Fast alle Gene lassen sich in ihrer Aktivität durch äußere Einflüsse wie Ernährung, Bewegung, Stress oder Umweltfaktoren beeinflussen. Diese sogenannte epigenetische Regulation bestimmt, welche Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Somit können Lebensstil und Umweltbedingungen unsere Gesundheit und Krankheitsanfälligkeit maßgeblich beeinflussen. Das bedeutet, dass wir durch bewusste Entscheidungenaktiv Einfluss auf unsere genetische Veranlagung nehmen können.
Martin Auerswald: Epigenetik beschreibt die Schalter, die unsere Gene an- oder abschalten – und damit, wie unser Körper funktioniert. Unsere Gene sind der Bauplan, das Potenzial. Ob dieses Potenzial genutzt wird oder brachliegt, entscheidet die Epigenetik – und die wird im Alltag durch unsere Ernährung, unseren Schlaf, unseren Umgang mit Stress, durch Bewegung und Beziehungen beeinflusst.
Anders gesagt: Wir sind nicht Opfer unserer Gene, sondern Gestalter unserer Gesundheit. 80% unserer Gesundheit liegt in unserer Hand – nicht in der DNA. Das ist eine gute Nachricht, denn es zeigt, wie viel Einfluss wir selbst auf Alterung, Energie, Wohlbefinden und Krankheitsverläufe nehmen können. Wer die Epigenetik versteht, hat einen Schlüssel in der Hand, um wieder mehr Eigenverantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen – ganz praktisch, Tag für Tag.
Martin Auerswald: Grundsätzlich lassen sich fast alle Gene in ihrer Aktivität beeinflussen – die Betonung liegt auf Aktivität. Unsere Gene selbst, also der Bauplan, bleibt gleich. Was wir über die Epigenetik steuern können ist, ob ein Gen an- oder abgeschaltet wird, ob es stark oder schwach abgelesen wird. Vor allem Gene, die mit Entzündungen, Entgiftung, Hormonregulation, Energieproduktion oder Zellalterung zu tun haben, reagieren sehr sensibel auf Umweltreize wie Ernährung, Bewegung, Stress oder auch Toxine.
Manche Gene hingegen – zum Beispiel solche, die schwere Erbkrankheiten verursachen – sind sehr stabil oder dauerhaft aktiv und lassen sich epigenetisch kaum regulieren. Der Unterschied liegt meist darin, wie eng ein Gen mit dem Überleben verknüpft ist oder ob es in spezialisierten Zellen eine Dauerfunktion erfüllt. Die gute Nachricht: Die meisten Gene, die unseren Alltag, unser Wohlbefinden und unsere Krankheitsanfälligkeit beeinflussen, sind beeinflussbar – das macht Epigenetik so spannend.
Grundsätzlich lassen sich fast alle Gene in ihrer Aktivität beeinflussen – die Betonung liegt auf Aktivität.
Martin Auerswald: Die größten Einflussfaktoren auf unsere Genaktivität sind erstaunlich alltäglich – und genau deshalb so mächtig: Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stress und emotionale Gesundheit. Eine nährstoffreiche, unverarbeitete Ernährung kann aktivierend auf "gute" Gene wirken – z. B. solche, die Entzündungen hemmen oder die Mitochondrien stärken. Auch regelmäßige Bewegung schaltet hunderte Gene an, die mit Zellreparatur, Hormonbalance und Langlebigkeit zu tun haben.
Schlaf ist ein oft unterschätzter Faktor: Schlechter oder zu kurzer Schlaf verändert bereits nach einer Nacht die Aktivität von über 700 Genen. Und nicht zuletzt: chronischer Stress oder ungelöste emotionale Belastungen können Gene aktivieren, die Entzündungen und Krankheitsprozesse fördern. Anders gesagt: Unser Lebensstil schreibt mit an unserem biologischen Drehbuch – jeden Tag.
