Mastzellen sind Teil des angeborenen Immunsystems. Sie kommunizieren mit Nerven- und Immunzellen und steuern Schutz-, Entzündungs- und Heilungsprozesse. Beim Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) bleiben Mastzellen ohne fortbestehenden Auslöser chronisch aktiv und verursachen wechselhafte, multisystemische Beschwerden (unter anderem Hautreaktionen, Atem-, Magen-Darm-, Kreislauf- und neuropsychische Symptome), häufig in Kombination mit Intoleranzen oder Allergien. Man unterscheidet primäre Formen (z. B. Mastozytose/MMAS), sekundäre Formen (durch andere Erkrankungen/Trigger wie Infekte, Stress, Schimmel u. a.) und idiopathische Formen. Typischerweise kommt es zu einer Erstverschlechterung nach Infektionen (z. B. mit SARS-CoV-2 oder EBV), starken Belastungen oder Unfällen. Die Diagnostik stützt sich auf die Anamnese und Laboruntersuchungen (z. B. Tryptase ereignisbezogen, Histamin-Metabolite, PGD₂, Leukotriene), idealerweise in den Symptomphasen. Die Therapie kombiniert individuell Antihistaminika (H₁/H₂), Mastzellstabilisatoren und Nährstoffsupplemente (z. B. Vitamin C) mit konsequenter Triggerreduktion, einer schadstoffarmen und nährstoffreichen Ernährung sowie Arbeit mit dem Darm- und Nervensystem.
Dr. Kreddig: Mastzellen gehören zum angeborenen, also unspezifischen, Immunsystem, welches ein sehr alter Teil unserer Immunabwehr ist. Mastzellen gibt es bereits seit über 500 Millionen Jahren. Früher waren sie gewissermaßen das gesamte Immunsystem der damaligen Lebewesen. Auch wenn unser Immunsystem heute viel komplexer ist, haben sich die Mastzellen bis heute erhalten – und das aus gutem Grund.
Im Laufe ihrer langen Evolution haben sie unzählige Strategien entwickelt, um unseren Körper zu schützen. Man kann sich Mastzellen wie Wächter vorstellen. Sie sitzen vor allem an den Schnittstellen zur Umwelt, also beispielsweise in der Haut, den Atemwegen oder im Darm und kontrollieren, was in den Körper gelangt. Sie erkennen aber nicht nur Erreger, sondern reagieren auch auf innere Ungleichgewichte im Körper.
Mastzellen kommunizieren intensiv mit anderen Zellen und Geweben. Sie können das Immunsystem aktivieren, mit Nervenzellen interagieren und Prozesse wie Heilung oder Entzündung beeinflussen. Ihr Ziel ist es, uns zu schützen. Wichtig ist: Jeder Mensch hat Mastzellen – und wir brauchen sie. Ihre Aktivierung ist ganz normal und lebenswichtig, beispielsweise bei Infektionen, Verletzungen oder starkem Stress.
Dr. Kreddig: Beim MCAS bleiben die Mastzellen dauerhaft aktiv, obwohl der Auslöser längst vorbei ist. Normalerweise läuft es so: Der Körper wird beispielsweise durch eine Infektion herausgefordert, Mastzellen werden aktiv, helfen bei der Abwehr und fördern die Heilung. Danach beruhigt sich das System wieder. Bei MCAS geschieht genau das nicht: Die Mastzellen bleiben in einem dauerhaften Alarmzustand. Das kann sehr viele unterschiedliche Symptome verursachen. Mastzellen enthalten über 1.000 verschiedene Botenstoffe und mehr als 300 bekannte Rezeptoren. Das erklärt, warum sie so viele verschiedene Aufgaben im Körper übernehmen können. Genau deshalb sieht MCAS bei jeder betroffenen Person anders aus. Es gibt kein typisches Leitsymptom, anhand dessen sich die Erkrankung eindeutig erkennen lässt.
Dr. Kreddig: Es treten ganz unterschiedliche Kombinationen von Symptomen auf. Diese können sich im Lauf der Zeit verändern, mal stärker, mal schwächer auftreten und episodisch oder chronisch verlaufen. Die Beschwerden stammen meist aus dem allergisch-entzündlichen Bereich und können bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen reichen, müssen aber nicht. Für die Diagnose ist entscheidend, dass mehrere Organsysteme betroffen sind, nicht nur eines.
Zur Definition von MCAS gehört, dass die Symptome nicht auf ein einzelnes Organsystem beschränkt sind. Es handelt sich also nicht nur um lokale Beschwerden jeweils im Darm, in den Atemwegen, im zentralen Nervensystem oder auf der Haut, sondern es sind mindestens zwei oder mehr dieser Körpersysteme betroffen. Selbstverständlich kann eine Mastzellaktivierung auch lokal auftreten. Wenn also vom Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) die Rede ist, dann ist es per Definition eine multisystemische Erkrankung.
Ein häufiges Begleitsymptom sind Unverträglichkeiten oder Intoleranzen. Diese allein bedeuten jedoch noch nicht automatisch, dass jemand MCAS hat. Menschen mit MCAS leiden jedoch oft unter verschiedenen Intoleranzen. Auch Allergien sind typische mastzellvermittelte Erkrankungen. Sie treten häufig zusammen mit MCAS auf, aber nicht immer. Wichtig ist: Nicht jede Person mit einer Allergie hat automatisch MCAS. Umgekehrt gilt: Wer zusätzlich zu einer Allergie auch MCAS entwickelt, hat meist schwerere und komplexere Symptome. MCAS kann sich in vielen verschiedenen Symptomen ausdrücken.
Häufige Beschwerden sind jedoch:
Auch diese müssen nicht zwingend vorliegen. Und nicht jeder Mensch mit diesen Symptomen hat automatisch MCAS – und nicht alle Menschen mit MCAS haben genau diese Symptome. Entscheidend sind die Kombination und der Verlauf der Symptome.
Für die Diagnose ist entscheidend, dass mehrere Organsysteme betroffen sind, nicht nur eines.
Dr. Kreddig: Auffällig ist, dass sich bei vielen Betroffenen schon früh – häufig ab dem Jugendalter, manchmal sogar früher – erste Beschwerden zeigen. Diese sind in der Regel (aber nicht immer) mild. Dazu zählen beispielsweise Heuschnupfen, gelegentliche Schwellungen oder andere "mysteriöse" Symptome, die entweder von selbst wieder verschwinden oder durch die ärztliche Behandlung abgeklungen sind. Später, meist im jungen Erwachsenenalter, kommt es häufig zu einer Verschlimmerung: Aus zunächst einzelnen Symptomen werden chronisch-multisystemische Beschwerden. Diese Verschlechterung tritt oft nach einem bestimmten Auslöser auf, beispielsweise einer Infektion oder einem starken Stressereignis. Danach ist für viele Betroffene "nichts mehr wie vorher".
Die Bandbreite der Symptome reicht dabei von mild bis hin zu bettlägerig. Genau diese Vielfalt und Unspezifität machen die Diagnose so schwierig, doch im Nachhinein lässt sich oft ein typischer Verlauf erkennen. Das ist ein sehr breites Spektrum und hängt stark davon ab, was im Körper passiert ist, wie er darauf reagiert und welche zusätzlichen Stressoren eine Rolle spielen.
Was wir außerdem beobachten, ist eine familiäre Häufung. Das bedeutet nicht, dass alle Familienmitglieder dieselben Symptome haben. Es gibt jedoch Hinweise auf multisystemische Beschwerden allergisch-entzündlicher und manchmal auch schwer greifbarer Art innerhalb derselben Familie. Das ist natürlich kein Muss, denn wir sehen es nicht bei allen Betroffenen, aber doch häufig. Studien gehen von einer Vererbbarkeit von etwa 50% aus. Dies ist allerdings ein größeres Thema, das wir hier nicht vollständig behandeln können.
Dr. Kreddig: Zur Einordnung des Mastzellaktivierungssyndroms lassen sich grob drei Untergruppen unterscheiden:
Dr. Kreddig: Infekte sind tatsächlich der häufigste Auslöser. Das heißt jedoch nicht, dass es der einzige Grund ist, sondern lediglich der häufigste. Man kann jedoch nicht sagen, dass jeder Infekt zwangsläufig dazu führt. Es sind vor allem bestimmte Erkrankungen, bei denen wir diesen Zusammenhang beobachten. In letzter Zeit ist das häufig das Coronavirus, davor – und das gilt weiterhin – waren es oft das Epstein-Barr-Virus, also das Pfeiffersche Drüsenfieber, oder auch Borreliose.
Diese Erkrankungen werden als mögliches Event im Zusammenhang mit der ersten großen Eskalation der Symptome häufig genannt. Dabei spielt es nicht wirklich eine große Rolle, ob es sich um Viren oder Bakterien handelt. Vielmehr geht es um die Immunaktivierung an sich: Das Immunsystem wird angeregt, die Mastzellen reagieren darauf. Diese Aktivierung ist erst einmal normal und erwünscht, sollte sich nach der Erkrankung aber auch wieder beruhigen. Aber genau das passiert bei einigen Menschen nicht, die Aktivierung bleibt bestehen und alles ist anders als vorher.
Deshalb gibt es auch so viele mögliche Auslöser. Dazu gehören auch Impfungen, wenn auch selten. Nicht, weil Impfungen gefährlich wären – im Gegenteil: Ich möchte ganz klar sagen, dass sich Menschen mit Mastzellaktivierung impfen lassen können und sollten. Aber auch eine Impfung kann in seltenen Fällen eine Immunreaktion auslösen. Es geht also insgesamt um Reize, die das Immunsystem stark aktivieren, unabhängig davon, ob sie infektiös sind oder nicht.
Wichtig ist auch: Es ist fast nie nur das eine Ereignis. Meistens ist es eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Ich nenne das eine Personen-Ereignis-Interaktion. Denn es kommt nicht nur auf das Ereignis selbst an, also etwa den Infekt, sondern auch darauf, wann es passiert und wie die betroffene Person damit umgeht.
In meiner Beratung höre ich sehr häufig, dass es mit einem Infekt angefangen hat, oder mit einem großen Stress, einem Unfall, einer Schwangerschaft – also mit etwas, das den Körper deutlich gefordert hat. Was ich hingegen so gut wie nie höre ist, dass Menschen sich die dann auch die Zeit genommen haben, sich richtig auszuruhen, sich gut um sich zu kümmern. Meistens kamen stattdessen noch zusätzliche Belastungen hinzu: ein Schicksalsschlag, ein Unfall oder eine Trennung.
Oft ist es eine Verkettung mehrerer belastender Ereignisse. Und dann trifft dieser Stressor, wie beispielsweise der Infekt, auf ein System, das ohnehin schon überlastet war. Das Immunsystem steht quasi permanent unter Strom. In unserer Gesellschaft ist es fast schon normal, nicht auf den eigenen Körper zu hören. Wir funktionieren, wir leisten, wir machen einfach weiter.
Aus meiner Erfahrung sind Menschen mit MCAS häufig sehr ehrgeizig. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst und übernehmen viel Verantwortung, sei es durch die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, einen herausfordernden Job oder die Pflege eines großen Hauses. Dabei kommen Ruhe und echte Erholung oft zu kurz. Oft haben Menschen gar nicht die Gelegenheit, sich richtig auszukurieren – sei es bei Infekten oder anderen Belastungen.
Der Körper bekommt nicht die Ruhe, die er bräuchte, um solche Dinge wirklich zu verarbeiten und zu überwinden. Das ist etwas, das ich allen Gesunden mitgeben möchte: Es lohnt sich, Infekte gründlich auszukurieren. Natürlich bräuchte man eine Glaskugel, um vorherzusehen, wer wann krank wird, aber es ist eine gute Idee, dem Körper Zeit zu geben, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Vor medizinischen Eingriffen wie Impfungen oder Hyposensibilisierungen (zum Beispiel bei Allergien) kann es sehr hilfreich sein, dem Körper einige Tage davor und danach mehr Ruhe zu gönnen. So hat er die Chance, diese Immunaktivierung gut zu verarbeiten, ohne gleichzeitig noch mit anderen Herausforderungen beschäftigt zu sein. Der Körper hat eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit, wenn man ihn einfach mal lässt und ihm das gibt, was er braucht.
