Bei den Glykogenspeicherkrankheiten handelt es sich um mehrere unterschiedliche Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels. Sie werden auch Glykogenosen genannt. Bei diesen Erkrankungen kann Blutzucker (Glucose) bei Bedarf nicht ausreichend aus der im Körper gespeicherten Form (Glykogen) herausgelöst werden oder nicht richtig in das Glykogen eingebaut werden. Die Ursache sind verschiedene Gendefekte, die von den Eltern auf das Kind übertragen werden. Sie treten sehr selten auf: Von 25.000 Neugeborenen hat circa eines eine Form der Glykogenspeicherkrankheit. Symptome einer Glykogenspeicherkrankheit können häufige Unterzuckerung, eine vergrößerte Leber, Wachstumsstörungen beim Kind oder Muskelschwäche sein. Die Therapie besteht meist in einer speziellen Diät mit einer kontrollierten Zufuhr von Kohlenhydraten.
Glucose (auch Traubenzucker genannt) dient im Körper als Energiequelle. Nach der Aufnahme von Kohlenhydraten wird die darin enthaltene Glucose von den Körperzellen zur Deckung ihres Energieverbrauches verwendet. Glucose, die nicht sofort benötigt wird, wird in Form von Glykogen in den Muskeln, der Leber und der Niere gespeichert. Entsteht ein erneuter Energiebedarf im Körper, kann Glucose durch Umbau von Glykogen zu Glucose aus der Leber oder den Muskeln wieder freigesetzt werden. Der Blutzuckerspiegel kann auf diese Weise auf einem konstanten Niveau gehalten werden. Bei den Glykogenspeicherkrankheiten kann der Körper bei Bedarf und bei sinkendem Blutzuckerspiegel nicht auf diese Reserven zugreifen. Das gespeicherte Glykogen bleibt in den Muskeln oder der Leber und reichert sich dort an. Bei einigen Formen kann auch die Glucose aus der Nahrung nicht ausreichend in Form von Glykogen im Körper gespeichert werden.
Je nach Erkrankungstyp fehlt dem Betroffenen jeweils ein bestimmtes Enzym, das für die Umwandlung von Glucose (Zucker) in Glykogen benötigt wird oder umgekehrt. Die Ursache hierfür sind Gendefekte, die von den Eltern auf das Kind übertragen werden können. Dabei müssen für eine Erkrankung des Kindes in der Regel beide Elternteile Träger des defekten Gens sein und dieses vererben. Das erklärt, warum die Eltern selbst oft nicht an der Glykogenspeicherkrankheit leiden.
Es gibt mehr als zehn verschiedene Formen von Glykogenspeicherkrankheiten. Sie werden mit römischen Ziffern benannt. Beschrieben sind unter anderem:
Vergleichsweise häufig kommen die Glykogenose Typ I, Typ II, Typ III und Typ IX vor. Die anderen Typen der Erkrankung sind äußerst selten. Einige der Krankheitstypen lassen sich noch weiter in Unterformen aufgliedern.
Die Symptome der einzelnen Formen der Glykogenspeicherkrankheiten können sehr unterschiedlich sein. Manche Formen lösen kaum Beschwerden aus, andere sind lebensbedrohlich.
Einige Glykogenose-Typen machen sich vor allem in zunehmender Muskelschwäche und/oder Muskelschmerzen bei Belastung bemerkbar. Hierzu zählen die Typen II, V und VII. Auch die Atemmuskulatur kann von der Schwäche betroffen sein. Bei schweren Verläufen kann eine künstliche Beatmung oder eine Rollstuhlversorgung notwendig werden.
Einige Typen, wie die Nummern I, III und VI, führen zu einem niedrigen Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie), vor allem im Nüchternzustand. Der Körper kann das gespeicherte Glykogen nicht wieder in Glucose umwandeln und bei Bedarf freisetzen. Häufig kommt es hierbei zu einer Vergrößerung der Leber durch das zu viel gespeicherte Glykogen. Anzeichen eines niedrigen Blutzuckers sind Hungergefühl, Schweißausbrüche, Herzrasen, Schwindel, Zittrigkeit, Übelkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit oder Verwirrtheit bis hin zu Krampfanfällen, Bewusstlosigkeit oder Koma.
