Bei der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NZWS) handelt es sich um eine Nahrungsunverträglichkeit gegenüber bestimmten Weizenbestandteilen. Im Gegensatz zu Zöliakie oder Weizenallergie liegt dabei weder eine immunologische Reaktion noch eine genetische Ursache vor. Sie äußert sich vor allem durch unspezifische Magen-Darm-Beschwerden wie Blähungen, Durchfall und Bauchschmerzen, die auch beim Reizdarmsyndrom auftreten. Hauptverdächtige Auslöser sind Fruktane (FODMAPs), die im Dickdarm Gärung und osmotische Diarrhoe verursachen. Gluten spielt dagegen vermutlich keine Rolle. Die Diagnose erfolgt als Ausschlussdiagnose nach umfangreichen Tests. Eine weizenreduzierte Ernährung kann die Symptome oft deutlich lindern, wobei etwa 30% der Betroffenen langfristig profitieren.
Prof. Holtmeier: Wie der Name schon sagt, liegt keine Zöliakie, sondern eine sogenannte Weizensensitivität vor. D.h. Patienten vertragen keine Weizenprodukte und weisen unspezifische Beschwerden auf, wie sie auch beim Reizdarmsyndrom beschrieben werden. Vor allem Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen.
Prof. Holtmeier: Bei der Zöliakie ist Gluten, welches in Weizen, Roggen und Gerste enthalten ist, Auslöser der Erkrankung. Patienten weisen eine Schleimhautentzündung des Dünndarms auf, die in Folge zu Resorptionsstörungen von Nahrung führen kann. Im Extremfall ist die Erkrankung lebensbedrohlich, da nicht mehr ausreichend Nahrung aufgenommen werden kann. In aller Regel liegen aber nur unspezifische Beschwerden vor, die häufig sogar außerhalb des Magen-Darmtraktes zu finden sind.
Bei der sehr seltenen Weizenallergie führt Weizen zu allergischen Reaktionen wie z.B. das Bäckerasthma. Die Symptome treten meist akut auf, da eine sogenannte IgE vermittelte "Sofortreaktion" des Immunsystems vorliegt. Im Blut können weizenspezifische IgE Antikörper nachgewiesen werden. Neben Husten, Schnupfen und Hauterscheinungen, kann es auch zu Magen-Darmbeschwerden kommen.
Bei der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität liegt eine Nahrungsunverträglichkeit auf Bestandteile des Weizens vor. Man geht aktuell nicht von einer immunologischen Reaktion, sondern eher von einer Kohlenhydratmalabsorption aus, die harmlos ist. Alle drei aufgeführten Erkrankungen können identische Beschwerden hervorrufen.
Man geht aktuell nicht von einer immunologischen Reaktion, sondern eher von einer Kohlenhydratmalabsorption aus, die harmlos ist.
Prof. Holtmeier: Anhand der Symptome, die völlig unspezifisch sind, kann bei keiner Erkrankung eine Diagnose gestellt werden. Zudem handelt es sich beim Reizdarmsyndrom und auch bei der Weizensensitivität um Ausschlussdiagnosen. D.h. bei beiden Erkrankungen wurden alle Tests (Labor und Magen-Darmspiegelung) durchgeführt und es konnte keine Ursache für die Beschwerden gefunden werden. Spricht ein Patient auf eine weizenarme Diät an, bei dem zuvor ein Reizdarm vermutet wurde, dann sprechen wir von einer "Weizensensitivität" (nach Ausschluss einer Zöliakie). Leider gibt es keine Marker oder Laborwerte, mit denen die Diagnose gesichert werden könnte.
Prof. Holtmeier: Nein, genaue Zahlen sind nicht bekannt.
Prof. Holtmeier: Man geht davon aus, dass die NZWS insbesondere durch Fruktane ausgelöst wird. Hierbei handelt es sich um Kohlenhydrate, die Bestandteil von Weizen sind und von Betroffenen nicht richtig aufgespalten werden können. Das führt dazu, dass unverdaute Fruktane in den Dickdarm gelangen, wo sie eine osmotische Diarrhoe auslösen. Zudem kommt es zu Bildung von Gasen, da Bakterien Fruktane aufspalten können. Es ist das gleiche Prinzip wie bei einer Laktoseintoleranz, wo Betroffene den Milchzucker nicht aufspalten können (führt auch zu Blähungen und Durchfall).