Ein Punkt ist mir dabei noch wichtig: Die Ursache, also der Auslöser, ist nicht unbedingt das, was das Syndrom dauerhaft aufrechterhält. Zwar kann es einen Anfangsimpuls geben, etwa eine Infektion oder Belastung, doch im weiteren Verlauf entwickeln sich oft zusätzliche Faktoren, die das Ganze dann chronisch machen oder verstärken. Man kann sich das so vorstellen: Es gibt einen Auslöser, der das Feuer entfacht, und dann kommen weitere Dinge hinzu, die es am Lodern halten. Aber das muss nicht immer so sein.
Ein Beispiel: Wenn eine Borreliose zu Beginn nicht behandelt wurde und weiterhin aktiv ist, kann dies die Mastzellen dauerhaft reizen und zu Beschwerden führen. In meiner Beratung sehe ich auch relativ häufig Parasiten, die beispielsweise von Fernreisen mitgebracht wurden oder durch engen Kontakt mit Straßen- oder Wildtieren übertragen wurden. Wer etwa Straßenhunde rettet und engen Kontakt mit ihnen hat, bevor sie tierärztlich untersucht wurden, kann sich leicht Parasiten einfangen. Viele berichten dann, dass sie um ihren Parasitenbefall wissen, aber es nicht weggeht. Wenn ein solcher Reiz bestehen bleibt, ist es nachvollziehbar, dass die Mastzellen dauerhaft aktiv bleiben. Sie versuchen schließlich, den Körper zu schützen.
Es gibt aber auch Fälle, in denen die ursprüngliche Ursache nicht mehr vorhanden ist, zum Beispiel ein abgeklungener Infekt, sich in der Zwischenzeit aber andere Unverträglichkeiten oder Intoleranzen entwickelt haben, die das Syndrom weiter aufrechterhalten. Wissenschaftlich ist das leider alles noch nicht gut erforscht. Was ich hier teile, basiert vor allem auf vielen Jahren Erfahrung und der Beobachtung zahlreicher Betroffener. Was ich ziemlich häufig beobachte – und das ist fast schon ein Klassiker –, ist, dass Menschen nach einer Corona-Infektion plötzlich ganz neue Unverträglichkeiten entwickeln. Und diese erhalten die neu entstandene Symptomatik aufrecht. Häufig steckt eine durch die Infektion ausgelöste Mastzellaktivierung dahinter.
Ein typisches Beispiel: Jemand lebt in einer schimmelbelasteten Wohnung. Vor der Infektion hat der Körper das vielleicht noch irgendwie ausgehalten. Durch die Mastzellaktivierung infolge von Corona ist die Belastungsgrenze jedoch erreicht und der Körper sagt: "Jetzt ist Schluss." Und genau in diesem Moment fangen die Probleme an. In solchen Fällen kann sich auch Long Covid entwickeln. Das hängt ebenfalls stark mit der Mastzellaktivierung zusammen, was ein weiteres großes Thema ist.
Oft merken die Betroffenen irgendwann, dass es ihnen einfach nicht besser geht, wenn sie nicht daheim sind. Also wenn sie dem Schimmel nicht ausgesetzt sind. Das ist ein klassischer Fall: Auslöser war das Coronavirus, aber die Schimmelbelastung in der Wohnung ist ein Aufrechterhalter – also etwas, das die Beschwerden bestehen lässt –, die der Körper nicht mehr toleriert. Das ist interessant, weil dabei wirklich viele verschiedene Auslöser zusammenkommen und oft auch Dinge eine Rolle spielen, an die man zunächst gar nicht denkt.
Das Immunsystem steht quasi permanent unter Strom.
Dr. Kreddig: Da gibt es wirklich sehr, sehr viel. Wie bei vielem, was ich hier erzähle, ist das jedoch kein vollständiger Überblick. Es wäre unmöglich, alles abzudecken. Dafür bräuchten wir wahrscheinlich Wochen für dieses Interview. Auch was die Ursachen angeht, möchte ich betonen: Das war längst nicht alles. Weder die Ursachen noch die Auslöser oder sogenannten Aufrechterhalter habe ich hier vollständig genannt. Dazu gäbe es noch viel mehr zu sagen.
Kommen wir nun zu den sogenannten Komorbiditäten, also Erkrankungen, die häufig gemeinsam auftreten. Häufig sehen wir dabei das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS), eine Erkrankung, die das Bindegewebe betrifft. Das gilt besonders für das hypermobile Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS). Ein weiteres Beispiel ist das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (PoTS). Dabei handelt es sich um eine Kreislaufstörung, bei der die Regulation des Blutdrucks im Sitzen oder Stehen nicht richtig funktioniert. Das kann etwa bei Long Covid auftreten. Die Betroffenen setzen sich oder stehen auf und ihnen wird schwindelig, ihr Herz rast, weil der Körper es nicht mehr schafft, den Blutdruck der Schwerkraft entsprechend zu regulieren.
Was wir außerdem beobachten – und wo auch schon Zusammenhänge diskutiert werden – ist eine mögliche Verbindung zu Endometriose. Auch Allergien, Reizdarm und andere Erkrankungen, die mit Mastzellen in Zusammenhang stehen, wie etwa Nesselsucht (Urtikaria) oder Asthma, treten häufig auf. Spannend ist, dass auch psychische Symptome direkte Krankheitszeichen sein können, was viele nicht wissen. Dafür gibt es inzwischen eine recht solide Datenlage.
Studien zeigen, dass Angst und Depressionen bei Menschen mit Mastzellerkrankungen deutlich häufiger vorkommen. Vor allem Depressionen sind mittlerweile vergleichsweise gut erforscht, aber auch zu Angstzuständen gibt es erste Erkenntnisse. Diese Daten stammen überwiegend aus der Forschung zur Mastozytose. Dort wird deutlich, dass psychische Symptome wie Depressionen oder Ängste nicht nur Begleiterscheinungen sind, sondern tatsächlich primäre Symptome der Erkrankung sein können, die genauso direkt ausgelöst werden wie Juckreiz, Atemnot oder Verdauungsprobleme.
Es handelt sich um echte Krankheitssymptome, die ernst genommen werden sollten. Wenn das so ist, sollte sich der Zustand durch die Behandlung natürlich verbessern. Es kann aber trotzdem vorkommen, dass zusätzlich zur Mastzellerkrankung Angst oder Depressionen sekundär auftreten, denn mit einer solchen Erkrankung zu leben, kann unglaublich belastend und frustrierend sein. Diese psychischen Beschwerden können also sowohl eine Folge der Krankheit sein als auch unabhängig davon bestehen. Beides ist möglich, das schließt sich nicht aus.
Man beobachtet, dass Depressionen bei Menschen mit Mastzellerkrankungen deutlich häufiger vorkommen als bei gesunden Menschen und sogar häufiger als bei anderen chronisch kranken Gruppen. Selbst im Vergleich zu Krebserkrankungen, die man als psychisch noch belastender einschätzen würde, ist die Depressionsrate bei Mastzellerkrankungen höher. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass es besonders bei MCAS – etwas weniger bei der Mastozytose – häufig an systemischer und struktureller Unterstützung fehlt.
Im Gegensatz dazu gibt es bei Krebs eine gut ausgebaute Versorgungsstruktur. Auch wenn diese nicht perfekt ist, werden Krebserkrankungen gesellschaftlich und medizinisch ernst genommen. Für Mastzellerkrankungen – vor allem für MCAS – ist das leider oft nicht der Fall. Und genau das macht es für viele Betroffene so schwer.
Dr. Kreddig: Das Mastzellaktivierungssyndrom ist seit etwa 35 Jahren bekannt, seit es erstmals erwähnt wurde. Aber erst vor etwa 17 Jahren ist das Thema so richtig in Bewegung gekommen. Seitdem geht es langsam, aber stetig voran. Studien zeigen übrigens, dass es im Durchschnitt etwa 17 Jahre dauert, bis wissenschaftliche Erkenntnisse in der breiten Öffentlichkeit ankommen. Das gilt nicht nur für das MCAS, sondern generell für viele medizinische Themen. Und genau das erleben wir jetzt.
Immer mehr Ärzte weisen ihre Patienten darauf hin, dass ihre Beschwerden möglicherweise mit MCAS zusammenhängen könnten. Das war vor ein paar Jahren noch ganz anders – damals kamen die Betroffenen fast ausschließlich durch eigene Recherchen auf diesen Verdacht. Mittlerweile verändert sich das Bild. Wir sehen, dass das Thema in der Ärzteschaft ankommt. Auch wir tragen dazu bei: Wir betreiben unser professionelle Netzwerk, das Fachnetz MCAS. Dort sind mittlerweile über 280 Mitglieder aus verschiedenen Heilberufen aktiv. Die Mehrheit sind Ärzte, aber auch viele andere Gesundheitsberufe sind vertreten. Das zeigt, dass sich etwas tut.
Zurück zur Diagnostik: Eigentlich ist die Diagnose von MCAS kein Hexenwerk. Man braucht keine Spezialpraxis. Viele der notwendigen Schritte können theoretisch auch von Hausärzten in Zusammenarbeit mit einem guten Labor übernommen werden. Das große Problem ist allerdings, dass die wenigsten Ärzte MCAS überhaupt kennen. Und es gibt leider immer noch Stimmen, die das Krankheitsbild als Modeerscheinung abtun, obwohl die wissenschaftliche Datenlage zur Existenz und Wirkungsbreite der Mastzellaktivierung ziemlich eindeutig ist.
Solche Haltungen erschweren es Patienten natürlich enorm, ernst genommen zu werden und eine korrekte Diagnose zu erhalten. Es gibt jedoch durchaus Praxen, die bereit sind, sich in das Thema einzuarbeiten und ihre Abläufe entsprechend anzupassen. Wenn das geschieht, kann MCAS auch gut hausärztlich begleitet werden – ganz ohne Spezialklinik.
Ein weiteres Hindernis ist, dass es in Deutschland bisher keinen offiziellen Diagnoseschlüssel für MCAS gibt. In den USA existiert dieser schon seit Längerem, hierzulande fehlt er jedoch noch. Das macht auch die Abrechnung über die Krankenkassen schwierig. Wir bemühen uns zwar immer wieder darum, aber auch in diesem Jahr war es leider wieder erfolglos. Deshalb ist es schwierig, einfach zu einem Hausarzt zu gehen und zu sagen: "Ich glaube, ich habe MCAS – bitte untersuche das." Viele Ärzte kennen die Erkrankung, wie schon gesagt, gar nicht oder nur oberflächlich.
Zudem sind sie verpflichtet, zuerst alle anderen möglichen Ursachen abzuklären – sie dürfen sich nicht sofort nur auf MCAS konzentrieren. Da entstehen oft Missverständnisse zwischen der Erwartung der Patienten und der Arbeitsweise der Ärzte. Natürlich gibt es auch Ärzte, die sich auf MCAS spezialisiert haben. In Deutschland sind es einige und auf meiner Website habe ich eine Liste mit Adressen zusammengestellt. Das Problem ist jedoch, dass die Nachfrage sehr hoch ist und die Praxen und Kliniken, die MCAS behandeln, regelrecht überrannt sind. In meiner Beratung berichten mir viele Menschen, dass sie seit Jahren auf einer Warteliste stehen, ohne dass sich etwas tut. Manche Praxen nehmen sogar gar keine neuen Patienten mehr auf.
Ein Grund dafür ist der hohe zeitliche Aufwand: Sowohl die Diagnostik als auch die Behandlung von MCAS sind sehr komplex. Im Kassensystem ist das nur schwer abzubilden, weshalb die Versorgung oft über Privatärzte erfolgt. Das macht die Behandlung für Betroffene leider teuer und erschwert den Zugang zusätzlich.
Ein weiteres Hindernis ist, dass es in Deutschland bisher keinen offiziellen Diagnoseschlüssel für MCAS gibt.
Dr. Kreddig: Wenn all diese Hürden überwunden sind und es tatsächlich zur Diagnostik kommt, gibt es verschiedene Wege. Am Anfang steht immer die Anamnese, also das ausführliche Gespräch über Symptome, Verlauf und Krankengeschichte. Wenn jemand Erfahrung mit MCAS hat, können schon am klinischen Bild gewisse Muster erkannt werden, die den Verdacht bestätigen. Anschließend können bestimmte Botenstoffe gemessen werden, beispielsweise im Blut, im Urin oder in Gewebeproben (Biopsien).