Weitere Symptome und Folgen der Glykogenspeicherkrankheiten können beispielsweise Entwicklungsstörungen, Infektanfälligkeit sowie die Bildung von Geschwüren im Darm oder im Mund sein. Die Ablagerung von Harnsäurekristallen in den Nieren oder den Gelenken führt häufig zu Nierensteinen oder Gicht. Dabei kann die Beeinträchtigung der Niere beim Typ I der Glykogenose im Laufe der Jahre zu einer Nierenfunktionsschwäche (Niereninsuffizienz) führen. Bei dieser Form kann es auch zu gutartigen Wucherungen (Adenomen) an der Leber kommen. Eine Erhöhung der Blutfettwerte und eine Übersäuerung des Blutes (Azidose) durch eine vermehrte Bildung von Laktat (Milchsäure) sind weitere mögliche Folgen.
Der Verdacht auf eine Glykogenspeicherkrankheit kann in vielen Fällen durch die körperliche Untersuchung und Bluttests gestellt werden. Bei der körperlichen Untersuchung können Veränderungen wie eine vergrößerte Leber oder eine Muskelschwäche auffällig werden. In der Blutuntersuchung können sich verschiedene Auffälligkeiten bei den Blutwerten finden. Die sichere Diagnose ist allerdings nur durch molekulargenetische Untersuchungen (Gentests) oder eine Bestimmung der Enzymaktivität im Blut möglich. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) sowie die Untersuchung von Gewebeproben aus Muskulatur oder Leber können hilfreiche Hinweise liefern.
Ausgeschlossen werden müssen andere Erkrankungen, die ebenfalls die jeweiligen Symptome und Folgen der Glykogenspeicherkrankheiten auslösen können:
Weiterhin müssen die einzelnen Glykogenspeicherkrankheiten durch die ärztlichen Untersuchungen voneinander unterschieden werden.
Die Therapie der Glykogenosen ist abhängig vom Typ. Bei allen Formen, die mit einem reduzierten Blutzuckerspiegel einhergehen, ist eine spezielle Diät erforderlich. Dabei wird versucht, das Absinken des Blutzuckers durch häufige kleine, kohlenhydratreiche Mahlzeiten (alle zwei bis drei Stunden) zu verhindern. Wichtig sind langkettige Kohlenhydrate, die langsam abgebaut werden und den Blutzuckerspiegel somit über mehrere Stunden konstant halten. Sie kommen beispielsweise in ungekochter Stärke und in Vollkornprodukten vor. Fruchtzucker oder andere Zuckersorten hingegen sollten eher vermieden werden. Sie heben den Blutzuckerspiegel schnell an, lassen ihn aber auch schnell wieder abfallen. Außerdem können sie zu einer Übersäuerung des Blutes führen. Im akuten Fall einer Unterzuckerung kann jedoch die Gabe von Traubenzucker angezeigt sein, um den Blutzuckerspiegel schnell zu erhöhen. Beim Diätplan muss darauf geachtet werden, dass in Phasen des Wachstums oder beim Sport mehr Energie benötigt wird. Deshalb sollte der Plan in einem spezialisierten Zentrum erstellt und regelmäßig (in vielen Fällen halbjährlich) an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Da auch nachts Energie benötigt wird, kann es erforderlich sein, während der Schlafenszeit kohlenhydratreiche Lösungen über eine Magensonde zu geben. Zusätzlich ist die Zufuhr verschiedener Mineralien, Nährstoffe oder Vitamine oft sinnvoll. Eine regelmäßige Kontrolle der Blutfettwerte und des Harnsäurespiegels wird ebenfalls vorgenommen, um Folgeschäden und Komplikationen zu vermeiden. In manchen Fällen werden Medikamente zur Senkung der Blutfette oder des Harnsäurespiegels verordnet.
