Eine Antibiotika-Prophylaxe (oder genauer: perioperative Antibiotika-Prophylaxe) ist die kurz dauernde Gabe von Antibiotika vor und während einer Operation zum Schutz vor ansteckenden Keimen. Antibiotika sind Medikamente, die gegen Bakterien wirksam sind. Die Antibiotika-Prophylaxe ist bei chirurgischen Maßnahmen angezeigt, die ein hohes Infektionsrisiko aufweisen.
Ziel der Antibiotika-Prophylaxe ist es, Infektionen als Komplikation zu verhindern beziehungsweise zu reduzieren. Vor allem sollen oberflächliche und tiefe Wundinfektionen nach der OP verhindert werden. Aber auch gegen andere infektiöse Komplikationen wird eine Vorbeugung angestrebt, beispielsweise vor einer Lungenentzündung (Pneumonie), einer Streuung von Erregern im Blut (Sepsis, Blutvergiftung) und Harnwegsinfekten. Das ausgewählte Antibiotikum wird bereits vor Beginn der Behandlung oder vor der Operation verabreicht.
Welche Erreger werden bekämpft?
Die Antibiotika-Prophylaxe richtet sich einerseits gegen die körpereigenen Erreger der jeweiligen Körperregion, wo die Operation durchgeführt wird (z. B. Mundhöhle, Darm etc.). Ebenso richtet sie sich gegen potenziell gefährliche Keime bei Patienten mit Abwehrschwäche. Andererseits ist die Antibiotika-Prophylaxe aber auch angebracht bei Verletzungen gegen die zu erwartenden Infektionskeime (z. B. bei Tierbissen, Verschmutzungen durch Erde, Fäkalien, Schusswunden etc.). Zu den wichtigsten Erregern gehören Bakterienarten wie Staphylokokken, Streptokokken, Clostridien, Anaerobier (z. B. Fusobakterien und Aktinomyzeten), Enterobakterien (z. B. Shigella, Klebsiella, Enterobacter, Serratia, Proteus und Morganella) und andere Keime.
Wann ist eine Antibiotika-Prophylaxe angezeigt?
Eine Indikation, also ein Anlass, für die Antibiotika-Prophylaxe besteht vor allem bei folgenden Zuständen:
- Hohes lokales und allgemeines Infektionsrisiko
- Reduzierte Infektabwehr, z. B. bei angeborenen Immundefekten, AIDS/HIV-Infektion, Leukämie
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Cortisontherapie, Therapie mit Immunsuppressiva (Medikamenten, die das Abwehrsystem hemmen)
- Zustand nach Bestrahlung (Radiatio)
- Operationen am Knochen (z. B. Knochenaufbau)
- Knochenschäden
- krankhafte Mundtrockenheit (Xerostomie)
- Zahnimplantat mit Defekten in der Umgebung
- Zustand nach Herzentzündung (Endokarditis)
- Herzklappenersatz
- Negative Infektionsfolgen
Grundregeln für eine Antibiotika-Prophylaxe
- Üblicherweise hat die Antibiotika-Prophylaxe mit Beginn der Narkose einzusetzen, um eine rechtzeitige und ausreichende Verteilung des Antibiotikums im Gewebe beziehungsweise zum Ort einer potenziellen Infektion zu gewährleisten. Eine Antibiotika-Prophylaxe muss aber auf jeden Fall 30 bis 60 Minuten vor einer operativen Handlung begonnen werden. Die Antibiotikagabe erst nach Wundverschluss ist wirkungslos.
- Eine Antibiotika-Prophylaxe ist nur bei Operationen mit erhöhtem postoperativem (nach der OP vorhandenen) Infektionsrisiko angezeigt. Eine generelle Verabreichung von Antibiotika nach "sterilen" Operationen beziehungsweise die unkritische Antibiotika-Prophylaxe ist abzulehnen. Unter anderem können sich nämlich resistente Keime entwickeln beziehungsweise deren Vermehrung geradezu gefördert werden. Angezeigt ist die Prophylaxe bei Wundinfektionsraten von mehr als fünf Prozent, bei möglichen schwerwiegenden örtlichen Folgen beziehungsweise möglichen schwerwiegenden Folgen für den Körper allgemein.
- Wichtige Kriterien für die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums sind: Art und Dauer der Operation, die zu erwartenden Erreger, Pharmakokinetik (Halbwertszeit und Gewebekonzentration), Resistenzbildung, Toxizität und insbesondere klinische Erfahrung, belegt durch prospektive klinische Studien. Das „prophylaktische Antibiotikum" darf weder toxisch noch teuer sein. Zudem dürfen keine „Panzerschrank-Antibiotika" verwendet werden.
- Die Antibiotika-Prophylaxe sollte so kurz wie möglich gehalten werden ("Single Shot"). Bei einer langen Operations-Dauer von mehr als 2,5 bis 3 Stunden oder bei Operationen mit Blutverlust über einem Liter kann eine Wiederholungsdosis verabreicht werden. In der Regel verabreicht der Arzt eine weitere Dosis, wenn die Halbwertszeit des verwendeten Antibiotikums von der Operationsdauer wesentlich übertroffen wird (2,5 Mal und mehr).
