Prof. Konstantinidis: Hüftschmerzen gehören zu den häufigsten Gelenkbeschwerden überhaupt. Der Orthopäde unterscheidet dabei zwischen akuten (zeitweise auftretenden) und chronischen, sich langsam entwickelnden Schmerzen, die bereits länger als drei Monate andauern. Oftmals verursachen kleinere Verletzungen oder Überlastungen der Sehnen um die Hüfte die Schmerzen. Die häufigste Ursache für die Vorstellung in meiner Sprechstunde ist eine Überlastung der Sehne des Gesäßmuskels, der Anspreizer (sogenannte Adduktoren), oder der Hüftbeuger.
Sehr häufig ist auch die Erstmanifestation einer Arthrose (Gelenkverschleiß) Ursache akuter Hüftschmerzen. Das Gelenk leidet seit langem unter Arthrose, ohne dass dies Beschwerden verursacht – irgendwann kommt der Tag X, an dem es schlagartig zu Schmerzen kommt. Der Mediziner spricht dann von einer Aktivierung der Arthrose.
Selten sind Schmerzen die Folge von Unfällen oder Stürzen, etwa auf eisglatten Wegen, gerade jetzt im Winter. Bestes Beispiel: ein Bruch des Schenkelhalses oder des Rollhügels. In dem Fall ist die Belastung des Beins nicht möglich, sodass der Patient auf den Rettungswagen angewiesen ist. Sehr selten ist der Bruch so stabil, dass der Betroffene doch weiterlaufen kann und die Praxis erst später aufsucht.
Hüftschmerzen gehören zu den häufigsten Gelenkbeschwerden überhaupt.
Prof. Konstantinidis: Die weitaus häufigste Ursache für chronische Schmerzen sind Verschleißerscheinungen am Gelenk (Hüftarthrose). Denn: Mit zunehmendem Alter nutzt sich der gesunde Gelenkknorpel ab. Bei vielen Menschen wird die Gleit- und Pufferschicht im Gelenk dadurch so weit zerstört, dass schließlich Knochen auf Knochen trifft – was verständlicherweise äußerst schmerzhaft sein kann. Das Problem ist die frühzeitige Diagnose: In der Regel verläuft der Krankheitsprozess über Jahre hinweg schleichend und unbemerkt. Treten erste Symptome auf, so ist die Knorpelschicht meist bereits stark geschädigt. Die Hüfte wird unbeweglich, schmerzhaft und steif.
Neben altersbedingtem Verschleiß und Abbauprozessen können angeborene Fehlstellungen oder Folgewirkungen von Stoffwechselkrankheiten zu einer Arthrose im Hüftgelenk führen. Verschleißen die Hüften, so sind vielfach auch Formstörungen der Gelenkknochen sehr häufig die Ursache. Die Form des Hüftkopfes und der Pfanne passen einfach nicht optimal zueinander. Die Folge: Es kommt bei bestimmten Bewegungen zu einem vorzeitigen Kontakt zwischen Schenkelhals und Pfannenrand. Die dadurch entstehenden Einklemmungen verursachen Verletzungen an der Gelenklippe der Hüftpfanne und des Gelenkknorpels. Experten sprechen in diesem Fall von einem Hüftimpingement (engl. "to impinge" = anstoßen, anschlagen). Anfangs kommt es meist nur unter Belastung (z. B. beim Sport) zu zeitweiligen Schmerzen in Hüfte und Leiste, die bis in den Oberschenkel ausstrahlen können. In späteren Krankheitsstadien führen jedoch bereits kurze Gehstrecken oder längeres Stehen zu starken Hüftschmerzen.
Schmerzmedikamente, Elektrotherapien, Bäder und Fango bringen zwar meist spürbare Erleichterung. Doch aufgrund der nach wie vor bestehenden mechanischen Probleme und der damit verbundenen weiteren Gelenkzerstörung ist eine OP meist unumgänglich.
Eine häufige Ursache massiver chronischer Schmerzen ist auch die Hüftkopfnekrose, also ein Knocheninfarkt der Hüfte. Aufgrund starker Durchblutungsstörungen stirbt das Knochen-Gewebe am Hüftkopf stellenweise ab - mit gravierenden Folgen: Die betroffenen Knochenanteile verlieren an Festigkeit und brechen auseinander. Wie bei einem Herzinfarkt, so sind auch bei dieser typischen Zivilisationskrankheit Rauchen, hohe Blutfettwerte, zu viel Alkohol oder die langzeitige Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Cortison) die Haupt-Risiko-Faktoren.
Schmerzt die Hüfte dumpf und beständig an der Außenseite, so steckt meist eine Entzündung der Schleimbeutel dahinter. Manchmal sind auch die Muskulatur, Nerven oder innere Organe in der Nähe der Hüfte Ursachen der Hüftschmerzen und nicht das Gelenk selbst. Klärung bringt hier nur die fundierte Diagnose durch den Orthopäden.