Martin Auerswald: Ernährung wirkt wie ein Dirigent für unsere Gene: Sie liefert nicht nur Nährstoffe, sondern auch Signale. Bestimmte Lebensmittel aktivieren Gene, die Entzündungen hemmen, die Zellreparatur anregen oder die Mitochondrien stärken – andere hingegen fördern oxidative Prozesse, Insulinresistenz oder stille Entzündungen. Besonders epigenetik-wirksam sind Lebensmittel, die reich an sekundären Pflanzenstoffen, Antioxidantien und Methylgruppen sind. Dazu gehören z. B. Brokkoli und Kreuzblütler (sie enthalten Sulforaphan), Beeren, grünes Blattgemüse, Gewürze wie Kurkuma und Zimt, Pilze, Eier, fetter Fisch, aber auch fermentierte Lebensmittel. Wichtig ist dabei: so natürlich, vielfältig und unverarbeitet wie möglich. Die Summe der Ernährung zählt – nicht einzelne "Superfoods".
Wer seine Zellen und Gene täglich mit lebendiger Nahrung füttert, aktiviert die richtigen Schalter.
Martin Auerswald: Unser Mikrobiom – also die Gesamtheit der Darmbakterien – beeinflusst unsere Genaktivität auf mehreren Ebenen. Diese Mikroorganismen produzieren Stoffwechselprodukte wie kurzkettige Fettsäuren (z. B. Butyrat), Vitamine oder Neurotransmitter, die direkt in unsere Zellen wirken und epigenetische Schalter umlegen können. Butyrat zum Beispiel kann Gene aktivieren, die Entzündungen hemmen oder die Darmbarriere stärken.
Gleichzeitig wirkt ein gesundes Mikrobiom wie ein Schutzschild gegen schädliche Substanzen, die andernfalls unsere Genregulation stören könnten. Ein gestörtes Mikrobiom hingegen kann entzündungsfördernde Gene anschalten oder die Entgiftung blockieren. Deshalb: Wer seine Gene in eine gesunde Richtung lenken will, sollte immer auch den Darm im Blick haben – mit ballaststoffreicher Ernährung, fermentierten Lebensmitteln und möglichst wenig Antibiotika oder chemischen Zusätzen.
Martin Auerswald: Chronische Krankheiten wirken wie ein Stresstest für unsere Gene – im wahrsten Sinne. Sie verändern die epigenetische Landschaft: Entzündungsprozesse, oxidativer Stress oder Insulinresistenz führen dazu, dass bestimmte Gene dauerhaft aktiv bleiben – etwa solche, die Entzündungen oder Zellschäden fördern. Gleichzeitig werden reparierende oder schützende Gene häufig herunterreguliert.
Das ist wie ein Teufelskreis: Die Krankheit verändert die Genaktivität, und diese Veränderung verstärkt wiederum die Krankheit. Besonders deutlich sieht man das bei Erkrankungen wie Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder auch Depressionen.
Die gute Nachricht: Epigenetische Veränderungen sind oft reversibel. Mit dem richtigen Lebensstil können viele dieser krankheitsbedingten Schalter wieder zurückgestellt werden – das ist eine große Chance in der Prävention und Therapie.
Epigenetische Veränderungen sind oft reversibel.
Martin Auerswald: Bewegung ist eines der stärksten epigenetischen Werkzeuge, die wir haben – und völlig kostenlos. Bereits ein einziges Workout verändert die Aktivität von hunderten Genen, vor allem in Muskel-, Fett- und Immunzellen. Sport aktiviert Gene, die mit Entgiftung, Zellreparatur, Mitochondrienfunktion, Insulinsensitivität und Neuroplastizität zu tun haben. Gleichzeitig werden entzündungsfördernde Gene heruntergefahren. Besonders effektiv sind regelmäßige, moderate Belastungen – z. B. Krafttraining, Ausdauer, Intervalltraining und Bewegung an der frischen Luft. Auch kurze Einheiten haben Wirkung.
Jedes Training ist wie ein Gespräch mit deinen Genen – und zwar eines, das ihnen sagt: "Bleib jung, funktioniere besser, reparier dich schneller."
Martin Auerswald: Stress verändert unsere Genaktivität dramatisch – und zwar schon innerhalb weniger Stunden. Stress aktiviert Gene, die mit Entzündung, Zellalterung, Immununterdrückung und Hormonungleichgewicht zusammenhängen. Gleichzeitig werden regenerierende, schützende Gene herunterreguliert. Vor allem chronischer Stress ist wie ein Dauerfeuer für unsere Zellen – er macht krank, alt und schwach. Zur Stressbewältigung empfehle ich Strategien wie regelmäßige Bewegung, Naturkontakte, Atemübungen, Meditation oder Journaling. Auch soziale Verbundenheit wirkt wie ein Schutzfaktor auf die Epigenetik. Und ja: Schlaf ist absolut essenziell. Schon eine schlaflose Nacht verändert die Aktivität von über 700 Genen – darunter solche, die den Stoffwechsel, die Entzündungskontrolle und die Stimmung regulieren. Schlaf ist kein Luxus, sondern die wichtigste Regenerationsphase für Körper und Genetik.
