TCM und Funktionelle Medizin verfolgen dasselbe Ziel und ergänzen sich: TCM liefert mit gezielter Anamnese sowie Puls-/Zungendiagnostik ein klares Muster, das funktionelle Labortests gezielt steuert; der Darm steht in beiden Systemen besonders im Zentrum. Unterschiede liegen u. a. im Fokus auf Orthomolekular-/ Mitochondrienmedizin (funktionell) versus Akupunktur und Kräuter (TCM), wobei mögliche Wechselwirkungen bedacht werden müssen. Für Akutes bietet TCM oft schnelle Ansätze (z. B. Kräuter, Akupunktur), während die Funktionelle Medizin ihre Stärke in der Ursachenforschung chronischer Beschwerden hat. Therapiepläne lassen sich sehr gut aus beidem kombinieren. Dazu zählen: Bewegung und Stressregulation (z. B. Qigong, HRV-basiertes Vorgehen), individuell abgestimmte Ernährung, Akupunktur, Phytotherapie/ätherische Öle sowie mitochondriale Verfahren und Vitalpilze.
Dr. Aluani: Ich bin seit über 25 Jahren als Akupunkturlehrer tätig, vor allem im Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Bereits vor 20 Jahren habe ich meinen Studierenden gesagt, dass TCM für mich im Kern funktionelle Medizin ist. Dieser Begriff wird heute sehr häufig verwendet und beschreibt genau das, was die TCM seit Jahrhunderten tut: Sie beschäftigt sich mit dem Bereich zwischen Gesundheit und schwerer Erkrankung und vor allem auch mit chronischer Erkrankung.
Die Stärken der westlichen Medizin liegen in der Behandlung schwerer Krankheiten – dort ist sie unschlagbar. Aber genau in diesem Zwischenbereich, in dem man nicht mehr gesund, aber auch noch nicht wirklich schwer krank ist, spielt die funktionelle Medizin eine entscheidende Rolle. Hier treten Symptome auf, die sich mit der klassischen westlichen Medizin oft nicht vollständig erklären lassen.
Die TCM hat dafür ein über 2000 Jahre altes, ausgefeiltes System entwickelt. Allein durch Anamnese, Befragung sowie Puls- und Zungendiagnostik konnten Diagnosen gestellt werden – ganz ohne Laboruntersuchungen, die es damals noch gar nicht gab. So entstand eine klare Syndromdiagnostik, auf deren Grundlage unmittelbar entschieden wurde, wie behandelt wird – sei es mit Kräutern, Akupunktur oder anderen Methoden.
Die moderne funktionelle Medizin ist später hinzugekommen. Sie hat sich stark aus der Labormedizin entwickelt und ermöglicht es, Phänomene, die man früher nicht messen konnte, heute mit Parametern zu erklären. Für uns Ärzte ist das wichtig, da wir einen wissenschaftlichen Anspruch haben. Ich sehe darin keinen Widerspruch: TCM und funktionelle Medizin sind zwei unterschiedliche Zugänge zum gleichen Thema. Sie lassen sich hervorragend miteinander kombinieren und bereichern sich gegenseitig.
Dr. Aluani: In der funktionellen Medizin gibt es verschiedene Ausbildungsstrategien. Ich habe selbst zwei davon bei unterschiedlichen Gesellschaften absolviert. In beiden Fällen gehört eine grundlegende Diagnostik dazu, beispielsweise Stuhlanalysen oder Blutuntersuchungen. Das ist allerdings auch eine Kostenfrage: Eine Basisdiagnostik in der funktionellen Medizin kostet in der Regel zwischen 700 und 1.000 Euro und ist für viele Patienten nur schwer erschwinglich.
Ich gehe daher einen anderen Weg und integriere die chinesische Medizin. Oft wird gesagt, sie sei "energetisch". Tatsächlich beschreibt sie jedoch sehr präzise immer wiederkehrende Abläufe im Körper. Damit lässt sich eine fundierte Diagnose stellen. Die chinesische Medizin arbeitet mit den fünf Elementen, die sich gut mit den sogenannten "Big Five" der funktionellen Medizin vergleichen lassen, wie die bekannte Medizinerin Ruth Biallowons beschreibt.
