrankungen können ein Leaky Gut auslösen, beispielsweise Infektionen im Darm. Gleichzeitig steht ein Leaky Gut mit verschiedenen Krankheiten in Zusammenhang, ohne dass immer klar ist, ob es Folge oder Mitverursacher ist. Dazu zählen beispielsweise Diabetes und unterschiedliche Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis. Es gibt also enge Verbindungen zu vielen Krankheitsbildern.
Schließlich können auch Nährstoffmängel dazu beitragen, insbesondere wenn die Nährstoffe fehlen, die die Darmschleimhaut benötigt. Dazu zählen B-Vitamine, Vitamin A, Zink und Magnesium.
Dr. Mekras: Leaky Gut ist nicht leicht festzustellen, weil es keinen eindeutigen Marker gibt, der es zu 100% nachweist. Es gibt jedoch verschiedene Marker, die wir bestimmen können. Der bekannteste ist Zonulin, das meist im Stuhl gemessen wird. Ein erhöhter Zonulin-Wert wird häufig direkt mit Leaky Gut in Verbindung gebracht. Das Problem dabei ist jedoch, dass Zonulin dafür nicht spezifisch genug ist, da es auch andere Gründe für erhöhte Werte gibt. Aus meiner Sicht wird Leaky Gut deshalb deutlich überdiagnostiziert – vielen Menschen wird eine Erkrankung zugeschrieben, obwohl sie diese gar nicht haben. Ein einzelner Wert reicht in meinen Augen nicht aus, um die Diagnose zu stellen, auch wenn dies oft praktiziert wird.
Etwas spezifischer ist das IFABP. Dieses Protein wird in den Zellen der Darmschleimhaut gebildet. Ist der Wert erhöht, wissen wir, dass die Zellen Schaden genommen haben. Wir nehmen dann an, dass dies mit einer erhöhten Durchlässigkeit einhergeht, was sich jedoch nicht sicher beweisen lässt. Ein weiterer Marker ist Alpha-1-Antitrypsin: Es wird in der Leber gebildet und kommt im Darm normalerweise nicht vor. Wenn wir es dennoch im Darm nachweisen, spricht das ebenfalls für eine zu durchlässige Darmwand. Letztlich liefern alle drei Werte nur Hinweise, aber keinen Beweis.
Es gibt ein Testverfahren, das in Studien eingesetzt wird, in der Praxis aber wegen des hohen Aufwands kaum Anwendung findet: der Lactulose-Mannitol-Test. Dabei werden bestimmte Zucker oral verabreicht und anschließend gemessen, wie viel davon im Urin ankommt. Eines der Zuckermoleküle ist ziemlich groß und sollte den Darm eigentlich kaum passieren. Passiert es dies jedoch vermehrt, deutet das auf eine erhöhte Durchlässigkeit hin. In der Praxis ist dieser Test jedoch kaum umsetzbar, weshalb wir auf die genannten Marker angewiesen sind.
Für meine Beurteilung ist entscheidend, ob jemand wirklich Beschwerden hat, zum Beispiel Bauchschmerzen, Krämpfe oder Blähungen. Liegen solche Symptome vor, ist ein Leaky-Gut-Syndrom relativ wahrscheinlich. Zusätzlich schaue ich, ob Zeichen einer stillen Entzündung bestehen. Ein zu durchlässiger Darm kann dazu führen, dass Fremdstoffe wie Toxine in den Körper gelangen und eine leichte, stille Entzündung auslösen. Das ist anhand klassischer Entzündungsparameter nicht erkennbar: Die Anzahl der weißen Blutkörperchen und das normale CRP sind meist unauffällig. Oft ist jedoch das hochsensible CRP (hs-CRP) leicht erhöht. Das kann ein Hinweis sein. Berücksichtigen wir alle Symptome, stille Entzündungszeichen und Marker wie Zonulin, IFABP und Alpha-1-Antitrypsin, können wir davon ausgehen, dass eine Person ein Leaky-Gut-Syndrom hat.
Dr. Mekras: Das größere Problem beim Leaky-Gut-Syndrom ist nicht der Zustand an sich, sondern seine Folgen. Es ist wichtig zu wissen, dass der Körper die Permeabilität der Darmwand physiologisch steuern kann. So haben wir beispielsweise während der Schwangerschaft ein natürliches Leaky Gut und auch bei intensiver sportlicher Belastung kann die Durchlässigkeit vorübergehend erhöht sein. Das ist zunächst nichts Schlimmes. Problematisch wird es erst, wenn die erhöhte Permeabilität dauerhaft besteht.