Wenn eine Glykogenose vom Muskeltyp vorliegt, ist eher die Muskelschwäche das Problem. Eine Überanstrengung der Muskulatur sollte vermieden werden.Physiotherapie, Atemgymnastik, geeignete Trainingsformen zur Verbesserung der Ausdauer sowie eine spezielle Diät sind sinnvoll. Die Versorgung mit Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl oder eine künstliche Beatmung können erforderlich werden. Außerdem sind bei diesen Patienten regelmäßige Herzuntersuchungen wichtig, da durch die Ablagerung von Glykogen Herzmuskelerkrankungen entstehen können. Für den Typ II der Glykogenosen (häufigster Muskeltyp) steht eine Enzymersatztherapie per Infusion zur Verfügung.
Die Behandlung von Folgeschäden an Organen wie Niere oder Leber erfolgt auf den Einzelfall abgestimmt. In manchen Fällen wird eine Organtransplantation notwendig.
Die Behandlung sollte in einem spezialisierten Stoffwechselzentrum erfolgen. Wenn die Erkrankung für die betroffene Person und die Familie sehr belastend ist, kann eine psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll sein. Vielen Familien hilft auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zum Austausch mit anderen Betroffenen.
Ein wirkliches Vorbeugen ist nicht möglich. Menschen, die wissen, dass sie ein defektes Gen besitzen, können vor einer Schwangerschaft das Risiko für eine Glykogenspeicherkrankheit beim Kind abschätzen lassen. Das Gleiche gilt bei bekannten Glykogenosen innerhalb der Familie.
Die Prognose hängt vom Typ der Glykogenose ab. Der Verlauf und die Schwere der Erkrankung können jedoch unterschiedlich sein. Durch gute Diätpläne und eine sorgfältig ausgewählte medikamentöse Behandlung ist es heute in vielen Fällen möglich, Komplikationen und Folgeerkrankungen zu beherrschen oder zumindest hinauszuzögern. Dies gilt beispielsweise beim Typ I für Gichtanfälle durch einen zu hohen Harnsäurespiegel, für Entzündungen der Bauchspeicheldrüse oder eine lebensbedrohliche Unterzuckerung. Dennoch können schwerwiegende Komplikationen wie Nierenversagen oder eine Zerstörung des Lebergewebes (Leberzirrhose) auftreten. Bei einigen Erkrankungstypen wie dem Typ II kann es zu weiteren schweren Komplikationen wie Herzversagen oder Atemstörungen kommen. Diese können manchmal bereits bei betroffenen Säuglingen auftreten.
Weiterführende Informationen zu Glykogenosen und Angebote für Betroffene finden Sie auf der Webseite der Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e.V.:
https://www.glykogenose.de/de/index.php
Springer Medizin – Glykogenspeicherkrankheiten: https://www.springermedizin.de/emedpedia/paediatrie/glykogenspeicherkrankheiten?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_78 (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e.V. – Glykogenosen: https://www.glykogenose.de/de/Glykogenosen.php (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
TK, Paula Schech – Was versteht man unter einer Glykogenose?: https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/stoffwechselerkrankungen/was-versteht-man-unter-einer-glykogenose-2017420 (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
Universitätsklinikum Düsseldorf – Glykogenosen: https://www.uniklinik-duesseldorf.de/patienten-besucher/klinikeninstitutezentren/klinik-fuer-gastroenterologie-hepatologie-und-infektiologie/klinik/fuer-patienten/behandlungsschwerpunkte/stoffwechselkrankheiten/glykogenosen (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
Thieme via medici – Glykogenosen: https://viamedici.thieme.de/lernmodul/8676305/4958924/glykogenosen (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
Johns Hopkins Medicine – Glycogen Storage Disease: https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/glycogen-storage-disease (online, letzter Abruf: 22.03.2023)
aktualisiert am 22.03.2023