Wie ich bereits erwähnt habe, produzieren Mastzellen über 1.000 verschiedene Botenstoffe. Das Problem ist jedoch, dass sie diese nicht alle gleichzeitig ausschütten und es keinen "einen" spezifischen Marker gibt, der bei MCAS immer erhöht ist. Zwar lassen sich viele dieser Botenstoffe in wissenschaftlichen Labors nachweisen, in der Praxis steht uns jedoch nur eine kleine Auswahl zur Verfügung. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele Fälle sich schon mit diesen wenigen Parametern identifizieren lassen.
Zu den messbaren Stoffen gehören unter anderem:
Bei der Diagnostik spielen neben dem klinischen Bild vor allem Blut- und Urinuntersuchungen eine Rolle. Bei Urinuntersuchungen werden unter anderem die Abbauprodukte bestimmter Botenstoffe gemessen. Die Verfahren an sich sind nicht kompliziert, es gibt jedoch ein paar wichtige Punkte zu beachten: Einige dieser Stoffe sind sehr flüchtig. Deshalb müssen die Proben gut gekühlt werden und teilweise sogar direkt nach der Entnahme gekühlt und dann gekühlt zentrifugiert werden. Nicht jedes Labor ist dazu in der Lage.
Ein weiteres Problem ist der richtige Zeitpunkt der Probenentnahme. Die Botenstoffe aus den Mastzellen sind vor allem dann erhöht, wenn die Mastzellen aktiv sind, also während einer symptomatischen Phase. Leider lässt sich das oft schwer planen, da Arzttermine meist lange im Voraus festgelegt werden. Wenn jemand keine Symptome hat, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Werte auffällig sind. Es wäre jedoch fahrlässig, gezielt einen Krankheitsschub zu provozieren, insbesondere bei Menschen, die schon einmal einen allergischen Schock hatten. Deshalb sollte man keine künstliche Provokation versuchen, und schon gar nicht zu Hause im Alleingang.
Grundsätzlich gilt jedoch schon: Es ist sinnvoller, während einer symptomreichen Phase zu testenals in beschwerdefreien Zeiten.
Die Untersuchungen von Blut und Urin sind also der erste Schritt, da sie vergleichsweise einfach und wenig belastend sind. Zusätzlich kann man im Rahmen einer Darmspiegelung auch Gewebeproben (Biopsien) entnehmen und die Mastzellen genauer untersuchen. Je nach Ergebnis können daraus weitere Erkenntnisse abgeleitet werden.
Wenn bereits eine Darmspiegelung durchgeführt wurde, lohnt es sich, in der Vergangenheit zu stöbern: In der Regel werden die entnommenen Biopsien über längere Zeit in der Pathologie aufbewahrt. Eine neue Spiegelung ist also nicht zwangsläufig notwendig. Oft reicht es, beim behandelnden Arzt oder in der Praxis nachzufragen, in welcher Pathologie die Proben gelagert wurden. Sind diese noch vorhanden, kann man mit dem Arzt besprechen, ob eine erneute Analyse in Bezug auf die Mastzellen veranlasst werden kann. Selbstverständlich muss diese von jemandem durchgeführt werden, der sich damit auskennt, denn nicht jede Praxis oder jedes Labor verfügt über die nötige Erfahrung.
Zusammengefasst heißt das: Erst eine gründliche Anamnese, dann Blut- und Urinuntersuchungen und bei Bedarf eine Analyse von Gewebeproben. Wichtig ist: Ein positiver Befund ist immer nur ein Hinweis, der im Gesamtzusammenhang gesehen werden muss. Es gibt keinen einzelnen Wert, anhand dessen man eindeutig sagen könnte: "Wenn du diesen Wert hast, dann hast du die Erkrankung." So einfach ist das nicht. Umgekehrt kann man MCAS anhand eines einzelnen, negativen Wertes aber auch nicht ausschließen. Entscheidend ist das Gesamtbild – manchmal handelt es sich sogar um eine Ausschlussdiagnose.
Denn, wie schon erwähnt, gibt es auch sekundäre Formen, bei denen etwas anderes zugrunde liegt. Mastzellen können zum Beispiel einfach reagieren, etwa im Rahmen einer sogenannten reaktiven Mastzellhyperplasie. Dabei sind vermehrt Mastzellen in einem bestimmten Gewebe aktiv, da sie dort etwas regulieren oder bekämpfen wollen. Das kann zwar ein Hinweis darauf sein, dass im Körper etwas nicht stimmt, bedeutet aber nicht automatisch, dass eine Mastozytose oder MCAS vorliegt. Kurz gesagt: Es geht immer darum, das gesamte klinische Bild zu betrachten und nicht einzelne Werte isoliert zu bewerten.
Dr. Kreddig: Tryptase ist aus mehreren Gründen ein wichtiger Marker in der Diagnostik des Mastzellaktivierungssyndroms. Zum einen ist Tryptase ein sehr spezifischer Marker für Mastzellen. Zwar produzieren Mastzellen viele verschiedene Botenstoffe, doch viele dieser Substanzen können auch von anderen Zellen stammen. Wenn also ein bestimmter Botenstoff im Blut erhöht ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, dass er ausschließlich aus Mastzellen stammt. Zwar setzen Mastzellen diese Stoffe oft in größeren Mengen frei als andere Zellen, die Aussagekraft bleibt jedoch eingeschränkt.
Anders bei der Tryptase: Sie ist deutlich spezifischer für Mastzellen. Wird ein erhöhter Tryptase-Wert gemessen, spricht das klar für ein Mastzell-Geschehen. Welche Art von Mastzellerkrankung vorliegt, muss dann durch weitere Diagnostik geklärt werden und hängt unter anderem davon ab, wie stark der Wert erhöht ist.
Bei einer Mastozytose, also einer krankhaften Vermehrung von Mastzellen, ist der Tryptase-Wert typischerweise stark erhöht. Moderate Erhöhungen hingegen können auf eine andere Erkrankung hindeuten: die hereditäre Alpha-Tryptasämie. Diese genetisch bedingte Veränderung ist erst seit etwa zehn Jahren bekannt und betrifft schätzungsweise 4 bis 6% der Bevölkerung. Auch bei dieser Erkrankung ist der Tryptase-Wert dauerhaft erhöht, aber zumeist geringer als bei der Mastozytose.
In beiden Fällen gilt: Ein erhöhter Tryptase-Wert zeigt an, dass mit den Mastzellen etwas nicht stimmt. Die genaue Ursache muss dann mit weiteren Untersuchungen geklärt werden.
Bei der Diagnostik des MCAS gibt es zwei Ansätze:
In der Praxis ist dieser Vergleich leider oft schwierig umzusetzen. Nur wenige Patienten schaffen es, die Blutabnahmen genau in den gewünschten Zeitfenstern durchführen zu lassen, also in einer wirklich ruhigen bzw. akuten Phase. Bei den meisten Menschen mit einem Verdacht auf MCAS zeigt sich diese Tryptase-Erhöhung außerdem nicht. Die Forscher, die eine ereignisbezogene Tryptasemessung für besonders wichtig halten, sagen deshalb, dass MCAS eigentlich selten ist. Zwar komme eine Mastzellaktivierung an sich häufiger vor, MCAS im engeren Sinn, also laut Definition mit einer Tryptase-Erhöhung nach einem Auslöser, sei jedoch eher selten.
Andere Forscher sehen das anders. Sie sind der Meinung, dass die Tryptase kein entscheidendes Kriterium für MCAS ist. Für sie zählen vielmehr verschiedene erhöhte Botenstoffe und das klinische Gesamtbild. Sie sehen das MCAS weiter gefasst und erleben in der Praxis, dass viele Patienten mit berechtigtem Verdacht auf MCAS keine erhöhte Tryptase zeigen. Das sorgt für Spannungen, denn die Tryptase ist in der ärztlichen Diagnostik sehr beliebt. Sie gilt als spezifischer Marker: Wenn sie erhöht ist, kann man sicher sagen, dass etwas mit den Mastzellen nicht stimmt.
Das Problem ist jedoch: Wenn sie nicht erhöht ist, bedeutet das nicht automatisch, dass kein MCAS vorliegt. Trotzdem wird genau das in der Praxis oft so interpretiert – fälschlicherweise. Und das ist ein Punkt, den ich besonders wichtig finde: Die MCAS-Diagnostik ist komplex. Ein positiver Laborwert kann ein Hinweis sein, ein negativer schließt MCAS jedoch nicht aus. Es ist aber auch klar: Wenn man immer wieder korrekt misst, verschiedene mastzellgerichtete Behandlungen ausprobiert und doch nichts anschlägt, dann muss man irgendwann sagen: "Vielleicht ist es das doch nicht."
Interessanterweise zählt bei MCAS sogar die Wirksamkeit einer Behandlung zu den Diagnosekriterien. Das ist eher ungewöhnlich, denn normalerweise kommt erst die Diagnose und dann die Therapie. Hier ist es umgekehrt: Wenn eine Behandlung hilft, ist das ein starkes Indiz für MCAS. Gleichzeitig gilt aber auch: Wenn mehrere Behandlungsversuche erfolglos bleiben und sich über längere Zeit keine Besserung zeigt, dann sollte die Diagnose noch einmal hinterfragt werden.
Wichtig ist: Kein Laborwert der Welt kann die klinische Geschichte eines Menschen "einfach wegwischen". Wenn das klinische Gesamtbild zu MCAS passt, muss man das ernst nehmen, auch wenn einzelne Marker wie Tryptase oder Histamin nicht erhöht sind. Immerhin gibt es über 1.000 verschiedene Botenstoffe – wer sagt denn, dass nicht einer davon betroffen ist, den wir einfach (noch) nicht messen können? Für mich ist es erstaunlich, wie viele offene Fragen es noch gibt, aber auch, wie viel wir bereits wissen und wie vielen Menschen wir trotz aller Unsicherheiten bereits helfen konnten.
Ein positiver Laborwert kann ein Hinweis sein, ein negativer schließt MCAS jedoch nicht aus.
Dr. Kreddig: Die Behandlung ist wirklich komplex und sehr individuell. Deshalb kann ich hier auch nur einige grundsätzliche Dinge sagen. Vielleicht beginnen wir mit der medikamentösen Behandlung. Sie ist nicht für jeden zwingend erforderlich, aber in der Regel ein sehr wichtiges Werkzeug – für einige Betroffene sogar unverzichtbar, zumindest phasenweise. Manchmal schaffen Medikamente überhaupt erst die nötige Ruhe im System, damit andere Maßnahmen greifen können.
Denn der Lebensstil spielt eine ganz zentrale Rolle. Wenn man mich jetzt zwingen würde, mich für eines zu entscheiden – entweder nur Medikamente ohne Lebensstiländerung oder nur Lebensstiländerung ohne Medikamente –, würde ich mich immer für die Lebensstiländerung entscheiden. Aber dazu kommen wir gleich noch.
Zunächst einmal zurück zu den Medikamenten. Mittlerweile sind uns viele mastzellabhängige Erkrankungen bekannt, zum Beispiel Asthma, Urtikaria, Allergien oder auch Reizdarm. Schon bevor MCAS überhaupt im Raum stand, hatten wir eine breite Palette an Möglichkeiten, weil es aus verwandten Krankheitsbildern bereits viel Wissen gibt. In der medikamentösen Behandlung unterscheiden wir grundsätzlich zwischen einer Basistherapie und weiteren Zusatzoptionen. Über Letztere möchte ich nicht so viel sagen, denn das ist nicht mein Schwerpunkt als Medizinpsychologin. Ich will nur betonen: Es gibt sie.
Die Basistherapie kann ich hingegen kurz erklären. Sie besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren und Vitamin C. Eine gute Nährstoffversorgung ist bei MCAS ohnehin sehr wichtig. Vitamin C unterstützt zusätzlich den Abbau von Histamin, einem zentralen Botenstoff, auf den wir gleich noch genauer eingehen werden. Deshalb gehört es zur Basistherapie dazu.