Die Parallelen sind eindeutig: Die Lunge steht für das Immunsystem, die Milz bzw. die Pankreas (Bauchspeicheldrüse) für die Verdauung, das Herz für die Psyche und die Leber für Stress. Wenn ich also mit Hilfe der chinesischen Medizin eine gute Diagnose stelle, beispielsweise dass ein Patient unter Stress leidet und der Funktionskreis "Leber" belastet ist, dann kann ich in der funktionellen Medizin die entsprechenden Parameter gezielt untersuchen. So spare ich unnötige Tests, setze die Schwerpunkte richtig und helfe dem Patienten gleichzeitig, Kosten zu sparen.
Ein Beispiel: Ein Patient kommt mit Stresssymptomen, Migräne und Schlafstörungen zwischen 1 und 3 Uhr nachts. Das wäre in der chinesischen Medizin typisch für eine Leberbelastung. In der funktionellen Medizin würde ich hier beispielsweise die Herzratenvariabilität messen, um das Verhältnis von Sympathikus zu Vagus zu überprüfen. Außerdem könnte man die Neurotransmitter untersuchen. Liegen hingegen keine Hinweise auf Probleme im Bereich Milz/Pankreas, also der Verdauung vor, würde ich diese Untersuchungen zunächst zurückstellen. Mir ist wichtig, dass in der funktionellen Medizin zwar viele Untersuchungen möglich sind, am Ende aber auch noch Budget für die Therapie übrig bleibt. Deshalb setze ich die Schwerpunkte gezielt und praktisch um.
Eine Basisdiagnostik in der funktionellen Medizin kostet in der Regel zwischen 700 und 1.000 Euro und ist für viele Patienten nur schwer erschwinglich. Ich gehe daher einen anderen Weg und integriere die chinesische Medizin.
Dr. Aluani: Von "Konflikten" zu sprechen, ist vielleicht etwas übertrieben. Natürlich gibt es unterschiedliche Ansätze. In der funktionellen Medizin spielt die orthomolekulare Medizin zum Beispiel eine große Rolle. Das bedeutet, dass vor allem mit Mikronährstoffen und Nahrungsergänzungen im weitesten Sinne gearbeitet wird. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier in der mitochondrialen Medizin.
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) setzt hingegen stark auf Akupunktur und Kräuter. Und genau da kann es zu Überschneidungen oder Unsicherheiten kommen. Denn Kräuter und Nahrungsergänzungen müssen nicht immer miteinander harmonieren. Über mögliche Wechselwirkungen oder die gegenseitige Ergänzung oder Behinderung weiß man oft wenig.
Ein Beispiel ist der Darmaufbau: In der TCM würde man diesen vor allem mit Kräutern – neben der Ernährung – unterstützen. In der funktionellen Medizin setzt man dagegen eher auf Bakterienstämme, Glutamin oder Ballaststoffe wie Akazienfasern. Dies macht die Unterschiede sehr deutlich und macht eine bewusste Auswahl wichtig. Für den Darmaufbau orientiere ich mich persönlich eher an der funktionellen Medizin. Kräuter schätze ich durchaus, aber in diesem Bereich vertraue ich stärker auf die funktionelle Sichtweise.
Anders sieht es aus, wenn es darum geht, das "Qi" aufzubauen. Hier greife ich selbstverständlich auf die Kräutertherapie zurück. Insgesamt gilt also: Beide Ansätze haben ihren Wert – entscheidend ist, sie sinnvoll einzusetzen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass noch nicht genau bekannt ist, wie gut sie miteinander harmonieren.
Dr. Aluani: Ein Qi-Stau ist quasi eine Stagnation. Typischerweise entsteht diese durch Stressbelastung. Die erste Frage lautet dann: Wie kann man eine Stagnation beheben? Durch Bewegung! In der funktionellen Medizin wird das manchmal fast vergessen, obwohl es die Basis ist – zusammen mit der Ernährung. Darüber hinaus helfen auch Meditationstechniken oder Methoden aus der TCM wie Qi Gong oder Tai Chi - oder auch Akupunktur. All diese Ansätze lösen Blockaden, bauen Stress ab und wirken einer Stagnation entgegen. Genau mit dieser Art von Belastung sind wir am Anfang meist konfrontiert. Ein klassischer Beginn eines Burnout-Syndroms ist immer eine Stagnation.