Prof. Konstantinidis: Hüftschmerzen können nach starker körperlicher Beanspruchung, aber auch ganz unabhängig davon auftreten. Sie äußern sich manchmal in morgendlichen Anlaufschmerzen oder eben auch als chronische Beschwerden. Häufig gehen sie mit Instabilität, Steifheit und einer Einschränkung des Bewegungsspielraums einher.
Hüftschmerzen sind typischerweise in der Leiste oder am Gesäß sowie an der Außenseite der Hüfte zu spüren. Sie können einseitig oder beidseitig auftreten. Manchmal strahlen sie bis in den unteren Rücken oder in die Oberschenkel und Beine aus. Die Lokalisation der Hüftschmerzen liefert dem Orthopäden wichtige Anhaltspunkte über die Ursache der Hüftschmerzen.
Einseitige Hüftschmerzen sind die Regel - beispielsweise als Folge eines Unfalls oder eines Traumas (Sturz oder Schlag) oder neurologischer Auslöser (etwa durch einen Bandscheibenvorfall). Das gleichzeitige Auftreten von Hüftschmerzen auf beiden Seiten ist relativ selten. Mögliche Ursachen sind in diesem Fall Gicht, Rheuma, Polyneuropathie (stoffwechselbedingte Nervenerkrankung) oder Erkrankungen der Blutgefäße. Als Folge akuter Überlastung können Hüftschmerzen aber sowohl ein- als auch beidseitig auftreten.
(Nächtliche) Hüftschmerzen im Liegen oder in Ruhe haben orthopädisch andere Hintergründe. Denn im Liegen wirkt die Schwerkraft nur gering auf unseren Körper ein. Die Statik des Beckens und der Hüfte spielt eine untergeordnete Rolle. Liegt die Ursache innerhalb des Hüftgelenks, so lassen sich Hüftschmerzen im Liegen immer auf eine Schleimbeutelentzündung oder eine Knochenerkrankung zurückführen. Auch Stressfrakturen im Hüftgelenk durch übermäßige Belastungssteigerung im Freizeitsport sehen wir in den letzten Jahren häufiger.
Hüftschmerzen, die beim Sitzen oder nach längerem Sitzen auftreten, gehen häufig auf Probleme mit dem Misculua piriformis (birnenförmiger Gesäßmuskel) zurück. Durch seine Nähe zum Ischiasnerv, der vom Rücken in die Beine zieht, kann es an dieser Stelle zu Beschwerden kommen. Aber auch ein Hüftimpingement oder Arthrose können ursächlich für Hüftschmerzen nach längerem Sitzen sein.
Hüftschmerzen sind typischerweise in der Leiste oder am Gesäß sowie an der Außenseite der Hüfte zu spüren.
Prof. Konstantinidis: Rheumatische Erkrankungen und chronische Entzündungsprozesse entstehen durch fehlgeleitete Aktivitäten des Immunsystems (Autoimmunprozesse) oder Stoffwechselstörungen. Rheuma im Hüftgelenk bringt stechende Schmerzen, Schwellung und Überwärmung mit sich. Die Symptome können der aktivierten Hüftarthrose ziemlich ähnlich sein. Durch bildgebende Verfahren (Röntgen und MRT) wird der Zustand von Knochen und Knorpel untersucht. Eine Blutuntersuchung weist die Rheumafaktoren nach, die bei einer Autoimmunerkrankung ausgeschüttet werden. Wichtig ist es, die Entzündung des Hüftgelenks zu stoppen, bevor der Knorpelschaden im Hüftgelenk zu groß wird und eine Hüftarthrose entsteht. Die Arthritis des Iliosakralgelenks (Verbindung zwischen Kreuz- und Darmbein) verursacht stechende und bewegungsabhängige Schmerzen im Bereich des Hüftgelenks.
Prof. Konstantinidis: Prinzipiell ist es gut, die Gelenke und deren Durchblutung durch Bewegung und eine gut trainierte Muskulatur zu unterstützen - auch bei Hüftarthrose. Dabei sollten die Gelenke allerdings nicht zu stark belastet werden. Wichtig ist es deshalb, Maß zu halten und niemals in den Schmerz hinein zu trainieren. Ist der Schmerz zu stark, sollte man das Hüftgelenk besser schonen. Verzichtet werden sollte auf Sportarten mit ruckartigen oder Start-Stopp-Bewegungen, wie etwa beim Tennis oder Fußball. Auch Gewichtheben ist keine gute Wahl bei Hüftschmerzen, da dieser Sport das Hüftgelenk stark belastet. Wählen Sie stattdessen Sportarten mit fließenden Bewegungen wie Aquajogging, Gymnastik, Radfahren oder Nordic Walking. Leichte Dehn- und Kräftigungsübungen können Hüftschmerzen vorbeugen oder lindern.