Fangen wir mit den Antihistaminika an. Diese sind vor allem aus der Allergiebehandlung bekannt. Sie sind so relevant, weil Histamin einer der wichtigsten Botenstoffe der Mastzellen ist. Für Histamin gibt es im Körper vier verschiedene Rezeptoren. Die heute leicht verfügbaren Medikamente wirken auf zwei davon, den H1- und den H2-Rezeptor:
Wichtig zur Wirkung von Antihistaminika allgemein: Antihistaminika blockieren lediglich die Wirkung von Histamin an den Rezeptoren, sie bauen das Histamin im Körper aber nicht ab. Das heißt, die Symptome können gelindert werden, die Ursache bleibt jedoch bestehen. Was beim Histaminabbau helfen kann, ist unter anderem Vitamin C, das auch zur Basistherapie gehört.
Eine dritte Gruppe von Medikamenten sind die sogenannten Mastzellstabilisatoren. Dazu gehören beispielsweise Cromoglicinsäure oder Ketotifen. Ketotifen hat eine Doppelfunktion, denn es ist sowohl ein H1-Antihistaminikum als auch ein Mastzellstabilisator.
Ich beginne mit der Cromoglicinsäure: Dieses Medikament ist in vielen Darreichungsformen erhältlich, zum Beispiel als Augentropfen, Nasenspray oder Tabletten. Der Grund dafür ist, dass der Körper es nur schlecht aufnimmt. Deshalb sollte man es möglichst symptombezogen anwenden: Bei juckenden Augen als Augentropfen, bei Beschwerden in der Nase als Nasenspray und bei Beschwerden im Magen-Darm-Trakt als Tabletten.
Trotz der schlechten Aufnahmefähigkeit weiß man inzwischen, dass Cromoglicinsäure manchmal auch systemische Effekte haben kann, also über den Ort der Anwendung hinaus wirkt. So kann es beispielsweise sein, dass sich durch die Einnahme von Tabletten auch andere Beschwerden bessern. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Mastzellen im Magen Beschwerden an anderen Stellen im Körper auslösen können. Werden diese Mastzellen beruhigt, verbessert sich oft auch das Gesamtbild.
Ein weiteres Medikament aus dieser Gruppe ist Ketotifen: Es braucht allerdings etwas länger, bis es wirkt: Etwa acht bis zwölf Wochen, bis ein ausreichender Wirkspiegel erreicht ist. Auch beim Absetzen sollte man vorsichtig sein und das Medikament langsam ausschleichen, statt es abrupt abzusetzen.
Wichtig bei allen Medikamenten gegen Mastzellaktivierung: Leider ist oft nicht vorhersehbar, wem welches Medikament wirklich hilft. Das muss individuell ausprobiert werden.
In der Regel wollen wir mit möglichst wenigen, aber wirkungsvollen Medikamenten arbeiten. Für Antihistaminika sagt man, dass ein zweiwöchiger Testzeitraum sinnvoll ist. Ansonsten ist häufig ist ein Zeitraum von vier Wochen sinnvoll, um Medikamente oder auch begleitende Maßnahmen wie Ernährungsumstellungen realistisch einzuschätzen.
Dr. Kreddig: Es kann vorkommen, dass bestimmte Medikamente nicht gut vertragen werden – nicht wegen des Wirkstoffs selbst, sondern wegen der enthaltenen Hilfs-, Füll- oder Farbstoffe. Das betrifft besonders häufig Standardrezepturen aus der Apotheke. In solchen Fällen lohnt es sich, nach Alternativen zu suchen. Wenn jemand wiederholt Probleme mit bestimmten Medikamenten hat, ist es sinnvoll, die Inhaltsstofflisten zu vergleichen. Manchmal ist ein ganz bestimmter Stoff, der in mehreren Präparaten enthalten ist, der Grund für die Unverträglichkeit – nicht das Medikament an sich.
Eine mögliche Lösung bieten bestimmte spezialisierte Apotheken an. Diese stellen sogenannte Reinstoffpräparate her. Dabei werden Hilfs-, Farb- und Füllstoffe weggelassen, sodass der Wirkstoff möglichst pur verabreicht wird. Diese Medikamente sind zwar teurer und natürlich weiterhin rezeptpflichtig, wenn sie verschreibungspflichtig sind, können aber für Menschen mit Unverträglichkeiten eine gute Alternative sein.
Dr. Kreddig: Aus meiner Sicht ist das sogar der wichtigere Ansatz, noch vor jeder Medikation. Der erste Schritt ist immer, Trigger zu identifizieren und zu vermeiden. Dabei ist es wichtig, zwischen Auslöser und Trigger zu unterscheiden. Auslöser sind meist die initialen Ereignisse, die eine Erkrankung überhaupt erst in Gang setzen. Trigger hingegen sind die Faktoren, die akute Symptome auslösen. Ein Beispiel: Wenn jemand Milchprodukte nicht verträgt, sei es wegen einer Allergie oder Unverträglichkeit, dann sind Milchprodukte der Trigger.
Es gibt eine große Bandbreite an möglichen Triggern:
Es ist also wichtig, sehr genau hinzuschauen, was individuell als Auslöser bzw. als Trigger wirkt – das kann sehr unterschiedlich sein. So reagieren manche Menschen empfindlich auf eine einzige Substanz, während andere auf viele verschiedene Reize gleichzeitig reagieren. Wenn du das erkannt hast, versuche, diesen Trigger möglichst zu vermeiden. Aber vermeide nicht zu viel! Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Alles wegzulassen, was potenziell problematisch sein könnte, klingt zwar nach einem sicheren Weg, birgt aber die große Gefahr von Nährstoffmangel. Und der kann die Situation verschlechtern statt verbessern.
Gerade bei MCAS beobachten wir häufig, dass Menschen anfangs extrem viele Lebensmittel meiden, entweder, weil sie auf bestimmten Listen stehen, oder weil sie in Foren lesen, dass man sich davon fernhalten sollte. Das Problem ist jedoch, dass jeder Mensch anders reagiert. Was für die eine Person ein klarer Auslöser ist, kann für jemand anderen völlig unproblematisch sein. Wenn man anfangs viele Dinge weglässt, geht es vielen zunächst besser. Das liegt meist daran, dass dabei zufällig auch echte Trigger vermieden werden. Aber nach einer Weile verschlechtert sich der Zustand oft wieder und viele denken dann: "Dann muss ich wohl noch mehr weglassen."
Was dabei häufig übersehen wird: Wenn man dauerhaft zu viele Dinge meidet, fehlen dem Körper irgendwann wichtige Nährstoffe. Und genau diese braucht er, um Prozesse wie den Histaminabbau aufrechtzuerhalten. Dieser funktioniert nur dann gut, wenn bestimmte Nährstoffe ausreichend vorhanden sind. Fehlen sie, wird es schwierig. Deshalb ist es so wichtig, bei der Triggervermeidung immer auch auf eine gute Nährstoffversorgung zu achten.
Vor allem Menschen mit MCAS bringen oft genetische Besonderheiten mit, zum Beispiel bei der Entgiftung oder dem Stoffwechsel. Gerade diese Prozesse benötigen bestimmte Nährstoffe. Wenn diese fehlen, gerät das gesamte System aus dem Gleichgewicht. Und genau das wiederum kann die Mastzellen aktivieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Solange Trigger vorhanden sind, kann kein Medikament seine volle Wirkung entfalten. Wenn du zum Beispiel eine Allergie hast und ständig mit dem Allergen in Kontakt kommst, kann auch ein Antihistaminikum nur begrenzt helfen. Vermeidest du den Auslöser hingegen konsequent, brauchst du das Medikament vielleicht gar nicht mehr – zumindest nicht für diesen einen Reiz. Natürlich spielen auch der Lebensstil, der Umgang mit Stress, Schlaf und Bewegung eine Rolle. Der erste und wichtigste Schritt ist jedoch, zu verstehen, was den Körper triggert, und gezielt, aber nicht übertrieben zu reagieren.
Viele Menschen mit Mastozytose oder MCAS – vor allem diejenigen, die schon länger betroffen sind und noch keinen guten Umgang mit der Erkrankung gefunden haben – ernähren sich irgendwann nur noch von wenigen Lebensmitteln. Ich verstehe, wie es dazu kommt. Aber ich muss auch ganz klar sagen: Das ist nicht der Weg zurück zur Gesundheit. Es ist wichtig, gezielt daran zu arbeiten, die Toleranz gegenüber verschiedenen Nahrungsmitteln wieder aufzubauen. Das allein ist ein großes Thema für sich, das wir hier gar nicht in aller Tiefe behandeln können, aber es ist trotzdem zentral. Der Weg führt über eine nährstoffreiche und schadstoffarme Ernährung. Beides ist entscheidend.
Solange Trigger vorhanden sind, kann kein Medikament seine volle Wirkung entfalten.
Dr. Kreddig: In unserer modernen Welt sind wir von Schadstoffen umgeben. Was chronische Erkrankungen betrifft, wissen wir eigentlich schon lange, dass sie oft mit Schadstoffbelastung zusammenhängen. Ich habe neulich ein Titelbild des SPIEGEL aus dem Jahr 1974 gesehen. Damals ging es um Allergien, die noch als Modediagnose belächelt wurden – ähnlich wie MCAS heute manchmal. Schon damals wurde die zunehmende Schadstoffbelastung der Umwelt als mögliche Ursache für die steigenden Allergiezahlen diskutiert. Diese Erkenntnis hat sich bis heute gehalten.
Insbesondere dann, wenn der Körper Schadstoffe nicht richtig abbauen und entgiften kann, können diese sehr schädlich werden – schließlich heißen sie nicht umsonst Schadstoffe. In diesem Zusammenhang gibt es ein wichtiges Konzept: TILT (Toxicant-Induced Loss of Tolerance), also der schadstoffbedingte Verlust der Toleranz. TILT beschreibt, dass eine akute oder chronische, niedrige Belastung mit Schadstoffen dazu führen kann, dass der Körper plötzlich auf viele andere Dinge überreagiert, selbst wenn diese ursprünglich gar nicht schädlich waren. Ursprünglich stammt dieses Konzept aus der Forschung zur multiplen Chemikaliensensitivität, wurde aber schnell auch mit Mastzellen in Verbindung gebracht und ist damit ein zentrales Thema bei MCAS.
Schadstoffarm zu leben ist also ein großes Thema. Und das betrifft alle Lebensbereiche: die Ernährung – Stichworte sind hier Pestizide, Konservierungsstoffe und hochverarbeitete Lebensmittel – genauso wie Kosmetik oder Reinigungsmittel. Wenn man sich die Inhaltsstoffe vieler Produkte anschaut, kann einem wirklich anders werden. Naturkosmetik ist in der Regel die bessere Wahl, aber auch da lohnt sich ein genauer Blick, denn sie ist nicht immer automatisch zu 100% unbedenklich.
Ein wichtiger Aspekt ist beispielsweise auch die Belastung durch Baugifte. Gerade in älteren Bürogebäuden findet man mitunter noch Asbest, PCB oder alte Holzschutzmittel wie Lindan. Auch andere flüchtige Stoffe in der Raumluft können eine Rolle spielen. Natürlich ist nicht jeder Mensch in gleichem Maß betroffen, aber all diese Faktoren tragen zur Gesamtbelastung des Körpers bei.
Dr. Kreddig: Man sollte dem eigenen Stresslevel viel mehr Beachtung schenken. Wie gehe ich grundsätzlich mit mir selbst um? Wie sprechen andere mit mir? Und vor allem: Wie spreche ich mit mir selbst? Es gibt Studien, die zeigen, dass negative Selbstgespräche Stress im Körper auslösen können. Zwar gibt es dazu keine spezifischen Daten für MCAS, aber bei Erkrankungen wie ME/CFS (chronisches Erschöpfungssyndrom), die sich in einigen Aspekten mit Mastzellerkrankungen überlappen, zeigt sich: Wer sehr negativ mit sich selbst spricht, empfindet die Krankheit oft als schwerer. Das bedeutet natürlich nicht, dass dies die alleinige Ursache ist, aber es ist ein Puzzlestück im Gesamtbild.