Im Kern bleibt die Basis aber dieselbe: Bewegung, Meditation, Qi Gong, Tai Chi, Yoga oder einfach Spazierengehen und Wandern. Alles, was guttut und den Fluss wiederherstellt. Wenn die Situation jedoch fortschreitet, kommt es zu einem Energiemangel. In der funktionellen Medizin entspricht das einer Funktionsstörung der Mitochondrien. Hier setzt die mitochondriale Medizin an. Dabei stellt sich die Frage: Wie können Mitochondrien aufgebaut und gestärkt werden? Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie beispielsweise Infusionstherapien, Photobiomodulation und IHHT (intermittierende Hypoxie-Hyperoxie-Therapie), die gezielt in der funktionellen Medizin eingesetzt werden.
Im Kern bleibt die Basis aber dieselbe: Bewegung, Meditation, Qi Gong, Tai Chi, Yoga oder einfach Spazierengehen und Wandern.
Dr. Aluani: Ich versuche, das miteinander zu kombinieren, wann immer es passt. Natürlich hängt es auch vom Zugang des Patienten ab. Ich bin da sehr offen und erkläre meinen Patienten gerne, dass man bestimmte Dinge beispielsweise im Modell der Traditionellen Chinesischen Medizin verstehen kann. Es gibt aber auch Patienten, die ganz klar mit einem bestimmten Anliegen zu mir kommen, etwa weil sie von der funktionellen Medizin gehört haben und nun ihre Mikronährstoffe bestimmen lassen möchten. Dann gehen wir diesen Weg.
Andere wiederum sind völlig offen und sagen: "Mir geht es schlecht, ich möchte Ihr gesamtes Therapiekonzept nutzen." In solchen Fällen kombiniere ich beide Ansätze und versuche, so gezielt wie möglich vorzugehen. Die Herausforderung besteht darin, sich nicht in den verschiedenen Konzepten zu verlieren. Genau hier liegt die eigentliche Kunst: das Wesentliche herauszufinden und die Therapie so auf den Punkt zu bringen, dass sie für den Patienten richtig und hilfreich ist.
Dr. Aluani: Man probiert vieles aus – Gerade Patienten mit chronischen und funktionellen Erkrankungen, vor allem Long-Covid-Betroffene oder Menschen mit postviraler Fatigue, sind in den letzten Jahren sehr häufig geworden. Bei ihnen reicht schon ein kleiner Fehler – das kann jedem einmal passieren – und die Therapiefortschritt im schlimmsten Fall um zwei Monate zurückgeworfen. Darum muss man bei jeder Entscheidung sehr genau abwägen. Welche Mittel setze ich ein? Welche Kräuter verwende ich? Es ist wirklich schwierig, extrem schwierig. Man lernt bei diesen Patienten jeden Tag aufs Neue dazu. Selbst mit viel Erfahrung bleibt ihre Behandlung eine der größten Herausforderungen und es ist oft nicht leicht, Fortschritte zu erzielen.
Dr. Aluani: Ich sehe die funktionelle Medizin vor allem als ein wichtiges Werkzeug bei chronischen Beschwerden. Sie ist allerdings recht aufwändig, denn die meisten Patienten, die zu mir kommen, haben schon seit langer Zeit Beschwerden. Der Ansatz liegt hier klar auf der Ursachensuche, also der Frage, warum jemand immer wieder krank wird oder anhaltende Probleme hat.
Die Traditionelle Chinesische Medizin mit Akupunktur eignet sich dagegen auch sehr gut für die Behandlung akuter Beschwerden. Bei einem Infekt gibt es zum Beispiel sehr wirksame Kräutermischungen. Die Orthomolekulare Medizin kann hier ergänzend eingesetzt werden, zum Beispiel mit Zink oder anderen Substanzen. Dafür sind in akuten Fällen oft keine großen Untersuchungen nötig. In der TCM kann man bei akuten Problemen manchmal schon nach einem kurzen Blick auf die Zunge eine passende Kräutermischung verordnen – in China dauert das teilweise nur zwei Minuten –, während die funktionelle Medizin deutlich zeitintensiver ist. Aber auch die TCM erfordert bei chronischen Erkrankungen wesentlich mehr Zeit und Tiefe in der Behandlung.
Zusammenfassend würde ich sagen: Funktionelle Medizin ist stark in der Ursachensuche, besonders bei chronischen Beschwerden. Die TCM ist breit anwendbar, von akuten bis zu chronischen Beschwerden, mit oft sehr schnellen Ansätzen bei akuten Problemen.