Martin Auerswald: Umweltgifte wie Schwermetalle, Pestizide, Mikroplastik oder Abgase wirken auf unsere Gene wie Störsender: Sie können die DNA direkt schädigen oder epigenetische Schalter in die falsche Richtung verstellen – etwa indem sie Entzündungs- oder Krebs-Gene aktivieren und Reparatur-Gene blockieren. Besonders kritisch ist das bei chronischer Belastung. Unsere körpereigene Entgiftung – v. a. über Leber, Darm, Niere, Lymphe und Haut – spielt eine zentrale Rolle, um diese Schadstoffe zu neutralisieren und auszuleiten. Eine gezielte Entgiftung (z. B. mit Bitterstoffen, Ballaststoffen, Sauna, Bewegung, Fasten oder bestimmten Nährstoffen wie Glutathion, Zink oder B-Vitaminen) kann die Gene wieder "resetten" und der Zelle das Signal geben: "Alles ist gut, du kannst wieder reparieren statt kämpfen." Deshalb ist Detox mehr als ein Trend – es ist ein epigenetischer Reinigungsprozess.
Umweltgifte wie Schwermetalle, Pestizide, Mikroplastik oder Abgase wirken auf unsere Gene wie Störsender...
Martin Auerswald: Unsere Psyche ist kein Nebenschauplatz, sondern ein zentraler Regler für unsere Genaktivität. Emotionen wie Angst, Wut oder chronische Traurigkeit aktivieren Stressachsen im Körper – mit der Folge, dass Gene für Entzündung, Stresshormone und Zellalterung hochgefahren werden. Positive Emotionen hingegen – Dankbarkeit, Verbundenheit, Freude – wirken wie epigenetische Heilimpulse: Sie beruhigen das Nervensystem und aktivieren Gene für Regeneration, Immunfunktion und Resilienz. Traumata oder langanhaltende seelische Belastungen hinterlassen ebenfalls epigenetische Spuren – oft über Jahre. Deshalb gehören emotionale Heilung, Selbstreflexion, innere Arbeit und ein bewusster Umgang mit Gedanken unbedingt in jede Gesundheitsstrategie. Wer seine Psyche stärkt, stärkt auch seine Gene – es ist ein ständiger Dialog zwischen Kopf, Herz und Zelle.
Martin Auerswald: Gesunde Beziehungen sind wie ein epigenetisches Schutzschild – sie stärken unser Immunsystem, senken Stresshormone und aktivieren Gene, die mit Heilung, Lebensfreude und Langlebigkeit verknüpft sind. Soziale Verbundenheit ist kein "Nice-to-have", sondern ein biologisches Grundbedürfnis. Wer in sicherer Bindung lebt – sei es partnerschaftlich, freundschaftlich oder familiär – hat messbar bessere Entzündungswerte, besseren Schlaf und eine schnellere Zellregeneration. Und für Singles? Auch hier gilt: Verbindung zählt, nicht der Beziehungsstatus. Pflege Freundschaften, schaffe Rituale der Nähe und entwickle eine tiefe Verbindung zu dir selbst. Selbstfürsorge, Abgrenzung und emotionale Reife sind epigenetisch gesehen genauso wertvoll wie romantische Partnerschaft – vielleicht sogar nachhaltiger.
Martin Auerswald: Es sind die kleinen, regelmäßigen Gewohnheiten, die unsere Genaktivität langfristig formen – wie Tropfen, die über Jahre den Stein höhlen. Dazu gehören z. B. morgens natürliches Licht tanken, eine nährstoffreiche Mahlzeit, tägliche Bewegung, gute Schlafhygiene, regelmäßige Ruhephasen, soziale Kontakte und bewusstes Atmen. Jede dieser Gewohnheiten wirkt wie ein Impuls an unsere Epigenetik: "Du bist sicher, regeneriere, wachse." Konkret werden dabei Gene aktiviert, die Entzündungen hemmen, Zellen reparieren, die Mitochondrien stärken und die Hormonbalance fördern. Gleichzeitig werden schädliche Gene herunterreguliert – etwa solche, die Stresshormone, stille Entzündungen oder Zellalterung antreiben.