Viele Menschen sind sehr hart zu sich selbst – und der Körper macht keinen Unterschied, ob der Stress von außen oder von innen kommt. Eine gute Faustregel ist deshalb: Würde ich mit einer guten Freundin so sprechen, wie ich mit mir selbst spreche? Wenn nicht, lohnt es sich, darüber nachzudenken.
Auch andere psychische Belastungen spielen eine Rolle, beispielsweise wenn man das Gefühl hat, nur nach den Erwartungen anderer zu leben. All das passiert nicht im luftleeren Raum: Diese inneren Konflikte und der dadurch ausgelöste Stress wirken sich direkt auf den Körper aus. Und genau dieser Stress kann die Mastzellen aktivieren.
Mastzellen und Stress stehen in einer Art Teufelskreis, denn sie können sich gegenseitig hochschaukeln. Das ist natürlich ungünstig, da es in eine Abwärtsspirale führen kann. Es geht aber auch in die andere Richtung: Wenn man Schritt für Schritt an den richtigen Stellschrauben dreht, kann daraus eine Aufwärtsspirale entstehen.
Genau das ist auch der Grund, warum sich viele Menschen anfangs überfordert fühlen, wenn sie die Diagnose MCAS erhalten – oder den Verdacht bekommen. Es fühlt sich fast so an, als müsste man alles gleichzeitig machen. Die einen empfehlen dies, die anderen das. Und dann kommt auch noch das Thema histaminarme Ernährung hinzu.
Wichtig ist zu verstehen: Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es geht darum, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Es ist sogar sinnvoll, nicht alles gleichzeitig zu verändern. Denn wenn man fünf Dinge auf einmal ausprobiert und es einem besser geht, weiß man am Ende nicht, was wirklich geholfen hat. Deshalb ist ein systematisches Vorgehen ratsam: Erst eine Sache ausprobieren und schauen, ob sie hilft. Wenn nicht, kann man sie wieder weglassen. Das gilt für alles, egal, ob es um Medikamente, Ernährung oder Lebensstiländerungen geht. Wenn es nicht hilft, ist es vermutlich nicht das Richtige.
Mastzellen und Stress stehen in einer Art Teufelskreis, denn sie können sich gegenseitig hochschaukeln.
Dr. Kreddig: Grundsätzlich gibt es zwei große Bereiche, die sich teilweise überschneiden: Zum einen sind wir wieder bei den Triggern, über die wir ja vorhin schon gesprochen haben. Für viele Menschen sind bestimmte Lebensmittel ein Auslöser. Dafür gibt es plausible Gründe, die hier aber zu weit führen würden. Wichtig ist: Ernährung kann ein Trigger sein, muss es aber nicht. Ich habe auch Klienten, die sagen: "Ich habe schon so viel mit Ernährung ausprobiert, aber ich merke da keinen Zusammenhang. Das wird wohl etwas anderes sein." Und das kann absolut zutreffen. Wir haben auch über Schadstoffe, Schimmel und ähnliche Dinge gesprochen. All das kann genauso gut eine Rolle spielen. Nur weil jemand keine offensichtlichen Verdauungs- oder Ernährungsprobleme hat, heißt das noch lange nicht, dass man MCAS ausschließen kann.
Gerade im Bereich Ernährung ist es wichtig, systematisch vorzugehen, vor allem, wenn man seine Auslöser noch nicht kennt. Ein Ernährungstagebuch ist dabei extrem hilfreich: Was habe ich gegessen und getrunken und wie ging es mir danach? Wichtig zu wissen ist: Zwischen einem Auslöser und der körperlichen Reaktion können bis zu drei oder vier Tage liegen. Manchmal kommt die Reaktion sofort, aber mitunter ist die Verzögerung so groß, dass man den Zusammenhang ohne Tagebuch nicht erkennt. Manche wollen sich alles im Kopf merken, aber das reicht leider meistens nicht. Ich weiß, ein Tagebuch zu führen, ist lästig, aber es lohnt sich wirklich!
Wenn es einem später besser geht und man seine Auslöser besser kennt, kann man das Tagebuch weglassen oder nur in schwierigen Phasen wieder hervorholen. Durch die Dokumentation können Muster erkannt werden. Zum Beispiel: Wenn dir immer wieder nach dem Verzehr von Hühnerei schlecht wird, lohnt es sich, dies genauer zu untersuchen. Vielleicht reagierst du darauf, denn Hühnerei zählt zu den 14 in Deutschland kennzeichnungspflichtigen Hauptallergenen.
Je genauer die Dokumentation, desto besser. Aber auch hier gilt: Besser einfach als gar nicht. Ich sage den Leuten immer: Wenn euch ein klassisches Tagebuch zu aufwändig ist, macht ein Foto von euren Mahlzeiten. Dann ist das Datum schon automatisch dabei. Ihr könnt auch eine Voice-Notes-App benutzen und kurz reinsprechen, was ihr gegessen habt und wie es euch geht. Oft können die Apps sogar automatisch Stichpunkte daraus machen. Es gibt einfache Wege, und jeder kleine Schritt hilft.
Ein wichtiger Teil ist also, die Trigger herauszufinden. Dafür ist auch ein bisschen Detektivarbeit nötig. Im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und ohne sich zu gefährden, sollte man ausprobieren, was man verträgt und was nicht. Manche Lebensmittel werden zum Beispiel im rohen Zustand nicht vertragen, gekocht aber schon. Das kann z.B. bei Kreuzallergien der Fall sein. Wer etwa eine Birkenpollenallergie hat, reagiert häufig auch auf bestimmte Obst- oder Gemüsesorten. Roh geht es nicht, gekocht aber vielleicht. Es gibt also viele kleine Regeln und man muss sich Stück für Stück herantasten.
Ein gutes Ernährungstagebuch ist in diesem Prozess oft wertvoller als jede Laboruntersuchung. Natürlich sind auch Allergietests wichtig. Aber man sollte wissen: Ein positiver Test allein bedeutet noch keine tatsächliche Allergie. Erst wenn beim Kontakt mit dem Allergen auch wirklich Symptome auftreten, spricht man von einer "echten" Allergie. In allen anderen Fällen handelt es sich nur um eine sogenannte Sensibilisierung und das Lebensmittel muss nicht automatisch gemieden werden.
Hier kommt wieder das Ernährungstagebuch ins Spiel. Wenn du zum Beispiel weißt, dass du auf Senf reagierst – Senf gehört übrigens zu den 14 Hauptallergenen – und du im Tagebuch immer wieder Symptome nach dem Verzehr festhältst, ergibt sich daraus ein klareres Bild und du kannst die Testergebnisse besser einordnen. So entsteht eine sinnvolle Gesamtdiagnostik.
Dr. Kreddig: Eine histaminarme Ernährung hilft vielen, aber eben nicht allen. Vor allem, wenn jemand am Anfang mit einer Mastzellaktivierung zu tun hat oder unter unklaren, diffusen Symptomen leidet, kann es sinnvoll sein, dies einfach mal auszuprobieren. Wenn die Beschwerden eher mild sind, reicht es oft schon aus, die "größten Histaminbomben" zu vermeiden. Dann muss man sich nicht ausschließlich auf streng histaminarme Lebensmittel beschränken. Auch hier gilt: individuell ausprobieren.
Gerade am Anfang sind Lebensmittellisten eine große Hilfe. Die wohl bekannteste und am häufigsten genutzte Liste stammt von der Schweizerischen Interessengemeinschaft Histaminintoleranz (SIGHI) und kann HIER nachgelesen werden. Damit kann man sich gut orientieren. Aber auch hier gilt: Diese Liste ist ein guter Startpunkt, aber kein starres Regelwerk. Mit der Zeit merkst du vielleicht, dass du Himbeeren doch gut verträgst oder auch eine kleine Menge Tomaten. Dann darfst du das natürlich auch so umsetzen.
Histamin ist ein spannendes Thema, das mit Allergien zusammenhängt. Eine klassische "Histaminallergie" gibt es jedoch nicht. Es ist vielmehr eine Frage der Dosis und der individuellen Verträglichkeit. Die sogenannte Histaminintoleranz ist bei MCAS zwar relevant, hängt aber mit vielen Faktoren zusammen. Vielleicht hast du schon einmal vom sogenannten "Histaminfass" gehört. Natürlich gibt es im Körper kein echtes Fass, das ist nur ein Sinnbild. Es verdeutlicht, wie viel Histamin der Körper gerade "verkraften" kann.
Man kann sich das wie folgt vorstellen: Jeder Mensch hat ein gewisses Fassungsvermögen für Histamin. Ist dieses Fass weitgehend leer, kann der Körper mehr Histamin aufnehmen, ohne dass es zu Beschwerden kommt – zumindest im Verhältnis zur persönlichen Toleranz. Manche Menschen vertragen relativ viel Histamin, während andere schon bei kleineren Mengen erste Symptome zeigen. Wichtig ist: Es geht dabei nicht um absolute Mengen, sondern immer um das individuelle Maß.
Ist das Histaminfass aber bereits gut gefüllt, kann schon eine kleine Menge zu viel sein – und das Fass läuft über. Dann treten die typischen Symptome einer Histaminintoleranz auf. Deshalb kann die Histaminverträglichkeit von Tag zu Tag unterschiedlich sein. Im Gegensatz zu anderen Unverträglichkeiten, etwa bei Gluten, Laktose oder Fruktose, ist Histamin besonders, weil wir nicht komplett darauf verzichten können. Der Körper produziert Histamin selbst, setzt es in bestimmten Situationen frei und ist auch darauf angewiesen. Eine vollständig histaminfreie Ernährung ist also nicht möglich, nur eine histaminarme.
Hinzu kommt, dass auch andere Faktoren den Histaminspiegel beeinflussen. So kann der Körper beispielsweise Histamin ausschütten, wenn er mit einem Allergen in Kontakt kommt – das Allergen selbst muss dabei gar nicht histaminreich sein. Ebenso können Stress oder eine Immunreaktion (z.B. bei Infekten) die Ausschüttung von Histamin erhöhen. Auch diese "inneren" Quellen tragen zur Ausschüttung von Histamin bei. An stressreichen Tagen oder bei Infekten kann es daher passieren, dass man über die Ernährung weniger zusätzliches Histamin verträgt als sonst.
Und dann gibt es noch einen zweiten wichtigen Punkt: Der Körper muss Histamin auch wieder abbauen, und zwar über zwei unterschiedliche Stoffwechselwege. Auch dieser Abbau kann aus verschiedenen Gründen gestört sein, beispielsweise durch Enzymmangel, bestimmte Medikamente oder andere Einflüsse. Der Abbau funktioniert also nicht immer gleich gut und auch das beeinflusst, wie viel Histamin man verträgt.
Wenn es um Histamin und Ernährung geht, gibt es im Grunde drei Wege, über die Histamin eine Rolle spielt:
Fazit: Eine Histaminintoleranz ist komplex, da sehr unterschiedliche Lebensmittel beteiligt sein können, ohne dass ein offensichtlicher Zusammenhang erkennbar ist. Was haben Tomaten mit Meeresfrüchten zu tun? Oder Alkohol mit Zitrusfrüchten? Genau das macht es so herausfordernd, typische Auslöser zu erkennen.
Ähnlich ist es bei anderen Stoffgruppen wie Oxalaten, Salicylaten oder Lektinen: Nicht immer ist der Zusammenhang direkt erkennbar, aber die Auswirkungen können spürbar sein. Der Histamingehalt in Lebensmitteln schwankt stark – mal ist er höher, mal niedriger – und genau das macht es so schwer, ein klares Muster zu erkennen. Eine histaminarme Ernährung kann vielen Menschen helfen, aber eben nicht allen. In der Beratung erlebe ich oft, dass Betroffene sagen: "Wenn ich mich histaminarm ernähre, wird es zumindest nicht schlimmer. Aber die Symptome gehen trotzdem nicht ganz weg." Das deutet darauf hin, dass noch weitere Faktoren im Spiel sind.