Dr. Aluani: Ich muss ganz ehrlich sagen: Das ist wahrscheinlich einer der Punkte, bei dem es die größten Unterschiede gibt. In der Traditionellen Chinesischen Medizin arbeitet man mit einer sogenannten Syndromdiagnostik. Das bedeutet, dass es eine eigene Form der Diagnostik gibt: Man schaut, welche Funktionskreise betroffen sind und wie das Gleichgewicht von Yin und Yang aussieht. Auf dieser Grundlage werden verschiedene Diagnosen gestellt, nach denen sich das gesamte Therapiekonzept richtet – einschließlich der Ernährung.
In der TCM sind bestimmte Nahrungsmittel bestimmten Elementen zugeordnet. Der vielleicht größte Unterschied zu anderen Ernährungsformen ist jedoch, dass jedes Nahrungsmittel eine Temperaturqualität hat. Es gibt "heiße" Lebensmittel wie Chili oder Zimt und "kalte" wie Meeresfrüchte oder Milch. Entscheidend ist, wie gut der individuelle Organismus diese Qualitäten verträgt. Es gibt keine verbotenen Lebensmittel, sondern nur passende oder unpassende für den jeweiligen Menschen.
Ein Beispiel: Eine junge Frau, die häufig friert und unter Blutmangel leidet, würde mit reiner Rohkost nicht gut zurechtkommen. Für sie wären wärmende Speisen viel besser geeignet. Solche Konzepte gibt es in der funktionellen Medizin nicht. Dort geht es eher um pauschale Empfehlungen wie "kein Gluten", "kein Zucker" oder um bestimmte Diäten wie Low-Carb. In der TCM ist die Ernährung dagegen stark individualisiert. Natürlich ist die TCM-Ernährung auch etwas komplexer, da sie auf den einzelnen Menschen zugeschnitten ist. Das kann im Alltag herausfordernd sein, beispielsweise, wenn der Partner ganz andere Bedürfnisse hat und die Ernährung bei ihm/ihr somit ganz anders aussieht. Aber man kann beide Ansätze durchaus verbinden. Es gibt inzwischen Therapeuten, die genau das tun und so das Beste aus beiden Welten vereinen.
Der vielleicht größte Unterschied zu anderen Ernährungsformen ist jedoch, dass jedes Nahrungsmittel eine Temperaturqualität hat.
Dr. Aluani: Natürlich gibt es viele Bücher zu diesem Thema und man kann durch Ernährung auch gut vorbeugen. Dabei unterscheidet man zwischen therapeutischer und vorbeugender Ernährung. Bei der vorbeugenden Ernährung – also der klassischen, gesunden Ernährung, wie man sie im Alltag praktizieren sollte – ist eigentlich alles klar: nichts zu Süßes, nichts zu Kaltes, kein Fast Food. Kurz gesagt: Die typischen Ernährungssünden sollten vermieden werden.
In der chinesischen Medizin steht "süß" übrigens nicht für Zucker, sondern für Getreide. Der süße Geschmack wird dem Pankreas, also der Mitte und der Verdauung, zugeordnet und wirkt grundsätzlich stärkend, beispielsweise in Form von Getreide. Damals gab es eben noch keine Schokolade. Zu viel Zucker hingegen schwächt die Mitte. Das Gleiche gilt für zu viel Kaltes.
Empfohlen wird außerdem, morgens eher warme Speisen zu sich zu nehmen, während am Abend auch Rohkost möglich ist. Wichtig ist, die Verdauung nicht zu überlasten, weshalb nur drei Mahlzeiten am Tag empfohlen werden. Diese allgemeinen Prinzipien finden sich in vielen Punkten auch in der klassischen Ernährungslehre wieder. Für den gezielten therapeutischen Einsatz ist jedoch eine TCM-Ernährungsberatung unbedingt erforderlich. Das ist ein eigenes Fachgebiet. Dort erhält man eine fundierte Beratung und kann ein wirklich individuelles Ernährungskonzept entwickeln.
Dr. Aluani: Manchmal schätzt man sich selbst falsch ein. Ich denke, gerade Frauen wollen oft alles besonders optimal machen und neigen dann vielleicht dazu, sich sehr stark mit Rohkost zu ernähren und dabei zu wenig warme Speisen zu sich zu nehmen. Wenn man sich aber beliest, sich mit dem Thema beschäftigt und ansonsten gesund ist, also keine größeren Beschwerden hat, dann kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Man merkt schnell selbst, ob es einem besser geht, ob man fitter ist und sich wohler fühlt.