Ein gesunder Alltag programmiert unsere Zellen auf Gesundheit – nicht auf Überleben im Alarmmodus.
Martin Auerswald: Die epigenetisch ungünstigsten Gewohnheiten sind leider genau die, die in unserer modernen Welt oft "normal" sind: verarbeitete Lebensmittel, Bewegungsmangel, chronischer Stress, schlechte Schlafqualität, zu viel Bildschirmzeit, Einsamkeit, Rauchen, Alkohol und Umweltgifte. Diese Faktoren signalisieren dem Körper: "Gefahr, Ausnahmezustand". Die Folge: Gene, die mit Entzündungen, oxidativem Stress, Insulinresistenz, Zellalterung und sogar Krebs verbunden sind, werden hochreguliert. Gleichzeitig werden Reparatur-, Entgiftungs- und Regenerationsgene gehemmt. Der Körper funktioniert dann nicht mehr im Gleichgewicht, sondern im Notmodus. Wer dauerhaft in diesem Zustand lebt, programmiert seine Epigenetik auf "Überleben", nicht auf "Leben". Und das hat spürbare Folgen – körperlich, emotional und mental.
Martin Auerswald: Nahrungsergänzungsmittel können im epigenetischen Kontext ein wertvolles Werkzeug sein – wenn sie sinnvoll, gezielt und in hoher Qualität eingesetzt werden. Viele Mikronährstoffe sind direkt an epigenetischen Prozessen beteiligt: B-Vitamine, Zink, Magnesium, Selen, Omega-3, Vitamin D oder Methylspender wie Folat oder Cholin beeinflussen z. B. die DNA-Methylierung, also das An- und Abschalten von Genen. Bei Mangel oder erhöhtem Bedarf – was heute bei vielen Menschen der Fall ist – kann die Genregulation aus dem Takt geraten.
Nahrungsergänzung ist also keine Wundermedizin, aber oft die Brücke zwischen Theorie und Umsetzung, gerade wenn Ernährung, Stress oder Umweltbelastung den Bedarf erhöhen. Gleichzeitig gibt es potente Naturheilmittel (wie z.B. Ginkgo, Ginseng, Reishi, Lavendel), die als Extrakte gezielt die Epigenetik beeinflussen (z.B. durch Stress- oder Entzündugnslinderung, Aktivierung von regenerierenden Genen).
Wichtig ist: Qualität vor Quantität. Und: nicht blind alles einwerfen, sondern gezielt auffüllen, was fehlt – am besten nach Beratung oder Blutbild.
Martin Auerswald: Hier sind meine wichtigsten Tipps, mit denen jeder sofort anfangen kann:
Fang klein an, aber fang an. Dein Alltag schreibt täglich mit an deinem genetischen Drehbuch – also schreib etwas Gutes.
Martin Auerswald: Epigenetische Veränderungen können erstaunlich schnell passieren – oft schon innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen. Eine einzige Trainingseinheit, eine durchwachte Nacht oder eine gesunde Mahlzeit können messbar Gene an- oder abschalten. Aber: Für nachhaltige, stabile Veränderungen braucht es Regelmäßigkeit. Studien zeigen, dass sich nach wenigen Wochen mit besserer Ernährung, Bewegung, Schlaf und Stressmanagement ganze Genmuster verschieben – hin zu mehr Zellschutz, besserer Entgiftung und weniger Entzündung. Die gute Nachricht ist: Jede kleine Veränderung zählt. Der Körper reagiert schneller als wir denken – wenn wir ihm konsequent zeigen, dass jetzt ein neues Kapitel beginnt.
Martin Auerswald: Die epigenetische Forschung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und steht heute an einem spannenden Wendepunkt.
Insgesamt zeigt sich, dass die Epigenetik nicht nur unser Verständnis von Genregulation revolutioniert, sondern auch konkrete Anwendungen in Medizin und Therapie ermöglicht. Die Forschung steht zwar noch vor vielen Herausforderungen, doch die bisherigen Erkenntnisse eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Zukunft der Gesundheitswissenschaften.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 16.05.2025.