Zum einen könnten neben Histamin auch andere Botenstoffe eine Rolle spielen, was angesichts der Vielzahl der Botenstoffe im Körper durchaus wahrscheinlich ist. Andererseits könnte im Körper selbst eine Histaminquelle aktiv sein, zum Beispiel durch eine unerkannte oder bekannte Allergie, bei der der Kontakt mit dem Allergen weiterhin besteht. Das kann ein Grund sein, warum die Beschwerden trotz histaminarmer Ernährung nicht vollständig verschwinden.
Eine histaminarme Ernährung kann vielen Menschen helfen, aber eben nicht allen.
Dr. Kreddig: Weitere mögliche Einflussfaktoren sind das Darmmikrobiom und der Zustand der Darmschleimhaut. Beides spielt eine zentrale Rolle. Wenn man beginnt, sich antientzündlich zu ernähren, kann das einen sehr positiven Effekt auf den gesamten Körper haben, auch auf Histaminreaktionen. Denn eine entzündungshemmende Ernährung stärkt nicht nur das Immunsystem, sondern hat auch einen positiven Einfluss auf das Mikrobiom im Darm.
Es gibt übrigens auch natürliche Substanzen, die antihistaminerg wirken, nicht nur Medikamente. Ein bekanntes Beispiel ist Vitamin C. Sowohl der Darm selbst als auch das Mikrobiom müssen also gezielt mit Nährstoffen versorgt werden, um gut arbeiten zu können. Gerade bei einer Verschiebung des Mikrobioms (Dysbiose), also der Bakteriengemeinschaft in unserem Darm, wird deutlich, wie wichtig gezielte Unterstützung ist.
Wenn sich zu viele "schlechte" Bakterien ansiedeln und die "guten" in der Unterzahl sind, kann es sinnvoll sein, Letztere mit Ballaststoffen zu "füttern". Ballaststoffe lassen sich am besten über die Ernährung aufnehmen, denn das ist der Weg, den unser Körper kennt und gut verarbeitet. Es gibt aber auch viele ballaststoffreiche Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel Flohsamenschalen, Inulin, Akazienfasern, Chiasamen oder Leinsamen. Hier gilt: Ausprobieren, was einem bekommt. Inulin zum Beispiel führt bei manchen Menschen zu Blähungen, wobei die richtige Dosierung oft entscheidend ist.
Wichtig ist: Sowohl das Mikrobiom als auch der Darm selbst wollen "ernährt" und "gepflegt" werden. Gerade bei MCAS spielt der Darm eine zentrale Rolle. Er ist nämlich nicht nur ein Verdauungsorgan, sondern auch ein wichtiger Kontaktpunkt zwischen Innen- und Außenwelt. Er zieht sich wie ein Schlauch durch unseren Körper und genau dort sitzen viele Mastzellen, die als Wächter unseres Immunsystems fungieren.
Diese Zellen sind besonders an den Übergängen zur Außenwelt aktiv, also zum Beispiel auf der Haut, in den Atemwegen und im Darm. Deshalb ist die Ernährung für Menschen mit MCAS so relevant. Denn jedes Lebensmittel, das wir zu uns nehmen, interagiert potenziell mit diesen Mastzellen. Unsere heutige Lebensweise trägt leider nicht gerade zur Darmgesundheit bei.
Hochverarbeitete Lebensmittel, eine ballaststoffarme Ernährung und die ständige Reizüberflutung durch Werbung für ungesunde Produkte tragen zusätzlich dazu bei. Werbung für Äpfel sieht man selten, für Snacks, Fast Food oder Softdrinks dagegen ständig. Das Ergebnis ist, dass unsere Darmgesundheit oft nicht in dem Zustand ist, in dem sie sein sollte. Gerade bei MCAS kann das schwer wiegen.
Umso wichtiger ist es deshalb, die eigene Verdauung und Darmflora einmal bewusst unter die Lupe zu nehmen. Denn der Darm hat viele Aufgaben: Er nimmt Nährstoffe auf, scheidet Schadstoffe aus und ist ein zentraler Teil unseres Immunsystems. Darüber hinaus verfügt er sogar über ein eigenes Nervensystem. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse kommuniziert er mit unserem Gehirn. Kurz gesagt: Wer bei MCAS wirklich an der Ursache arbeiten will, kommt am Darm nicht vorbei.
Die Bedeutung des Darms kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Deshalb ist es so wichtig, auf eine darmgesunde Ernährung zu achten und regelmäßig zu überprüfen, wie es dem Darm geht. Ein Beispiel dafür ist der Histaminabbau. Ohne es zu kompliziert zu machen: Ein Teil dieses Abbaus findet im Darm statt. Einer der wichtigsten Abbauwege läuft über das Enzym Diaminoxidase (DAO), das einigen vielleicht bekannt ist, da es bei entsprechenden Beschwerden auch beim Hausarzt getestet wird.
Dieses Enzym hilft dabei, Histamin aus der Nahrung im Darm abzubauen. Es wird in der Darmschleimhaut gebildet. Ist diese Schleimhaut jedoch geschädigt, kann auch die DAO nicht in ausreichender Menge produziert werden. Deshalb ist es z.B. bei einer akuten Magen-Darm-Infektion nicht sinnvoll, die DAO zu messen, da die Werte dann fälschlicherweise zu niedrig ausfallen würden, weil die Schleimhaut gerade nicht richtig funktioniert.
Bei Histaminproblemen frage ich deshalb immer: Wie geht es deinem Darm? Gibt es Entzündungen? Andere Beschwerden? Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder ein Reizdarm können hier eine Rolle spielen. Auch das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Darmbakterien, ist ein Thema. Die Mikrobiomanalyse ist zwar umstritten. Viele Ärzte sagen, sie bringe nicht viel – und das stimmt zum Teil auch. Denn wir wissen heute einfach noch nicht genau, wie ein "perfektes" Mikrobiom aussieht. Außerdem zeigt eine solche Analyse immer nur einen kleinen Ausschnitt und ist lediglich eine Momentaufnahme. Trotzdem lassen sich damit oft klare Schieflagen erkennen. Es geht nicht darum, ausschließlich "gute" Bakterien zu haben und alle "schlechten" zu vermeiden, sondern darum, ob das Mikrobiom insgesamt ausgewogen ist und gesundheitsfördernd wirkt – zumindest soweit wir das heute beurteilen können.
Was wir in den Analysen immer wieder sehen: Wenn die Entzündungswerte im Körper sehr hoch sind oder die Werte darauf hindeuten, dass der Darm zu durchlässig ist, sodass nicht nur Nährstoffe, sondern auch Stoffe, die dort eigentlich nichts zu suchen haben, in den Blutkreislauf gelangen, dann wird das Immunsystem aktiv. Und das ist auf Dauer nicht gut. Natürlich bedeutet das nicht, dass Brotkrümel im Blut herumschwimmen, aber es können Stoffe durch die Darmwand gelangen, die dort nicht hingehören. Das sollte man ernst nehmen. Wenn solche Auffälligkeiten erkannt werden, sollte man aktiv werden und etwas dagegen tun.
Die Bedeutung des Darms kann man gar nicht hoch genug einschätzen.
Dr. Kreddig: Ein Thema, mit dem ich mich gelegentlich befasse, obwohl es nicht mein eigentlicher Schwerpunkt ist, ist das bakterielle Ungleichgewicht im Darm. Wenn jemand mit einer Mikrobiomanalyse zu mir kommt, fällt mir fast immer auf, dass viel zu wenige Laktobazillen und Bifidobakterien präsent sind. Das sind wichtige, gute Bakterien, die bei einigen Menschen sogar komplett fehlen. Natürlich kann man über Messmethoden und Laborauswertungen diskutieren, doch der Trend ist eindeutig: Es mangelt an guten Darmbakterien. Und das passt oft auch zu den Symptomen, die die Menschen haben. Solche Mikrobiomanalysen können also hilfreiche Hinweise liefern.
Natürlich sagen viele Ärzte – und das ist auch richtig – dass man ohnehin darmfreundlich leben sollte, ganz unabhängig von einer Analyse. Also ballaststoffreich essen, Zucker reduzieren, fermentierte Lebensmittel einbauen usw. Das alles stimmt. Aber aus meiner Sicht – und das kann ich als Psychologin gut nachvollziehen – ist es für viele Menschen eine starke Motivation, wenn sie schwarz auf weiß sehen: Da stimmt etwas nicht. Dann fällt es leichter, wirklich etwas zu verändern.
Denn ganz ehrlich: Unsere Gesellschaftbelohnt eine darmgesunde Ernährung nicht gerade. Überall locken Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Salz – am besten alles gleichzeitig. Und genau das ist leider nicht das, was unser Darm besonders gern mag.
An dieser Stelle möchte ich gerne noch auf die sogenannte gastrointestinal vermittelte Allergie hinweisen, die vielen gar nicht bekannt ist. Inzwischen weiß man, dass Allergien nicht den ganzen Körper betreffen müssen, sondern auch lokal auftreten können. Das kennen wir beispielsweise von der Nasenschleimhaut, aber eben auch vom Darm. Es gibt also Allergien, die ausschließlich im Darm ablaufen. Diese lassen sich im Blut nicht immer nachweisen. Ein negativer Bluttest bedeutet also nicht automatisch, dass keine Allergie vorliegt. Viele sagen dann: "Ich habe das Gefühl, ich reagiere auf bestimmte Nahrungsmittel immer wieder irgendwie allergisch, aber der Bluttest zeigt nichts."
Wichtig zu wissen: Bluttests testen oft nur bestimmte, häufige Allergien. Es gibt aber viele weitere mögliche Auslöser, die dort gar nicht abgedeckt sind. Und dann gibt es eben auch die erwähnten lokalen Allergien. Dabei ist das Immunglobulin E (IgE), das oft zur Allergiediagnose herangezogen wird, zum Beispiel nur im Darm erhöht, nicht unbedingt im Blut. Solche Fälle bezeichnet man als "seronegativ", also ohne Nachweis im Blut. Trotzdem sind die Reaktionen real. Das bedeutet: Wenn man das Allergen zu sich nimmt, reagiert der Darm darauf. Das kann nicht nur zu Verdauungsbeschwerden, sondern auch zu systemischen Symptomen wie beispielsweise Erschöpfung führen.
Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, den man im Hinterkopf behalten sollte. Solche lokalen Allergien kann man zwar untersuchen, doch das ist meist invasiv, nicht für jeden geeignet und auch nicht überall möglich. Da sind wir wieder beim guten alten Ernährungstagebuch, das tatsächlich der Königsweg ist. Es ist kostenlos, man kann es ganz einfach zu Hause führen und braucht dafür keinen Arzt. Man schreibt einfach auf, was man isst, und analysiert es dann im Nachhinein. Entscheidend ist dabei die Regelmäßigkeit: Einmal kann Zufall sein, aber wenn bestimmte Beschwerden immer wieder auftreten, erkennt man mit der Zeit ein Muster. So lässt sich beispielsweise herausfinden, ob man auf bestimmte Lebensmittel wie Sellerie, Senf oder Mais reagiert.
Dr. Kreddig: Das ist eine sehr gute Frage, die mir tatsächlich oft gestellt wird. Also: Kann man wieder ganz gesund werden? Meine Antwort lautet meist: Es kommt darauf an, was du unter "gesund" verstehst. Wenn du damit meinst, in dein altes Leben zurückzukehren, in dem du dich womöglich überfordert hast, zum Beispiel indem du drei Tage am Stück gefeiert, nur Fast Food gegessen und erwartet hast, dass dein Körper das alles klaglos mitmacht, dann wird das nach aktuellem Wissensstand eher schwierig.
Aber – und das ist wichtig: Die belastende Situation, in der du dich gerade befindest und die viele Menschen überhaupt erst dazu bringt, Hilfe zu suchen, muss nicht so bleiben. Nur weil es jetzt so ist, heißt das nicht, dass es für immer so bleiben muss.
Ja, es gibt Menschen, die aktuell noch bei jedem neuen Stressor Rückfälle erleben oder sich verschlechtern. Aber es gibt eben auch viele, die sich Stück für Stück herausgekämpft haben. Und genau das ist es: ein Marathon, kein Sprint. Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, der Körper, Psyche und Lebensstil berücksichtigt. Es gibt nicht die eine Tablette, die alle Probleme löst. Ja, ich verstehe den Reiz der "Wunderpille", aber so etwas gibt es nicht. Medikamente können zweifellos ein wichtiges und sinnvolles Werkzeug sein. Doch allein reichen sie oft nicht aus.