Natürlich kann es hilfreich sein, einen Kurs zu besuchen. Das Angebot ist groß. Wer sich dafür interessiert, findet auf jeden Fall genügend Anlaufstellen. Auch im Internet gibt es viele Möglichkeiten, wobei man natürlich immer auf die Qualität achten sollte. Darüber hinaus gibt es professionelle Ernährungsberater. In Österreich gibt es beispielsweise Vereinigungen, die Standards einhalten und regelmäßig Kurse, etwa Kochkurse, anbieten. Wenn man sich also ein bisschen informiert und auf Qualität achtet, kann man eigentlich nichts falsch machen.
Dr. Aluani: Es ist etwas ganz Grundlegendes – und eigentlich immer das Wichtigste: der Darm. Schon die alten Chinesen sagten, dass der Darm das Zentrum des Menschen sei. Auch in der funktionellen Medizin steht er im Mittelpunkt. Ich habe meine Grundausbildung beim IFMS gemacht. Dort ist es ganz klar: Wenn du einen Patientenfall vorstellst und keinen Stuhltest gemacht hast, also den Darm nicht genauer untersucht hast, dann brauchst du gar nicht weiterzumachen. Das ist die Basis in beiden Konzepten: Die Mitte muss funktionieren.
Als wir an der Universität in China waren, haben wir schnell gemerkt, wie tief dieses Verständnis dort verankert ist. Für uns war es interessant zu sehen, dass der Tagesablauf nach Mahlzeiten strukturiert war – Frühstück, Mittagessen, Abendessen – und erst danach kamen die Vorlesungen. Immer war der Fokus darauf, die Mitte zu stärken. Das ist in beiden Welten – der traditionellen chinesischen Medizin und der funktionellen Medizin – entscheidend. Alles andere baut darauf auf.
Schon die alten Chinesen sagten, dass der Darm das Zentrum des Menschen sei.
Dr. Aluani: Grundsätzlich ist es in allen Bereichen sehr hilfreich, beide Welten miteinander zu verbinden. Gerade bei Allergien ist das besonders wichtig. Dabei muss man sich den Darm genau anschauen und prüfen, wie das Immunsystem eingestellt ist, also ob es eher im TH1- oder im TH2-Bereich reagiert. In der funktionellen Medizin liegt bei Allergien meistens eine TH2-Dominanz vor. Dann stellt sich die Frage, wie man das behandelt – aus Sicht der funktionellen Medizin, aber auch ergänzend mit Methoden wie der Akupunktur. Bei allergischer Rhinitis ist Akupunktur eine sehr gut belegte Indikation. An der Charité gab es dazu ausgezeichnete Studien von Professor Brinkhaus, die gezeigt haben, dass Akupunktur hier wirklich wirksam ist. Dies ist ein klassisches Anwendungsgebiet der Traditionellen Chinesischen Medizin, insbesondere der Akupunktur.
Ein weiteres Thema ist die chronische Erschöpfung. Das ist eine der schwierigsten Diagnosen in beiden Welten. Man erzielt Fortschritte, doch es gibt häufig Rückschläge. Deshalb erfordert die Behandlung viel Geduld und eine kontinuierliche Betreuung der Patienten.
Auch im Bereich der Hormone gibt es viele Möglichkeiten. Bei Wechseljahresbeschwerden lassen sich mit Akupunktur und TCM oft gute Ergebnisse erzielen. Dennoch bin ich in diesem Bereich auch ein großer Befürworter von bioidentischen Hormonen. Gerade bei starken Beschwerden sind sie meist wirksamer als rein pflanzliche Präparate. Gleichzeitig müssen natürlich die Risiken und Wünsche der Patientinnen berücksichtigt werden. So möchten viele Frauen beispielsweise keine Hormone einnehmen, oder wenn es in der Familie gehäuft Brustkrebsfälle gibt ist in solchen Fällen ist Zurückhaltung angebracht. Allerdings ist es mittlerweile erwiesen, dass bioidente Hormongaben zu keinem erhöhten Krebsrisiko führen. Auf der anderen Seite haben bioidente Hormone auch viele Vorteile, die Kräuter nicht bieten, beispielsweise bei der Osteoporose-Prophylaxe.