Weiterhin werden sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) beschuldigt, das angeborene Immunsystem zu aktivieren. Hierbei handelt es sich um Resistenzgene, die verhindern sollen, dass Parasiten den Weizen angreifen. Gluten scheint keine Rolle zu spielen, da es Untersuchungen gibt, bei denen Gluten versteckt zugeführt wurde, ohne dass es zu Reaktionen kam. Möglich ist aber auch, dass andere Inhaltsstoffe von Weizen die Beschwerden auslösen können, die noch gar nicht in Betracht gezogen wurden.
Man geht davon aus, dass die NZWS insbesondere durch Fruktane ausgelöst wird.
Prof. Holtmeier: Ich persönlich halte diese Ursache für wenig wahrscheinlich. Es gibt bislang nur Versuche an Mäusen, dass ATI´s eine Aktivierung es Immunsystem im Darm auslösen, die zu Beschwerden führen können.
Prof. Holtmeier: FODMAP´s (Fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide and Polyole) sind ein Sammelbegriff für viele verschiedene Kohlenhydrate, die in den unterschiedlichsten Nahrungsmitteln vorkommen. Fruktane, wie auch Laktose, sind hierin enthalten. Man geht davon aus, dass verschiedenen Menschen unterschiedlichen Kohlenhydrate nicht ausreichend verdauen/aufspalten können. Deshalb wird bei Reizdarmpatienten eine FODMAP-arme Diät versucht, um herauszufinden, ob Kohlenhydrate für die Beschwerden verantwortlich sind. In einem zweiten Schritt werden dann verschiedene Kohlenhydratgruppen wieder zugeführt, um herauszufinden, welche Kohlenhydrate nicht vertragen werden.
Zuvor macht es aber Sinn, bei Reizdarmpatienten zunächst eine glutenarme Ernährung auszuprobieren, da sie einfacher durchzuführen ist, als eine FODMAP-arme Ernährung.
Man geht davon aus, dass verschiedenen Menschen unterschiedlichen Kohlenhydrate nicht ausreichend verdauen/aufspalten können.
Prof. Holtmeier: Nein, es gibt keine Hinweise auf genetische Faktoren.
Prof. Holtmeier: Die Beschwerden der Patienten unterscheiden sich nicht von denen, die auch Zöliakiepatienten oder Reizdarmpatienten aufweisen. Im Gegensatz zur Zöliakie gibt es keine Marker oder Laborwerte, die zur Diagnose verwendet werden können.
Prof. Holtmeier: Die Diagnose erfolgt ausschließlich durch das Ansprechen auf eine weizenarme Ernährung. Wichtig ist, dass vor Beginn einer Diät eine Zöliakie ausgeschlossen wurde, da ansonsten die Antikörper und Schleimhautveränderungen, die bei einer Zöliakie am Anfang vorliegen, verschwinden. Gluten ist Bestandteil von Weizen.
Es gibt einen großen Placeboeffekt, fast 70% aller Patienten mit "Reizdarmbeschwerden" sprechen zunächst auf eine weizenarme Diät an. Langfristig profitieren ca. 30% aller Patienten. Der Versuch einer Diät sollte über 6 Wochen durchgeführt werden. Im Falle eines Ansprechens wird nach ca. 3-4 Monaten eine Re-Exposition mit Weizen empfohlen. Treten die Beschwerden wieder auf, dann ist die Diagnose gestellt. Bluttests und spezifische Antikörper gibt es bei der NZWS nicht.
Die Diagnose erfolgt ausschließlich durch das Ansprechen auf eine weizenarme Ernährung.
Prof. Holtmeier: In aller Regel reicht es, den Weizen zu reduzieren. Es liegt mutmaßlich eine Kohlenhydratmalabsorption, wie bei der Laktoseintoleranz, vor. Kleine Mengen an Weizen werden bei der NZWS im Gegensatz zur Zöliakie vertragen.
Prof. Holtmeier: Das ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Zur Diagnosestellung sollte am Anfang eine glutenfreie Ernährung eingehalten werden. Meidet man Gluten, dann verzichtet man automatisch auf Weizen, Roggen und Gerste. Kommt es zur Beschwerdefreiheit kann man versuchen, ob Roggen und Gerste vertragen werden.
Prof. Holtmeier: Hierzu sind mir keine Daten bekannt. In aller Regel kommt es nach Wiedereinführung zu den gleichen Beschwerden.
Prof. Holtmeier: Wie immer im Leben sollte man nichts übertreiben. Man kann nicht gesünder als gesund sein. Von Nahrungsergänzungsmitteln halte ich wenig. Wenn ein Mangel besteht, muss dieser natürlich behoben werden. Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig. Übergewicht muss vermieden werden.