Ein chronisches Leaky-Gut-Syndrom, bei dem vieles unkontrolliert in den Körper gelangt, kann zu stillen Entzündungen führen. Fremdstoffe, Schadstoffe und Krankheitserreger dringen dann ständig ein, wodurch das Immunsystem fortwährend aktiviert wird und versucht, diese zu beseitigen. So entsteht ein dauerhafter Zustand der Immunabwehr, aus dem entsprechende Folgen erwachsen können. Eine mögliche Folge ist die Entstehung von Autoimmunerkrankungen. Wenn ein Fremdstoff körpereigenen Strukturen ähnelt, richtet sich die Immunreaktion irgendwann auch gegen körpereigene Gewebe. So kann es beispielsweise zu rheumatoider Arthritis oder anderen Autoimmunerkrankungen kommen.
Weitere Folgen eines Leaky-Gut-Syndroms sind eine schlechtere Nährstoffaufnahme – wir nehmen zu viele schädliche Stoffe auf, entwickeln dann häufig Nährstoffmängel – und eine eingeschränkte Aktivität von Enzymen, die in der Darmwand gebildet werden, etwa Diaminoxidase (baut Histamin ab) oder Laktase. Diese arbeiten dann nicht mehr optimal. Daraus können Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien entstehen. Deshalb geht es bei der Behandlung des Leaky-Gut-Syndroms vor allem darum, präventiv vorzugehen und diese Folgen zu vermeiden.
Ein chronisches Leaky-Gut-Syndrom, bei dem vieles unkontrolliert in den Körper gelangt, kann zu stillen Entzündungen führen.
Dr. Mekras: Wenn ich einen Leaky Gut vermute, dann ist das auch immer das Erste, was ich behandle. Warum? Weil bei der Behandlung von Parasiten – teils mit ätherischen Ölen, teils mit Antibiotika – beim Absterben der Parasiten oder Bakterien Giftstoffe freigesetzt werden. Diese gelangen in den Körper und stellen eine enorme Belastung dar – besonders, wenn bereits ein Leaky-Gut besteht. Deshalb behandle ich bei Verdacht auf ein Leaky-Gut zunächst genau dieses. Der Patient kann dabei selbst sehr viel tun, vor allem durch eine sehr gute Ernährung: naturbelassene Produkte, viel Gemüse und Ballaststoffe, hochwertige Fette. Gleichzeitig sollte er auf Alkohol und Nikotin verzichten.
Auch Stressmanagement ist entscheidend. Stress ist ein Auslöser für Leaky Gut, da Stress den Darm über die Darm-Hirn-Achse beeinflusst. Zur Entspannung kann Meditation helfen, anderen tut eher körperliche Bewegung gut, etwa Spaziergänge im Wald. Jeder muss hier seinen eigenen Weg finden, aber Entspannung ist auf jeden Fall ein wichtiger Faktor.
Zudem geht es darum, die Darmschleimhaut gezielt zu unterstützen. Häufig eingesetzt werden Glutamin und Lecithin sowie Nährstoffe wie Vitamin A, die B-Vitamine, Magnesium, Zink und Butyrat (Buttersäure), die als Nahrung für unsere Darmbakterien dienen. Mir ist auch der Omega-3-Index sehr wichtig, denn Omega-3-Fettsäuren sind essentiell und wir können EPA und DHA nur in sehr geringem Maße selbst bilden. Ich achte daher bei diesen Patienten immer auf einen angemessenen Omega-3-Index. Darüber hinaus können wir entzündungshemmend arbeiten, etwa mit Quercetin, Berberin und Curcumin. Das sind einige der Behandlungsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen – und es gilt jeweils zu prüfen, welcher Stoff bei welchem Patienten am besten wirkt.
Dr. Mekras: Grundsätzlich braucht man beim Darm etwas Geduld. In der Regel stellt sich die Verbesserung innerhalb von zwei bis drei Monaten ein. Besonders, wenn ein Leaky Gut Beschwerden verursacht. Es passiert nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit. Parallel zur Behandlung sollte man auf eine gesunde Ernährung achten. Liegt die Ursache etwa in einer Kohlenhydratintoleranz, ist das entsprechende Verhalten entscheidend. Bei einer Fruktosemalabsorption (Fruktoseintoleranz) kann es sinnvoll sein, eine Zeit lang größere Mengen Fruktose zu meiden. Das schauen wir uns immer individuell an. Im Schnitt gilt: Nach zwei bis drei Monaten schlägt die Behandlung an.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 07.11.2025.