Deshalb geht es für mich immer darum, die richtige Mischung zu finden. Ich versuche, in beiden Welten zu Hause zu sein, auch wenn das manchmal eine Herausforderung ist. Doch gerade die Kombination verschiedener Ansätze führt oft zu den besten Ergebnissen – oder zumindest zum bestmöglichen Ergebnis für die Patienten.
Dr. Aluani: Je länger ich in der funktionellen Medizin tätig bin, desto mehr stelle ich fest, dass Kräuter in den Vorträgen eine immer größere Rolle spielen. Beim letzten Kongress in Wien erwähnte beispielsweise eine Referentin die "Phytobox" – darin sind viele Kräutermischungen, insbesondere mit europäischen Kräutern, enthalten.
Ich selbst habe eine Ausbildung in Aromatherapie gemacht und sehe gerade ätherische Öle als besonders wichtig an. So wird etwa Oreganoöl erfolgreich gegen Parasiten im Darm eingesetzt, ebenso Thymian- oder Schwarzkümmelöl, die besonders für die Darmgesundheit von Bedeutung sind. Es geht also nicht nur um TCM-Kräuter, sondern auch um andere gut erforschte Pflanzenstoffe, die häufig positive Effekte auf das Immunsystem haben.
Meiner Erfahrung nach reicht es nicht aus, sich nur auf Nahrungsergänzungen und orthomolekulare Therapien zu verlassen – damit schöpfen wir höchstens 50% des Potenzials aus. Ich glaube, es ist notwendig, verschiedene Ansätze zu kombinieren. Denn letztlich handelt es sich dabei um natürliche Substanzen, die in der Natur vorkommen, und nicht um künstliche Chemie.
Ein weiteres Beispiel sind Vitalpilze. In der funktionellen Medizin werden sie häufig eingesetzt, zum Beispiel in Form von Extrakten wie AHCC. Gerade bei Patienten mit Abwehrschwäche oder einem dysregulierten Immunsystem sind solche Anwendungen sehr beliebt. In der Traditionellen Chinesischen Medizin sind Shiitake, Reishi und andere Pilze schon lange bekannt – daraus hat sich die Vitalpilztherapie entwickelt, die mittlerweile auch in der funktionellen Medizin stark genutzt wird. Im Kern sind das also klassische TCM-Therapeutika, die heute in einem erweiterten Kontext Anwendung finden.
Meiner Erfahrung nach reicht es nicht aus, sich nur auf Nahrungsergänzungen und orthomolekulare Therapien zu verlassen – damit schöpfen wir höchstens 50% des Potenzials aus. Ich glaube, es ist notwendig, verschiedene Ansätze zu kombinieren.
Dr. Aluani: Ich setze sie vor allem für das Immunsystem ein. Dabei greife ich häufig auf klassische chinesische Rezepte zurück, die Reishi-Pilze oder andere Heilpilze enthalten. Außerdem verwende ich gerne AHCC, einen kontrollierten Extrakt, zu dem es auch wissenschaftliche Studien gibt. Insgesamt nutze ich die Mittel in Rezepturen aus der TCM oder in Form von Extrakten. Allerdings würde ich mich selbst nicht als klassischen Pilztherapeuten bezeichnen – vielleicht ändert sich das noch. Viele Kollegen arbeiten sehr erfolgreich damit. Mein Ansatz ist es, mich entweder an der TCM zu orientieren, die auf einer langen Tradition und laufender Forschung basiert, oder Präparate einzusetzen, zu denen es belastbare wissenschaftliche Studien gibt. So bewege ich mich einerseits auf dem klassischen Weg der TCM und andererseits auf einem funktionell-wissenschaftlichen Pfad.
Dr. Aluani: Dazu muss man sagen, dass die funktionelle Medizin eher den "inneren Bereich" abdeckt. In der TCM unterscheidet man zwischen äußeren Erkrankungen, also Beschwerden des Bewegungsapparats, vor allem des Kopfes und inneren Erkrankungen, die durch Störungen der Funktionskreise der Organe entstehen. Einen "äußeren Bereich" gibt es in der funktionellen Medizin so nicht. Natürlich werden dort auch Patienten mit Fibromyalgiesyndrom behandelt, das ein grundlegendes inneres Problem darstellt. Wenn man sich jedoch zum Beispiel "das Kreuz verreißt", gibt es in der funktionellen Medizin kein entsprechendes Konzept.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin hingegen schon: Dort gibt es etwa Akupunktur oder Massagetechniken wie Tuina, die man als eine Art physiotherapeutische Methode verstehen kann. Tuina setze ich persönlich nicht ein, da ich dafür keine Ausbildung habe. Ich bin klassischer Chirotherapeut mit Ausbildungen in Manueller Medizin und einigen osteopathischen Zusatzqualifikationen, aber ich bin kein Osteopath. Bei Beschwerden des Bewegungsapparats wende ich deshalb eine Kombination aus Chirotherapie, Akupunktur und ähnlichen Techniken an. Die funktionelle Medizin spielt dabei tatsächlich eine untergeordnete Rolle.