Wenn man mit MCAS wirklich wieder auf die Beine kommen will – und ich weiß das, weil ich diesen Weg selbst gegangen bin –, dann braucht es mehr. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht. Man muss sich darauf einstellen, dass es eine Weile dauert, bis man alles durchschaut hat. Aber es ist möglich. Wichtig ist, den Blick auf das Ganze zu richten: Was tut mir nicht gut? Welche Auslöser/Trigger habe ich? Wo gehe ich vielleicht schlecht mit meinem Körper um? Wo überlaste ich ihn? Und wo höre ich nicht richtig hin?
Es lohnt sich, wieder zu lernen, auf den eigenen Körper zu hören und seine Symptome nicht nur zu bekämpfen, sondern als Form der Kommunikation zu verstehen. Wenn man sich das einmal vorstellt: Der Körper kann nicht sprechen. Also teilt er sich über Symptome mit. Wir sollten versuchen, zu verstehen, was er uns damit sagen will. Was ist aus dem Gleichgewicht geraten? Wo braucht er Unterstützung?
Das Ziel ist, mit dem Körper zusammenzuarbeiten statt gegen ihn. Das ist jedoch nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was eine wirklich ganzheitliche, multifaktorielle Behandlung von MCAS ausmacht. Dabei werden nicht nur medizinische Aspekte wie Allergien oder Infekte betrachtet, sondern auch der Alltag: Stress, Lärm, ein ungesunder Lebensstil oder das Gefühl, nicht das Leben zu führen, das man sich wünscht. All das kann belasten und den Körper krank machen.
Was aus meiner Sicht oft zu kurz kommt, weil es meist von anderen Themen überlagert wird, sind schwierige oder ungesunde Beziehungen. Auch das kann ein wichtiger Faktor in der Behandlung sein! Vielleicht lebe ich in einem Umfeld, in dem ständig Streit herrscht oder in dem ich sogar Angst vor einem Familienmitglied haben muss. Solche belastenden Situationen wirken sich natürlich stark auf den Körper aus – und zwar negativ.
Es lohnt sich, wieder zu lernen, auf den eigenen Körper zu hören und seine Symptome nicht nur zu bekämpfen, sondern als Form der Kommunikation zu verstehen.
Dr. Kreddig: Die Arbeit mit dem Nervensystem ist kein Wundermittel, genauso wenig wie viele andere Ansätze auch, aber sie ist ein zentrales Puzzlestück in der Arbeit mit dem Mastzellaktivierungssyndrom. Was wir häufig beobachten, ist: Menschen bringen zwar genetische Voraussetzungen mit und sind auch körperlichen Stressoren ausgesetzt – MCAS ist eine körperliche Erkrankung und keine psychische –, aber der Körper gerät trotzdem dauerhaft in einen Zustand der Alarmbereitschaft.
Dabei spielt das Nervensystem eine zentrale Rolle. Es verbindet unsere Sinnesorgane (und damit unsere Wahrnehmung) mit dem zentralen Nervensystem und den Organen im Körper – alles ist miteinander vernetzt. Dieses System hat eigene Möglichkeiten, auf Umweltreize zu reagieren und sich anzupassen. Signalisiert das Nervensystem jedoch dauerhaft "Gefahr", also befindet es sich in einem Zustand ständiger Alarmstufe Rot, dann reagiert der Körper auf vieles übertrieben heftig. Genau das sehen wir immer wieder. Deshalb ist es wichtig, im Rahmen des Toleranzaufbaus auch mit dieser Alarmreaktion zu arbeiten, also mit dem inneren Gefühl von Dauerstress und Bedrohung.
Und genau hier setzt die Arbeit mit dem Nervensystem an. Sie ist ein ganz wesentlicher Bestandteil und darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Manchmal hört man Aussagen wie: "Das kann doch nicht das Nervensystem sein." Doch, genau das kann es. In der Allergieforschung gibt es schon seit sehr langer Zeit Studien, und zwar an den unterschiedlichsten Lebewesen: an Menschen, an Tieren und sogar an Schnecken. Und diese Forschung zeigt eindeutig: Körper können Assoziationen lernen, und solche Lernprozesse spielen eine große Rolle.
Ein Beispiel: Bei Allergikern löst das Allergen eine Reaktion aus – im harmlosen Fall eine leichte, im schlimmsten Fall einen allergischen Schock. Der Körper kann jedoch auch lernen, andere Reize, also Dinge, die gar nicht das Allergen selbst sind, aber damit irgendwie verknüpft wurden, mit der gleichen Reaktion zu beantworten. Das bedeutet, dass es selbst in Abwesenheit des eigentlichen Allergens zu einer allergischen Reaktion kommen kann. Diese kann so weit gehen, dass sie nicht von einem echten anaphylaktischen Schock zu unterscheiden ist – sowohl im Erleben als auch in den körperlichen Reaktionen.
Das kann man nicht voneinander trennen. Es sieht gleich aus, fühlt sich gleich an und hat dieselben Konsequenzen. Deshalb ist es nicht korrekt zu sagen: "Naja, leichte Symptome – das ist sicher psychisch oder vom Nervensystem. Aber bei schweren Reaktionen muss es etwas "Richtiges", also Körperliches sein." Denn das Nervensystem ist körperlich. Nur weil es schwer in Worte zu fassen ist, heißt das nicht, dass es weniger real ist. Genau deshalb ist die Arbeit mit dem Nervensystem ein enorm wichtiges Puzzlestück – natürlich nicht das einzige, aber ein zentrales.
Das ist besonders wichtig für Menschen, die zu mir kommen und sagen: "Ich vertrage gar nichts mehr – wirklich nichts." Ich sage dann: "Ja, das ist nicht selten. Aber es gibt keine Alles-Allergie." In den meisten Fällen gibt es zwei mögliche Erklärungen:
Was man dabei wissen sollte: Der Körper geht gern auf Nummer sicher. "Nummer sicher" heißt in vielen Fällen: nichts Neues und nichts annehmen. Gerade bei chronischen Erkrankungen kann das problematisch sein. Denn wir müssen ja essen, sonst sterben wir.
Und genau da wird es kompliziert. Man könnte an dieser Stelle sehr weit ausholen, denn hinter diesem Thema steckt einiges. Wichtig ist mir aber zu betonen: Das Ganze hat eine solide wissenschaftliche Basis. Es handelt sich hier keineswegs um Esoterik. Das Nervensystem spielt eine zentrale Rolle und es gibt viele verschiedene Ansätze, um sich diesem Thema zu nähern. Deshalb gibt es das Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie, das sich mit dem Zusammenspiel von Nervensystem, Immunsystem und Psyche befasst.
Wenn jemand z.B. mit einer "Alles-Allergie" zu mir kommt – ich sage das bewusst in Anführungszeichen, weil wirklich gar nichts mehr geht –, dann schaue ich: Liegt vielleicht ein Problem im Darm vor? Ist dort etwas aus dem Gleichgewicht geraten? Wenn das nicht klar ist oder wenn jemand seine Auslöser nicht kennt, ist die Arbeit mit dem Nervensystem immer ein guter Anfang. Denn in diesem Meer an Fragezeichen kann die Arbeit am Nervensystem ein erstes Ausrufezeichen setzen.
Nach dem Motto: "Wenn ich sonst nichts weiß, fange ich eben damit an." Die Suche nach Ursachen, Triggern oder zugrunde liegenden Erkrankungen kann man parallel dazu weiterverfolgen. Es sind mehrere Säulen, die gemeinsam wirken. Und dazu passt auch die schöne Metapher mit dem Fass, was wir zuvor schon erläutert haben. Wenn das Fass überläuft, entspricht das deinen Symptomen. Es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen:
Am wirksamsten ist es natürlich, wenn du beide Wege gleichzeitig gehst: weniger Belastung und mehr innere Kapazität. Genau das ist das Ziel der Nervensystemarbeit: die sogenannte Toleranz zu erweitern. Was bedeutet das praktisch? Ein gesunder Körper kann harmlose Reize in der Regel problemlos verarbeiten. Wenn es aber Symptome gibt, ist das nicht automatisch eine Fehlfunktion. Im Gegenteil: Wenn der Körper auf Schadstoffe, Dauerstress oder eine ungesunde Lebensweise mit Beschwerden reagiert, ist das ein sehr funktionales Warnsystem.
In solchen Fällen sollte man sich fragen: Bin ich vielleicht ständig mit Dingen in Kontakt, die mir nicht guttun? Konsumiere ich beispielsweise stark verarbeitete Lebensmittel, Konservierungsstoffe oder Schadstoffe, von denen bekannt ist, dass sie ungesund sind? Wenn ja, dann hat der Körper mit seiner Reaktion vielleicht einfach recht. Menschen mit MCAS reagieren jedoch nicht nur auf diese "berechtigten" Reize.
Oft zeigen sie auch Symptome bei eigentlich harmlosen Dingen, beispielsweise bei Temperaturveränderungen, Vibrationen oder sogar bei gesunden Lebensmitteln und positiven Emotionen. Manchmal führt sogar große Freude zu einer Überreizung des Nervensystems. Das ist nicht normal und sollte auch nicht so bleiben.
Dann stellt sich die Frage: Warum kann mein Körper diese eigentlich unproblematischen Reize nicht mehr tolerieren? Und wie kann ich ihn dabei unterstützen, diese Toleranz wieder aufzubauen? Ein möglicher Weg ist eben die Nervensystemarbeit. Die Arbeit mit dem Nervensystem ist ein Ansatz (von mehreren), um die Toleranz schrittweise wieder zu erhöhen. Dabei wird der Körper sanft wieder an Dinge herangeführt, die er aktuell nicht gut verarbeiten kann. Dabei ist es sinnvoll, mit reizarmen, antientzündlichen oder antihistaminergen Lebensmitteln zu starten, also beispielsweise mit Brokkoli statt mit einer Bifi oder mit einem Apfel statt mit Weingummi.
Denn der Körper will ja eigentlich genau diese gesunden Dinge, da er die Nährstoffe braucht, um zu regenerieren und stärker zu werden. Die Arbeit mit dem Nervensystem ist natürlich kein Allheilmittel, aber es kann ein wichtiger Anfang sein. Denn wenn der Körper wieder etwas mehr Spielraum hat, ist es oft auch möglich, andere therapeutische Maßnahmen umzusetzen.
Ein Beispiel: Manche Menschen sagen, dass sie Medikamente eigentlich bräuchten, sie aber nicht vertragen. Dafür gibt es viele mögliche Gründe, z.B. genetisch bedingte Veränderungen in der Verstoffwechselung. Das kann auch am Darm liegen, denn Tabletten durchlaufen den Verdauungstrakt. Aber oft spielt auch das Nervensystem eine Rolle. Oder beides zusammen. Der Körper signalisiert dann: "Stopp, neue Reize – keine Chance!" In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, mit der Arbeit am Nervensystem zu beginnen. Das Ziel besteht darin, dass der Körper wieder ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen entwickelt. Wenn das gelingt, kann er vielleicht irgendwann sagen: "Okay, vielleicht probiere ich mal etwas Neues aus."
Dann kann es zum Beispiel auch mit der Medikamenteneinnahme besser klappen, was wiederum andere positive Prozesse im Körper anstoßen kann. Es ist also wie eine Kette, die in Gang kommt. Wichtig ist auch: Nicht alles, was irgendwie mit Psyche oder Nervensystem zu tun hat, ist automatisch dasselbe. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten bereits Hypnotherapie gemacht, und meinen dann, Brain-Retraining-Programme seien für sie nichts Neues. Aber das ist nicht vergleichbar. So, wie man auch nicht sagen würde: "Ich habe schon ein Schmerzmittel genommen, also brauche ich kein Antihistaminikum." Beides wirkt eben ganz unterschiedlich.
Psychologische Verfahren müssen differenziert betrachtet werden. Nur weil eine Methode bei einer Person zu einem gewissen Zeitpunkt nicht gewirkt hat, heißt das nicht, dass es generell nicht wirkt. Das macht es nicht unbedingt einfacher, aber so ist es leider: Am Anfang eines therapeutischen Weges funktionieren manche Dinge eventuell noch nicht. Das kann verschiedene Gründe haben: Vielleicht fehlen dem Körper noch bestimmte Toleranzen. Vielleicht ist das System überreizt oder es fehlt an Stabilität und Ausdauer.