Prof. Holtmeier: Die Beschwerden werden durch Weizen verursacht. Eine Änderung des Lebensstils kann für den Einzelnen aus anderen Gründen sinnvoll sein. An den Beschwerden wird das aber nichts ändern.
Prof. Holtmeier: Die Weizensensitivität wird von der Fachwelt nicht mehr kritisch oder skeptisch gesehen, da es zahlreiche doppel-blind randomisierte Studien gibt, die die Existenz der Erkrankung/Unverträglichkeit bewiesen haben. Umstritten ist noch welcher Bestandteil des Weizens hierfür verantwortlich ist.
Zahlreiche Leitlinien empfehlen weltweit bei Reizdarmpatienten inzwischen den Versuch einer weizenarmen Ernährung. Das dauerhafte Ansprechen liegt bei ca. 30% dieser Patienten, was im Vergleich zu Medikamenten sehr gut ist. Fast alle Patienten, die angesprochen haben, bleiben auch bei dieser Diät und berichten über eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität. Wenn das alles Humbug wäre, würden diese Patienten die Diät, die aufwendig und auch teuer ist, nicht durchhalten.
Es gibt keine harten Marker oder Laborwerte, mit denen man die Diagnose stellen könnte. Die NZWS ist wie der Reizdarm eine reine Ausschlussdiagnose. D.h. alle Differentialdiagnosen müssen vorher ausgeschlossen worden sein. Das war der Grund, warum anfänglich die Existenz angezweifelt wurde.
Zudem ist seit Jahren die glutenfreie Ernährung bei vielen Mensch in Mode gekommen, obwohl keine Beschwerden vorliegen. Diese Menschen glauben, dass diese Ernährung gesünder ist. Hierzu gibt es auch zahlreiche Bücher, die ausführen, dass Gluten die Ursache vieler Wohlstandserkrankungen und auch von Demenz sein kann. Hierzu gibt es aber keine wissenschaftliche Evidenz.
Zahlreiche Leitlinien empfehlen weltweit bei Reizdarmpatienten inzwischen den Versuch einer weizenarmen Ernährung.
Prof. Holtmeier: Die entscheidenden Arbeiten sind bereits vor ca. 10 Jahren erschienen. Neuere bahnbrechende Studien gibt es nicht. Immer wieder erscheinen Arbeiten, die behaupten, Marker für die NZWS gefunden zu haben. Z.B. sollen häufiger die Anti-Gliadin Antikörper vorliegen. Aus meiner Sicht ist keine dieser Arbeiten überzeugend.
Prof. Holtmeier: Es handelt sich um Menschen, die Magen-Darmprobleme haben. Hierzu gibt es viele Differentialdiagnosen, die zuvor ausgeschlossen werden müssen. Folgendes Vorgehen empfehle ich:
Wenn die Beschwerden schon über 6 Monate bestehen, sollte eine Magen- und Darmspiegelung durchgeführt werden. Falls Durchfälle täglich bestehen, müssen auch Schleimhautproben aus dem Duodenum und Dickdarm entnommen werden (Ausschluss einer mikroskopischen Kolitis). Bei chronischem Durchfall sollte für 3-4 Tage 4g Colestyramin zum Abend versucht werden. Ist der Durchfall verschwunden, so ist die Diagnose eines (harmlosen) Gallensäureverlustsyndroms gestellt. Immerhin 20% der Durchfallpatienten mit "Reizdarm" haben diesen Defekt.
Wenn diese Untersuchungen durchgeführt wurden, empfehlen ich eine glutenarme Diät für ca. 6 Wochen. Hierdurch wird automatisch Weizen, Roggen und Gerste gemieden. Gluten selber hat auf die NZWS vermutlich keinen Einfluss. Sollte dieses nichts gebracht haben, so verweise ich den Patienten an eine Ernährungsberatung zur Durchführung einer FODMAP-armen Diät. Möglicherweise liegt eine andere Kohlenhydratmalabsorption vor. Aus meiner Erfahrung konnte ich ca. 50% der "Reizdarmpatienten" helfen, die dann auch keinen Reizdarm mehr haben, da eine andere Diagnose gestellt werden konnte.
Selbstverständlich gibt es auch noch andere Ursachen für die Beschwerden, die nicht durch Nahrung ausgelöst werden. Hier ist an erster Stelle die Darm-Hirn-Achse zu nennen. Wir alle kennen den Ausdruck "Mir hat etwas auf den Magen geschlagen". Psychischer Stress kann auch zu Reizdarmbeschwerden führen.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 12.08.2025.