Ein wichtiges Einsatzgebiet ist sicherlich der Bewegungsapparat. Ich habe fünf Jahre in der Orthopädie gearbeitet und mich dort intensiv mit der konservativen Orthopädie beschäftigt, weshalb dies eines meiner Hauptthemen ist. Daneben behandle ich aber auch klassische Beschwerdebilder wie Allergien oder Kopfschmerzen. Ebenso arbeite ich mit inneren Störungen, vor allem im Bereich Stress und Stressbewältigung. Dafür setze ich beispielsweise ein VNS-Gerät ein, mit dem sich die Herzratenvariabilität messen lässt. Es ist beeindruckend zu sehen, wie gut Patienten auf Akupunktur reagieren und wie dadurch der Vagusnerv gestärkt wird. Genau das ist ein klassisches und sehr wirksames Einsatzgebiet der Akupunktur.
Dr. Aluani: Grundsätzlich würde ich sagen: Egal, was wir als Therapeuten tun – die drei wichtigsten Faktoren sind immer Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung. Ohne diese Elemente fehlt die Basis der Selbstwirksamkeit. Jeder Mensch sollte dabei sein eigenes System finden.
Für die einen bedeutet das Achtsamkeit, für die anderen eher körperliche Aktivität. Ich zum Beispiel neige dazu, bei Stress innerlich "Stau" aufzubauen. Wenn ich angespannt bin, werde ich unrund. Einfach hinlegen und entspannen funktioniert für mich nicht. Ich brauche Bewegung, um loslassen zu können. Deshalb fahre ich so oft wie möglich mit dem Fahrrad in meine etwa 15 Kilometer entfernte Praxis. Allein dadurch kann ich Anspannung abbauen. Erst wenn ich mich bewegt habe, gelingt es mir, mich wirklich zu entspannen.
Andere Menschen sind ganz anders gestrickt: Sie können sich durch Lesen oder ruhiges Liegen entspannen. Wichtig ist, seinen eigenen Typ zu erkennen. Denn wenn man innerlich unruhig ist und nicht zur Ruhe kommt, bringt eine Achtsamkeitsmeditation nichts. In solchen Fällen kann auch die Diagnostik nach der Traditionellen Chinesischen Medizin hilfreich sein. Aus dieser Perspektive lassen sich Akupressurtechniken einsetzen, insbesondere bei Kindern. Auch Bewegungsformen wie Tai Chi oder Qigong sind wertvoll. In der Physiotherapie werden sie heute sogar in der Rehabilitation genutzt, ähnlich wie Yoga. All diese Systeme arbeiten mit fein abgestimmten Bewegungsabläufen. Belastung und Entspannung greifen harmonisch ineinander.
Für manche wiederum ist Krafttraining der Schlüssel, weil sie sich damit wohler fühlen. Entscheidend ist, dass jeder für sich herausfindet, was ihm guttut. Dasselbe gilt für die Ernährung. Ich denke da zum Beispiel an Claudia Nichterl, eine TCM-Therapeutin, die auch bei unserem Kongress war und eine eigene Akademie für Ernährung aufgebaut hat. Sie zeigt sehr schön, wie individuell Ernährung betrachtet werden muss. Ein Beispiel: Wenn jemand morgens einen Brei isst und nach zwei Stunden schon wieder Hunger hat, dann ist dieses Frühstück nichts für ihn oder sie. Es gibt kein allgemeingültiges "richtig" oder "falsch", sondern nur das, was zu einem Menschen passt.
Am Ende geht es immer darum, auf sich selbst zu achten, die passenden Elemente herauszunehmen und sie in den Alltag zu integrieren. Die Grundlagen sind Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung, auf denen alles andere aufbaut. Unsere Aufgabe als Therapeuten ist es, Impulse zu geben und zu unterstützen – die eigentliche Arbeit muss jedoch immer von den Patienten selbst kommen.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 13.10.2025.