Wenn jemand beispielsweise beginnt, Nährstoffe wieder zuzuführen, die lange gefehlt haben, können Prozesse im Körper, die auf genau diese Nährstoffe angewiesen sind, plötzlich wieder anlaufen, aber eben noch nicht reibungslos. Das bedeutet: Etwas, das am Anfang nicht funktioniert hat, kann später ein echter Gamechanger sein. Es reicht also nicht, eine Maßnahme einmal auszuprobieren und dann abzuhaken mit "hat nicht funktioniert".
Oft kommt durch erste Schritte erst einmal Ruhe ins System – und dadurch werden Maßnahmen, die zuvor zu viel waren, plötzlich gut vertragen und wirken sehr effektiv. Man arbeitet sich also Stück für Stück vor, fast wie bei einem Ausschlussverfahren. Was ist gerade jetzt das Hauptproblem? Die Symptome können sich verändern und mal stärker und mal schwächer auftreten. Auch die Auslöser sind nicht immer gleich. Nur weil etwas heute ein Auslöser ist, muss es das nicht in fünf Jahren noch sein.
Gerade durch gezielte Maßnahmen – sei es medizinisch, nervensystemorientiert oder psychisch – kann sich die Reizbarkeit des Systems deutlich verbessern. Und manchmal sind es gerade die Dinge, die auf den ersten Blick gar nichts mit der ursprünglichen Problematik zu tun haben, die den entscheidenden Unterschied machen. Wenn man dem Körper Zeit und die richtigen Bedingungen zur Regeneration gibt und gut mit sich umgeht, reagiert er mit mehr Toleranz und gibt mehr Spielraum zurück. Das beobachten wir tatsächlich sehr häufig.
Wenn jemand beispielsweise beginnt, Nährstoffe wieder zuzuführen, die lange gefehlt haben, können Prozesse im Körper, die auf genau diese Nährstoffe angewiesen sind, plötzlich wieder anlaufen, aber eben noch nicht reibungslos.
Dr. Kreddig: Es gibt viele Dinge, die man im Alltag tun kann – darüber haben wir ja bereits gesprochen. Bzgl. verschiedener Wirkstoffe ist es interessant, dass nicht nur Medikamente eine antihistaminerge oder mastzellstabilisierende Wirkung haben. Auch eine Reihe natürlicher Substanzen kann solche Effekte zeigen. Dazu zählen zum Beispiel:
Das sind Stoffe, die meist relativ gut verfügbar sind. In der Forschung wurden noch viele weitere Stoffe entdeckt, von denen jedoch nicht alle leicht erhältlich sind. Auch sie können mastzellstabilisierend oder antihistaminerg wirken. Wichtig dabei ist: Egal, ob natürlich oder synthetisch: Alles, was eine Wirkung hat, kann auch Nebenwirkungen haben.
Die Verträglichkeit ist individuell unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie den körperlichen Voraussetzungen, genetischen Unterschieden oder der Reaktion des Nervensystems. Manche Menschen reagieren empfindlich auf neue Substanzen, unabhängig davon, ob sie "natürlich" sind oder nicht. Nur weil auf einem Produkt "natürlich" steht, heißt das nicht automatisch, dass es sanfter oder besser verträglich ist als ein Medikament. Es kann so sein, muss aber nicht.
Ein weiterer Punkt ist: Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nicht den gleichen strengen Kontrollen wie Medikamente. Deshalb ist es besonders wichtig, auf die Qualität zu achten. Ist wirklich alles drin, was auf der Verpackung steht? Gibt es Verunreinigungen oder nicht deklarierte Zusatzstoffe? Kommt das Produkt von einem seriösen Hersteller mit sauberen und transparenten Produktionsprozessen? Enthält es möglichst wenige Hilfs- und Füllstoffe? Da manche Tabletten beispielsweise gefärbt sind oder viele Zusatzstoffe enthalten, lohnt es sich, genau hinzuschauen.
Grundsätzlich gilt: Viele dieser natürlichen Stoffe kommen auch ganz normal in unserer Ernährung vor, etwa Flavonoide oder generell Polyphenole. Sie sind also nicht nur in Kapseln, sondern auch in Obst, Gemüse, Kräutern und anderen Lebensmitteln enthalten. Auch bestimmte Nährstoffe, die für den Histaminabbau wichtig sind, können eine Rolle spielen, zum Beispiel Vitamin B6 und Kupfer für die DAO. Diese Nährstoffe lassen sich über die Ernährung, aber auch über Supplemente zuführen, sofern diese gut vertragen werden.
Gerade bei Menschen mit MCAS ist das manchmal schwierig, da die Auswahl an verträglichen Lebensmitteln sehr eingeschränkt ist. Trotzdem lohnt es sich, langfristig daran zu arbeiten, die Auswahl wieder zu erweitern. Wenn der Körper bestimmte Nährstoffe über die Ernährung aufnimmt, weiß er in der Regel sofort, was er damit anfangen soll. Das liegt daran, dass er es seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte genau so gewohnt ist – durch natürliche Nahrung.
Die Einnahme von Nährstoffen in Pillenform ist dagegen eine relativ neue Entwicklung. Früher haben wir diese Stoffe einfach über die Nahrung aufgenommen. Und genau deshalb ist es auch heute noch sinnvoll, möglichst viele Nährstoffe über natürliche Lebensmittel zuzuführen.
Dr. Kreddig: Im Grunde kann man sagen: Ich bin heute die Person, die ich mir damals an meiner Seite gewünscht hätte. Als ich ganz am Anfang stand, war ich völlig überfordert. Ich wusste weder, was los war, noch wo ich anfangen sollte. Ich habe meine wissenschaftliche Ausbildung genutzt, um mir selbst zu helfen. Ich bin Psychologin und Medizinpsychologin, habe Psychologie studiert, promoviert und anschließend viele Jahre in der medizinischen Psychologie geforscht.
Insgesamt bin ich seit fast 20 Jahren wissenschaftlich tätig und habe mehr als 14 Jahre lang Medizinstudierende im Fach Medizinpsychologie unterrichtet. Dieses Wissen habe ich genutzt, um meine eigene Erkrankung besser zu verstehen und mir einen Weg daraus zu bahnen. Ich wollte schon immer ein Arbeitsfeld, in dem ich Menschen wirklich helfen kann. Gleichzeitig fasziniert mich Pionierarbeit, also Bereiche, in denen es noch wenig Forschung oder Klarheit gibt.
Genau das habe ich in meiner eigenen Erkrankung gefunden. Deshalb unterstütze ich heute andere Menschen auf ihrem Weg, damit sie es leichter haben als ich damals. Denn das Wissen über Erkrankungen wie MCAS und Mastzellen ist in den letzten Jahren zum Glück stark gewachsen, auch in der Öffentlichkeit.
Durch die Pandemie und den Zusammenhang mit Long Covid hat das Thema Mastzellaktivierungssyndrom einen regelrechten Schub erfahren. Als ich 2008 selbst erkrankte, war das Bewusstsein dafür noch kaum vorhanden. Deshalb hat es Jahre gedauert, bis ich bestimmte Zusammenhänge verstand und Rückfälle richtig einordnen konnte. Das muss heute nicht mehr so sein. Um hier zu helfen, nutze ich sowohl meine wissenschaftliche Ausbildung als Medizinpsychologin als auch meine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema Mastzellen. In all den Jahren habe ich viel gelernt – durch Forschung, durch die Arbeit in der Community und durch meinen eigenen Weg. Dieses Wissen stelle ich nun anderen zur Verfügung.
Auf meiner Website sind viele Informationen frei zugänglich. Außerdem biete ich E-Books an, in denen viele zentrale Themen noch einmal kompakt zusammengefasst sind. Ich halte Workshops und biete auch persönliche Beratungen an, was für viele wahrscheinlich besonders interessant ist. In diesen Gesprächen klären wir gemeinsam, ob die Symptome zu MCAS passen könnten, welcher Schritt als Nächstes sinnvoll wäre und wie die eigene Situation besser eingeschätzt werden kann.
Wichtig ist: Meine Beratung ersetzt keine ärztliche Behandlung. Ich bin keine Ärztin, verschreibe keine Medikamente und stelle keine Diagnosen. Aber ich kann aufklären: Was ist MCAS, welche möglichen Auslöser oder Zusammenhänge gibt es und worauf sollte man achten? Vor dem Beratungsgespräch verschicke ich einen ausführlichen Fragebogen, um die individuelle Situation besser zu verstehen. Anschließend analysieren wir gemeinsam, wo Ansatzpunkte sind und welche Schritte sinnvoll wären.
Was mich von einem Arztgespräch unterscheidet: Ich nehme mir Zeit, höre zu – und man muss bei mir nicht um Gehör kämpfen. Viele kennen das Gefühl, beim Arzt nicht ernst genommen zu werden – besonders, wenn dieser MCAS nicht kennt. Das passiert bei mir nicht. Ich weiß, dass die Beschwerden real sind, und ich nehme sie ernst. Ich begleite die Betroffenen bei ihrer "Detektivarbeit". Natürlich kann ich nur die Tür öffnen – durchgehen muss jeder selbst. Aber ich helfe dabei, die vielen losen Informationen zu sortieren, sodass wieder erkennbar wird, wo vorne und hinten ist. Man könnte sagen: Wir machen gemeinsam aus lauter Bäumen wieder einen erkennbaren Wald.
Meine Beratung ist sehr individuell. Ich arbeite nicht nach Schema F, sondern betrachte jeden Fall ganz genau. Ich beantworte Fragen, erkläre Zusammenhänge auf wissenschaftlicher Basis, gebe konkrete Hilfestellungen für den Alltag und identifiziere die wichtigen nächsten Schritte. Neben der Beratung arbeite ich auch mit Fachpersonal im Fachnetz MCAS, unserem Netzwerk für Ärzte und Heilberufler, das ich leite. Wer das Gefühl hat, betroffen zu sein, kann sich gern bei mir melden – genau dafür bin ich da.
Natürlich konnten wir in diesem Gespräch nur einen Überblick geben, denn viele Details würden den Rahmen sprengen. Mein Ziel ist es aber, dass mehr Menschen überhaupt erst einmal verstehen, dass es MCAS gibt und wie es grundsätzlich funktioniert. Wenn man davon ausgeht, dass etwa 14 bis 17 % der Bevölkerung in irgendeiner Form betroffen sind, dann ist es umso wichtiger, dass dieses Wissen an die Öffentlichkeit gelangt.
Und bei dieser riesigen Menge an Betroffenen ist auch klar: Die meisten Fälle verlaufen mild und viele wissen gar nicht, dass MCAS hinter ihren Beschwerden steckt. Es gibt aber auch schwer Betroffene, die man häufiger in Facebook-Gruppen oder Foren sieht. Sie bilden nicht den größten Teil der Menschen mit MCAS, benötigen und suchen aber aus gutem Grund am meisten Hilfe und sind deshalb besonders sichtbar.
Das bedeutet: Wenn jemand neu in die Community kommt, wirkt das oft erst einmal überwältigend – so viel Leid. Man muss dazu wissen: Die Gruppen sind wichtig für den Austausch, aber sie spiegeln oft nicht die ganze Realität wider. Viele posten besonders dann, wenn es ihnen schlecht geht. Das ist auch wahr, aber nur ein Teil des Bildes. Wenn Leute sich besser fühlen, posten sie nicht. Und wenn sie sich dauerhaft besser fühlen, verlassen sie die Gruppen oft. Deshalb ist es wichtig, die Hoffnung zu bewahren. Denn ja, Hoffnung ist nicht nur erlaubt, sondern auch berechtigt. Es gibt zwar keine Garantien, aber sehr viele Möglichkeiten, aktiv etwas zu tun. Und vieles davon liegt in der eigenen Hand. Wie man so schön sagt: Die wahre Veränderung findet nicht beim Arzttermin statt, sondern dazwischen – zu Hause, im Alltag.
Danke für das Interview!
Letzte Aktualisierung am 08.10.2025.