- Tritt während der Operation eine Situation ein, die eine Antibiotika-Prophylaxe erfordert, z. B. durch Eröffnung eines Hohlorgans, so wird umgehend ein geeignetes Antibiotikum verabreicht. Die chirurgische Antibiotika-Prophylaxe ist weitgehend die Aufgabe des Narkosearztes (Anästhesisten).
- Die Gefährdung durch eine Kurzzeitprophylaxe von Antibiotika in der Chirurgie wird oft überschätzt. Die Unterlassung einer erforderlichen Antibiotika-Prophylaxe kann mitunter einen viel größeren Schaden hervorrufen.
- Infektionen müssen ausreichend behandelt werden. Ein Infektionsherd muss stets ausgeräumt werden und erfordert eine mehrwöchige Antibiotikatherapie.
Einteilung der Eingriffe nach Kontaminationsgrad
Chirurgische Eingriffe werden unterteilt in Kategorien, wie "sauber" (keimarm) die Vorgehensweise ist. Es geht um die mögliche Kontamination (Verschmutzung mit Keimen) des Körperbereiches, der operiert wird. Danach richtet sich auch, ob eine Antibiotika-Prophylaxe notwendig ist. Die Kontaminationsgrade sind:
- Aseptisch
Aseptisch bedeutet, dass ein Bereich nicht mit Mikroorganismen (beziehungsweise Krankheitserregern) belastet ist. Das ist der Fall, wenn die Schleimhaut des Harn-, Geschlechts-, Atem- und Magen-Darm-Traktes nicht mit einbezogen und nicht verletzt sind. Die häufigsten Bakterien, die sich bei aseptischen Operationen noch finden, sind Staphylokokken. Eine Antibiotika-Prophylaxe ist normalerweise nicht notwendig. Eine Ausnahme ist die Implantation von Fremdmaterial.
- Kontaminiert
Als kontaminiert (verschmutzt) gilt ein Bereich, wenn die Schleimhaut des Magen-Darm-, Atem-, Harn- oder Geschlechtstraktes verletzt ist. In diesem Fall sind weitere Erreger häufig anzutreffen (Atemwege: Staphylokokken und Streptokokken, Magen-Darm-Trakt, Harnwege, Geschlechtsorgane: Enterokokken, Enterobakterien, Anaerobier).
- Septisch
Hierzu gehören alle Eingriffe in Körperregionen mit massiver bakterieller Kontamination oder offene Verletzungen mit starker Verschmutzung. Es handelt sich meist um Infektionen mehrerer Erreger zusammen wie Escherichia-coli-Bakterien und Anaerobier. Durch die Antibiotika-Prophylaxe kann die ansonsten sehr hohe Wundinfektionsrate von 25 Prozent auf 5 Prozent gesenkt werden.
Risikofaktoren
Bei einigen Gegebenheiten ist das Risiko für Infektionen nach der OP erhöht.
- Präoperative Risikofaktoren (Faktoren vor dem Eingriff)
Hochrisiko-Eingriffe, Notfalleingriffe, kontaminierte Wunden, Fremdkörper und Implantationen, Krankenhausaufenthalt bereits vor der OP > 3 Wochen, OP innerhalb 4 Wochen nach einer notfallmäßigen Aufnahme, Gallensteine oder wiederholte Eingriffe in/an den Gallenwegen
- Perioperative Risikofaktoren (Faktoren während des Eingriffs)
Ausgedehnte Blutungen, diverse OP-Komplikationen, geringer Erfahrungsstand des OP-Teams, OP-Dauer über 2 Stunden, Notwendigkeit von Bluttransfusionen, mehrere operative Eingriffe, Sauerstoffabfall und Unterkühlung.
- Postoperative Risikofaktoren (Faktoren nach dem Eingriff)
Bakterienstreuung im Blut (Sepsis), Unterkühlung, Harnkatheter, Drainagedauer über 3 Tage, zentrale Venenkatheter, Nachweis bestimmter Bakteriengruppen (Enterokokken, Enterobakterien oder Anaerobiern) im Wundbereich.
- Risikofaktoren bestimmter Patienten für Infektionen als OP-Komplikation
Hohes Lebensalter, Mangelernährung, starkes Übergewicht, reduzierter Allgemeinzustand, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Immunschwäche, Dialyse (Blutwäsche), Belastung mit dem Krankenhauskeim MRSA, Infektionen/Fieber vor Operationen, Drogenmissbrauch, Leberkrankheiten, Durchblutungsstörungen, Wasseransammlungen (Ödeme), Lymphgefäß-Entzündung, Nervenkrankheiten, Frauen (bei bestimmten Operationen).
Nachteile der Antibiotika-Prophylaxe
Wie fast bei jeder Therapie mit Medikamenten sind auch hier Nebenwirkungen möglich. Demnach steht dem erwünschten Effekt, eine Infektion verhindern zu können, das Risiko unerwünschter Ereignisse gegenüber. So erzeugen Antibiotika bei 13 Prozent der Patienten Nebenwirkungen. Im Einzelnen muss abgewägt werden, ob der Nutzen größer als das Risiko zu bewerten ist. In bestimmten Fällen ist die Prophylaxe mit Antibiotika praktisch unumgänglich.