Prof. Konstantinidis: Bei plötzlich auftretenden Hüftschmerzen müssen Sie nicht unbedingt gleich zum Arzt gehen. Nach kleinen Sportunfällen sollten Sie sich schonen und die Beschwerden gegebenenfalls mit frei erhältlichen Schmerzmitteln (Sportsalben etc.) behandeln. Trainieren Sie aber nicht weiter, solange Ihre Hüfte schmerzt.
Die sofortige orthopädische Klärung ist dringend angeraten:
Generell gilt: Je früher die Ursache für die Schmerzen erkannt wird, desto schneller und besser kann dem Patienten geholfen werden.
Prof. Konstantinidis: Bei der Therapie geht es in erster Linie um die Schmerzbekämpfung und Erhaltung des Gelenks. Im Frühstadium der Gelenkbeschwerden erzielen entzündungshemmende Medikamente oder physikalische Therapien (z. B. Wärmetherapie) gute Ergebnisse. Auch hier gilt wieder: Je früher die Ursache für die Schmerzen erkannt wird, desto schneller und besser kann sie bekämpft werden. So können im Frühstadium einer Schädigung mechanische Knorpelreibungen oft durch eine minimalinvasive Arthroskopie (Gelenksspiegelung) beseitigt werden. Rechtzeitig angewendet hilft zudem Physiotherapie, den Bewegungsablauf zu korrigieren und das Gelenk zu entlasten. Ist der Defekt noch nicht zu groß, so lässt er sich vielfach auch durch eine Knorpeltransplantation oder ein anderes knorpelregeneratives Verfahren „reparieren“. Da echtes Gewebe nachwächst, wird die Pufferfunktion des Knorpels wieder zuverlässig hergestellt. Ob diese oder besser andere gängige Behandlungsoptionen in Frage kommen, kann nur der Facharzt nach umfassender Diagnose beurteilen.
Prof. Konstantinidis: Am Ende einer Hüftarthrose steht oft das völlige Versagen des Gelenks. In diesem Fall kann eine Prothese Funktion und Komponenten des natürlichen Hüftgelenks gut unterstützen oder ersetzen. Dank des künstlichen Gelenkersatzes und die erreichte Schmerzfreiheit genießt der Betroffene wieder weitaus mehr Bewegungsfreiheit und neue Lebensqualität. Erfahrungsgemäß sind um die 95 bis 98 Prozent der Patienten mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Empfehlenswert ist die aktive Mithilfe des Patienten bei der wichtigen Prähabilitation: Durch ein individuell abgestimmtes Vorbereitungskonzept können Leistungsfähigkeit und körperliche Verfassung vor der OP gestärkt und somit die spätere Genesung erleichtert und beschleunigt werden. Je besser der allgemeine Gesundheitszustand ist, um so reibungsloser verlaufen Operation und Heilung – und umso kürzer in der Regel der Krankenhausaufenthalt.
Je besser der allgemeine Gesundheitszustand ist, um so reibungsloser verlaufen Operation und Heilung...
Prof. Konstantinidis: Auf jeden Fall sollte der Patient Übergewicht meiden und die Gelenke durch Bewegung und eine gut trainierte umgebende Muskulatur schonen. Dehn- und Kräftigungsübungen stärken die Hüftmuskulatur und können Hüftschmerzen vorbeugen bzw. die Heilung bestehender Erkrankungen des Hüftgelenks beschleunigen. Günstig beeinflussen lässt sich eine Arthrose zudem durch vitaminreiche Ernährung mit vielen Früchten und Gemüse. Doch selbst bei regelmäßiger Bewegung lassen sich Gelenkschmerzen vor allem in der feucht-kalten Jahreszeit oftmals nicht ganz vermeiden. In diesem Fall können Basenbäder oder -wickel wohltuend wirken. Die Wärme lockert das Gewebe, die Basensalze neutralisieren die Säure im Bindegewebe, einer der Hauptauslöser für chronische Schmerzen. Vor allem sollten sich Betroffene bei stärkeren, regelmäßig oder dauerhaft auftretenden Schmerzen Klarheit über die Ursache verschaffen, indem sie einen Hüftspezialisten zu Rate ziehen.
Prof. Konstantinidis: Abzuwarten ist nicht zu empfehlen! Dauerschmerzen führen zu einer chronischen Überreizung der Schmerzfühler und damit zu permanenten Beschwerden. Zudem sind bestimmte mechanische Schäden durch Abnutzung irreparabel. Eine nicht behandelte Dysplasie oder CAM-Deformität kann früher oder später zur Knorpelschädigung führen. Auch eine „banale“ Sehnenentzündung kann eine chronisches Schmerzsyndrom verursachen, wenn nicht rechtszeitig therapiert wird. Selbst wenn eine fortgeschrittene Arthrose vorliegt, die mittels Gelenkersatz operiert werden soll, kann ein lang abwartendes Verhalten zum Knochenverlust im Bereich der Pfanne führen, was die Befestigung des künstlichen Gelenkes erschwert.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 12.01.2024.